Der Besucherin war einfach gekleidet, doch sie war unvergleichlich anmutig und schön. Ihr schwarzes Haar war zu einem hohen Dutt hochgesteckt und mit Jadefäden zusammengehalten. Shen Qiao war nicht die einzige Person, deren Aufmerksamkeit erregt wurde ‒ die meisten Anwesenden wurden von dem plötzlichen Auftauchen dieser unbekannten Frau in den Bann gezogen und drehten alle ihre Köpfe in ihre Richtung.
Sie trug ein Langschwert auf dem Rücken, hatte gute Laune
und strahlende Augen. Doch ihr Gang war nicht im Geringsten weiblich, und sie
wurde auch nicht nervös unter den Blicken der Schaulustigen. Sie blieb gelassen
und sicher, und als sie zusammen mit dem Schüler des Chunyang-Klosters eintrat,
warf sie einen Blick in die Runde. Als sie Shen Qiao erblickte, zeigte sich
zunächst eine unkontrollierbare Überraschung auf ihrem Gesicht, gefolgt von
überraschter Freude. Sie wartete nicht darauf, dass der Schüler, der sie
führte, sie zu Yi Pichen brachte, sondern flog mit einem Zehenspitzenschlag auf
Shen Qiao zu.
Shen Qiao war ebenfalls gerade aufgestanden, und zwei
Augenpaare starrten einander an. Das Mädchen flog herbei wie eine Schwalbe, die
in ihr Nest zurückkehrt, und umarmte ihn innig.
Die Blicke der Schaulustigen verdrehten sich augenblicklich
merkwürdig.
„Zhangjiao-Shixiong!"
Das Mädchen bekam von den Gedanken der anderen nichts mit, und es war ihr auch
egal. Sie hielt ihn lange Zeit fest, bis Shen Qiao ihr auf den Rücken klopfte.
Erst dann ließ sie ihn los.
Als Zhao Chiying diese Ansprache hörte, wusste er, dass das
Mädchen eine Schülerin des Xuandu-Berges sein musste: Shen Qiaos Shimei.
Natürlich führte Shen Qiao sie an der Hand hinüber und
stellte sie Zhao Chiying vor. „Dies ist meine fünfte Shimei, Gu Hengbo. Wuniang, das ist die Sektenanführerin der Bixia-Sekte,
Zhao."
In der Vergangenheit hatte Zhao Chiying gehört, dass Qi
Fengge fünf Schüler hatte: Tan Yuanchun, Shen Qiao, Yu Ai, Yuan Ying und Gu Hengbo.
Es gab nur eine weibliche Schülerin, und das musste natürlich die Gu Hengbo
sein, die vor ihr stand.
Wenn man sie jetzt ansah, schien das Mädchen aus kalter,
edler Jade geschnitzt zu sein. Die Aura einer Unsterblichen umgab sie und
verlieh Gu Hengbo ein außergewöhnliches Auftreten. Sie war in der Tat eine
schöne junge Dame.
Gu Hengbo und Zhao Chiying sahen sich an, dann lachte Gu Hengbo.
„Euer berühmter Ruf eilt Euch voraus, Zhao-Zhangjao, obwohl ich nicht erwartet
hatte, Euch hier zu treffen. Wuniang kann sich glücklich schätzen!"
Es war klar, dass sie die Etikette kannte, aber als sie
vorhin Shen Qiao gesehen hatte, war sie so aufgeregt gewesen, dass sie auf
niemanden mehr Rücksicht nehmen konnte.
Die beiden tauschten einen Gruß aus, dann fragte Shen Qiao: „Wuniang,
wann bist du angekommen? Ist Yu Ai auch hier?"
Gu Hengbo schüttelte den Kopf. „Nein, wir hatten einen
großen Streit. Ich war eine Weile weg vom Berg, und ich habe gar nicht vor,
zurückzukehren."
Shen Qiao runzelte die Stirn. „Was ist passiert? Hat er dich
schlecht behandelt?"
Gu Hengbo verzog die Lippen zu einem Lächeln, als wäre die
ganze Angelegenheit nicht von Bedeutung. „Das ist eine lange Geschichte, warum
reden wir nicht später darüber? Ich habe gehört, dass hier eine
Schwertprüfungskonferenz abgehalten wird, also bin ich auf den Berg gekommen,
um mich selbst davon zu überzeugen. Ich hatte nicht erwartet, hier Zhangmen-Shixiong
zu treffen."
Als Shen Qiao hörte, wie sie ihn wie bisher "Zhangmen-Shixiong"
nannte, fühlte er tief in seinem Herzen eine große Gefühlswelle. „Nun gut. Lass
mich dich zuerst zu Abt Yi bringen."
Gu Hengbo hatte natürlich keine Einwände. Sie war erst sehr
spät in die Sekte eingetreten, wodurch ein erheblicher Altersunterschied
zwischen ihr und ihren Shixiongs bestand. Als Sektenanführer war Qi Fengge
unglaublich beschäftigt, weshalb es ihm unmöglich war, seine Schüler jeden Tag
persönlich anzuleiten. Es waren Tan Yuanchun und Shen Qiao, die Gu Hengbo die
meisten ihrer Kampfkünste beigebracht hatten, und von den beiden verbrachte
Shen Qiao mehr Zeit mit ihr. Deshalb behandelte Gu Hengbo ihren Shixiong wie
einen Bruder und Vater, und sie verehrte und bewunderte ihn sehr. Sie standen
sich viel näher als die durchschnittlichen Mitschüler.
Gu Hengbo war außergewöhnlich schön, und viele junge Schüler
konnten nicht anders, als sie anzustarren. Als sie sahen, wie intim sie mit
Shen Qiao war, entwickelten sie alle einige Missverständnisse, und auch Yi
Pichen war da keine Ausnahme. Erst als Shen Qiao sie vorstellte, verstand er. „Qi-Zhangjao
war wahrlich ein Stolz des Himmels ‒
auch seine Schüler sind alle hervorragend", sagte er. „Ich habe das Glück,
zwei von ihnen zu treffen. Wenn ich an die Großartigkeit von Qi-Zhangjao in der
Vergangenheit zurückdenke, kann ich nicht anders, als es herzzerreißend zu
finden!"
Er war schon immer geschickt im Umgang mit sozialen
Situationen. Als er sah, dass Gu Hengbo allein gekommen war, fragte er nicht
nach dem Grund. Nach ein paar Höflichkeiten erfuhr er, dass Shen Qiao und Gu Hengbo
nach langer Trennung gerade wieder zusammengekommen waren und sich wohl viel zu
sagen hatten. Er ließ jemanden ein weiteres Sitzkissen neben Shen Qiao legen, so
dass die Kampfgeschwister ihr Gespräch fortsetzen konnten.
Shen Qiao und Gu Hengbo setzten sich, aber er stellte
schnell fest, dass sie geistesabwesend war und sich leicht ablenken ließ. „Was
ist los, Wuniang?", fragte er verwirrt.
Gu Hengbo riss sich zusammen und schüttelte den Kopf: „Es
ist nichts. A-Xiong hat in letzter Zeit sehr gelitten, nicht wahr? Während ich
mich draußen herumtrieb, hörte ich oft Nachrichten über dich. Auch ich bin
schuld an meiner Nachlässigkeit. Damals auf dem Xuandu-Berg war ich nicht in
der Lage, diesen Bastard Yu Ai zu durchschauen. Deshalb musste A-Xiong so viel
leiden."
„Damals tappte selbst ich im Dunkeln, ganz zu schweigen von
dir", erwiderte Shen Qiao. „Die Angelegenheit ist bereits vorbei, und Reue
ist jetzt sinnlos. Aber wie kam es dazu, dass du dich so heftig mit Yu Ai
gestritten hast?"
„Nachdem du von der Klippe gestürzt wurdest, war der Xuandu-Berg
ohne Anführer, aber die Situation versank nicht im Chaos, sondern stabilisierte
sich schnell unter der Führung von Yu Ai. Alles war in bester Ordnung, und
einige Älteste meinten sogar, dass man den Xuandu-Berg nicht einmal einen Tag
lang ohne Anführer lassen könne, da dein Status unbekannt sei. Sie beschlossen,
dass Yu Ai die Position des Sektenanführers übernehmen sollte."
„Es ist gut, dass der Xuandu-Berg nicht im Chaos versunken
ist." Shen Qiao hörte zum ersten Mal, wie eine Schülerin des Xuandu-Berges
das Ereignis mit all seinen Insidergeschichten beschrieb. Selbst jetzt waren
ihm noch nicht alle Einzelheiten klar. Als Gu Hengbo jedoch unermüdlich
erzählte, lichtete sich der Nebel ein wenig.
„Damals wurde mir befohlen, auf dem Xuandu-Berg Wache zu
halten, weswegen ich deinen Kampf nicht persönlich beobachten konnte",
fuhr sie fort. „Als die Nachricht erhielt, war es, als hätte mich der Blitz
getroffen. Ich war in Panik und ratlos, aber als ich später genau darüber
nachdachte, kam mir etwas komisch vor, und ich hatte das Gefühl, dass hier
etwas faul war. Denn wir, ja sogar die meisten Schüler des Xuandu-Bergs, waren
alle unendlich traurig über deinen Unfall, Zhangmen-Shixiong. Nur Yu Ai war entschlossen,
seine Handlungen waren ausschlaggebend und mitreißend. Auch wenn er
oberflächlich betrachtet traurig aussah, war sein Verhalten doch sehr
verdächtig.
Nach diesem Vorfall bist du schon einmal zum Xuandu-Berg
zurückgekehrt, aber Yu Ai konnte dich dort nicht festhalten. Danach sagte er,
dass du würdest mit Mitgliedern der dämonischen Disziplin zusammenarbeiten. Zu
dieser Zeit war Da-Shixiong vor Ort, aber ich war es nicht. Später sah ich,
dass Da-Shixiong besorgt und unruhig zu sein schien, also nutzte ich die
Gelegenheit, ihn zu fragen, aber er zauderte nur und weigerte sich, mir die
Wahrheit zu sagen."
Tan Yuanchun war schon immer unentschlossen gewesen. Er war
unter den Schülern des Xuandu-Bergs dafür bekannt, dass er zu entgegenkommend
war und eine Art Fußabtreter darstellte. Er bedauerte, was mit Shen Qiao
geschehen war, war aber nicht in der Lage, gegen Yu Ai entschieden vorzugehen.
Dieses Verhalten war für ihn nicht überraschend.
Gu Hengbo fuhr fort: „Einmal hörte ich ihn mit dem Ältesten
Chai sprechen. Es schien, als hätten sie den Ausgang deines Duells mit Kunye
vorausgesehen. Ich wurde mir immer sicherer, dass mehr dahinter steckte, dass
Yu Ai uns etwas verheimlicht haben musste. Erst später, als er ankündigte, dass
der Xuandu-Berg mit den Kök-Türken zusammenarbeiten würde, konnte ich mich
nicht mehr zurückhalten. Ich habe Yu Ai gefragt, ob er schon lange mit den
Kök-Türken zusammenarbeitet und ob dein Sturz von der Klippe und die schweren
Verletzungen damit zusammenhängen."
Shen Qiao schüttelte den Kopf. „Wie könnte er es zugeben,
wenn du ihn so fragst?"
Gu Hengbo lächelte verbittert. „Natürlich hat er es nicht
zugegeben. Nicht nur das, er hat nur so getan, um mich zu beschwichtigen ‒ in jener Nacht schlich er sich in
mein Zimmer und griff mich an. Ich habe es jedoch rechtzeitig bemerkt, habe gegen
ihn gekämpft und bin den Berg hinunter geflüchtet. Seitdem bin ich nicht mehr
zurückgekehrt."
Shen Qiao schwieg einen Moment lang. „Du bist eine
geschickte Kampfkünstlerin, aber du bist Yu Ai nicht gewachsen", sagte er.
„Er hatte damals auch die volle Kontrolle über den Xuandu-Berg und wäre
durchaus in der Lage gewesen, dich gefangen zu nehmen, doch er ließ dich vom
Berg entkommen. Die Freundschaft zu seinen Mitschülern liegt ihm noch immer am
Herzen, und deshalb hat er dich gehen lassen."
„Selbst wenn das stimmt, hat er dich vergiftet, weswegen du
von der Klippe gefallen bist und all deine Kampfkünste verloren hast",
protestierte Gu Hengbo. „Meiner Meinung nach ist dieser kleine Tropfen
Freundlichkeit so, als würde eine Katze falsche Tränen über eine Maus
vergießen. Da-Shixiong ist nicht in der Lage, Recht und Unrecht zu
unterscheiden, und so zieht er es vor, ein Tiger zu sein und Yu Ai bei seinen
Untaten zu unterstützen. Aber ich weigere mich, mit ihm zu verkehren."
„Und was ist mit Yuan Ying? Was ist mit ihm geschehen?"
Gu Hengbo schüttelte den Kopf. „Bevor ich den Berg verließ,
habe ich Si-Shixiong heimlich einen Brief dagelassen, in dem ich diese
Angelegenheit erklärte. Ich weiß nicht, ob er ihn gelesen hat, aber seit ich
den Xuandu-Berg verlassen habe, habe ich nichts mehr von ihm gehört."
Während die beiden Kampfgeschwister sich unterhielten,
fanden auf dem Wettkampfplatz mehrere Kämpfe statt. Wang-Sanlang war ein
arroganter Mann, aber seine Kampfkünste waren unter der jüngeren Generation
herausragend. Nachdem er Zhou Yexue besiegt hatte, gewann er mehrere Kämpfe
hintereinander, und selbst Su Qiao unterlag ihm mit nur einer Bewegung; im
Moment war er nicht zu stoppen.
Gu Hengbo blickte mehrmals auf die Wettkampfstätte und sagte
dann plötzlich: „Wenn der Tiger abwesend ist, ist der
Affe König. Ich werde auch gegen ihn kämpfen!"
Bevor Shen Qiao sie aufhalten konnte, betrat sie den Platz
und rannte auf Wang-Sanlang zu.
Das plötzliche Auftauchen dieser schillernden Schönheit
erregte die Aufmerksamkeit des gesamten Publikums. Wang-Sanlang zeigte sich den
anderen gegenüber arrogant, aber vor Gu Hengbo fühlte er sich durch die
unerwartete Aufmerksamkeit geschmeichelt und zeigte sogar die Bescheidenheit,
die man von einem Spross einer Adelsfamilie erwartet. „Schwerter und Säbel
kümmern sich nicht darum, wen sie schneiden, und ich möchte diese Fee nicht verletzen. Warum geben wir uns nicht die
Hand und schließen Frieden?"
Gu Hengbo antwortete gleichgültig: „Ihr seid also nicht
gekommen, um Euch zu messen, sondern einfach nur, um einen aufgeblasenen
Wichtigtuer zu mimen?"
Wang-Sanlang hatte nicht damit gerechnet, dass diese
Schönheit so bissig sein würde. Gedemütigt knurrte er: „Natürlich nicht!"
Gu Hengbo zog ihr Schwert. „Dann fangt bitte an!"
Zhao Chiying beobachtete ihren Kampf, und obwohl sie
überrascht war, fand sie, dass es zu erwarten war. „Eure Shimei ist wirklich
außergewöhnlich ‒ berühmte
Meister bringen brillante Schüler hervor. Sie hat eindeutig die gleiche Quelle
wie Daozhang Shen. Nachdem ich euch beide in Aktion gesehen habe, glänzt du
noch mehr!"
„Zhao-Zhangjao ist zu freundlich", sagte Shen Qiao
bescheiden. Aber er dachte sich, dass Wuniang normalerweise nicht so impulsiv
war. Ihr jetziges Verhalten war etwas seltsam.
Wang-Sanlang war natürlich kein Gegner für Gu Hengbo. Ein Hieb
ihres Schwertes schlug ihm das seine aus der Hand, ließ es durch die Luft
sausen, bevor es mit der Klinge voran auf den Boden fiel und dort liegen blieb.
Ein Schüler des Chunyang-Klosters verkündete lautstark: „Gu Hengbo vom Xuandu-Berg
besiegt Wang Zhuo von der Komturei Kuaiji!"
Erst jetzt wurde allen klar, wer Gu Hengbo war. Wang-Sanlangs
Gesicht wurde etwas blass, nicht nur wegen seiner eigenen Niederlage, sondern
auch wegen der Nachricht, dass die andere tatsächlich die Schülerin von Qi
Fengge war. Ratlos verharrte er eine Zeit lang in leichter Benommenheit.
Gu Hengbo zog ihr Schwert aus der Scheide und richtete sich
wieder auf, doch ihr Gesicht war frei von Freude. Anstatt zu Shen Qiao
zurückzukehren, ging sie auf Yuan Zixiao zu, der damit beschäftigt war, Notizen
zu machen.
„Ihr habt Wang-Sanlang schon so lange Aufmerksamkeit
geschenkt. Jetzt habe ich gegen ihn gewonnen, aber Ihr schaut mich nicht einmal
an?"
Yuan Zixiao hob nicht einmal den Kopf. Ihr Pinsel bewegte
sich wie ein schwimmender Drache über das Papier. „Dass Ihr gegen ihn gewonnen
habt ‒ war das nicht die offensichtliche
Schlussfolgerung?", sagte sie.
Gu Hengbo grinste. „Der Liuli-Palast der Insel Fangzhang ist
tatsächlichen dermaßen eingebildet. Es ist eine Sache, zu gehen, ohne sich zu
verabschieden, aber so zu tun, als würdet Ihr mich nicht kennen, wenn wir uns
treffen? Könnte es sein, dass ich, Gu Hengbo, zu schändlich bin, um von Euch
anerkannt zu werden?"
Niemand war in der Nähe von Yuan Zixiao ‒ Yi Pichen hatte ausdrücklich darum
gebeten, etwas Platz um sie herum zu lassen, um ihre Aufzeichnungen nicht zu
beeinträchtigen. Die beiden sprachen mit leiser Stimme, so dass es für andere
schwierig war, sie deutlich zu hören. Diese Interaktion machte jedoch deutlich,
dass die beiden sich kannten. Sie verstanden nur nicht, warum das Gespräch so
angespannt schien.
Zu diesem Zeitpunkt waren auch zwei andere Kämpfe
entschieden worden ‒ die Sieger
waren Wang-Erlang und ein Schüler der Chixia-Schwertsekte namens Chao Yu. Diese
beiden Sieger sollten als Nächstes gegeneinander kämpfen. Heutzutage war der
Schwertkampf im ganzen Land beliebt und weit verbreitet. Die meisten Menschen
in der Jianghu führten Schwerter, und diese beiden waren keine Ausnahme.
Die Chixia-Schwertsekte war keine große Sekte, aber da Chao
Yu sich inmitten vieler Menschen behaupten konnte, musste die Sekte ihre
eigenen Stärken haben. Obwohl Wang-Erlang einen wilden Geist besaß und ein
geschickter Schwertkämpfer war, konnte er Chao Yu nach zweihundert Bewegungen
immer noch nicht besiegen und verlor schließlich gegen ihn.
Wang-Erlang weigerte sich, sein Schwert loszulassen; sein
ganzer Körper wurde von der inneren Energie seines Gegners erschüttert. Er
taumelte mehrere Schritte zurück und brach fast im Sitzen zusammen. Chao Yu war
gnädig und flog nach vorne, um seinem Gegner zu helfen und ihn vor einer
Blamage zu bewahren. Obwohl Wang-Erlang unzufrieden war, wusste er, dass es
immer jemanden geben würde, der besser war als er selbst. Er faltete seine
Hände zusammen und verließ den Platz unglücklich.
Die Wang-Brüder der Komturei Kuaji waren wie der Donnerhall
aufmarschiert, und nun verließen sie den Platz mit eingezogenem Schwanz. Im
Vergleich zu ihrem letzten Auftritt in der Haupthalle, als sie ihre Nasen in
die Luft gestreckt hatten, war dies ein Unterschied wie Himmel und Erde.
Stärke war alles in der Jianghu, und es war klar, dass sich
diese Grünschnäbel noch nicht daran gewöhnt hatten. Sie mochten zwar die
Unterstützung der Familie Wang haben, aber am Ende mussten ihre Kampfkünste den
Ausschlag geben. Wenn es ihnen daran mangelte, würden sie selbst dann nicht in
der Lage sein, den Kopf zu heben, wenn der Himmel selbst käme, um sie zu
unterstützen.
Wang-Erlang schaute seinen jüngeren Bruder mit hochrotem
Kopf an, dann sah er Shen Qiao in der Ferne sitzen, regungslos wie ein Berg und
vollkommen entspannt. Er verspürte den plötzlichen Drang, Shen Qiao zu fragen:
Wie hatte er damals, als Kunye ihn vor den Augen der Öffentlichkeit besiegte,
dieses Gefühl der Demütigung ertragen können?
Aber abgesehen von den Wang-Brüdern selbst hatte sich die
Aufmerksamkeit aller anderen schnell woanders hingerichtet. Chao Yu suchte
nicht Gu Hengbo, sondern hob die Hände in Richtung der Schüler des Chunyang-Klosters
und sagte mit lauter Stimme: „Chao Yu von der Chixia-Schwertsekte. Könnte ich
das Glück haben, Li-Shaoxia um Rat zu bitten? "
Dies war eine offene Herausforderung an Li Qingyu!
Als die Menge dies hörte, machte sich Aufregung breit, und alle,
drehten sich zu Li Qingyu um.
Chao Yus Ziele waren sehr klar. Obwohl Gu Hengbo jung war,
war sie die Schülerin von Qi Fengge, was sie in dieselbe Generation wie Shen
Qiao und streng genommen sogar Yi Pichen stellte. Außerdem trat Gu Hengbo nur
selten in der Jianghu auf, wodurch sie nicht sehr bekannt war. Selbst wenn er
sie besiegte, würden sich nur wenige Leute wundern, aber bei Li Qingyu war dies
anders.
In der gegenwärtigen Jianghu war Li Qingyu das
herausragendste Mitglied der jüngeren Generation. Zuvor war er zum Xuandu-Berg
gegangen und hatte mit nur einer Bewegung gegen Yu Ai verloren, wovon praktisch
jeder gehört hatte. Später, in der Su-Residenz, war er auch gegen den Kök-Türken-Experten
Duan Wenyang angetreten, der selbst ein Schüler von Hulugu war. Li Qingyu hatte
damals ebenfalls knapp verloren, und Duan Wenyang war einer der zehn Besten der
Welt. Obwohl Li Qingyu nicht stark genug für die zehn Besten war, war er auch
nicht weit davon entfernt.
Als die Herausforderung ihn benannt hatte, hatte Li Qingyu
natürlich keinen Grund, sich dem Kampf zu entziehen. Er hob sein Schwert auf,
stand langsam auf und ging aus der Menge heraus.
„Obwohl Eure Schwertkunst in der Tat beeindruckend ist",
sagte er zu Chao Yu, „könntet Ihr mich trotzdem nicht mit hundert Bewegungen
besiegen."
Chao Yu verfügte über eine ausgezeichnete
Selbstbeherrschung, aber er konnte seinen Ausdruck der Entrüstung nicht
unterdrücken, als er diese Worte hörte. „Ich respektiere Li-Shaoxias
hervorragende Schwertkunst", sagte er, „aber sind diese Worte nicht ein
wenig zu viel?"
„Da hat er recht." Plötzlich ertönte im Saal eine
lachende Stimme, die unaufhörlichen Charme versprühte und alle bis auf die
Knochen betäubte. „Ihr seid ihm nicht ebenbürtig. Es gibt viele Dinge, die man
auch ohne Wettstreit erkennen kann. Aus Sorge um Euren Ruf kann Abt Yi nicht so
einfach den Mund aufmachen und Euch beleidigen. Ihr müsst mehr
Selbstbewusstsein haben."
Alle drehten sich um und sahen eine Frau, die die steinernen
Bergstufen hinaufschritt. Sie war so würdevoll wie ein Lotus, ihr Auftreten
elegant und ätherisch. Doch gleichzeitig hatten ihre Worte einen Hauch von
Scherz und Frivolität, ein völliger Gegensatz zu ihrem Aussehen. Die schiere
Uneinigkeit zwischen den beiden ließ die Beobachter vorübergehend verwirrt
zurück.
„Die Hier ist ...?" Zhao Chiying verließ ihren Berg nur
selten, daher wusste sie natürlich nicht, wer die Frau war.
Shen Qiao sagte streng: „Yuan Xiuxiu die Sektenanführerin
der Hehuan-Sekte."
Zhao Chiying zuckte leicht zusammen. Der Name hatte sie wie
ein Donnerschlag getroffen.
Zur gleichen Zeit stand auch Yi Pichen auf. „Yuan-Zongzhu
beehrt uns mit Ihrer Anwesenheit. Dieser bescheidene Daoist war nicht in der
Lage, Euch persönlich zu begrüßen; er bittet Euch um Vergebung."
In dem Moment, in dem Yi Pichen die Identität der Frau
preisgab, verzerrten sich die Gesichter vieler Leute plötzlich vor Schreck.
Die dämonische Disziplin genoss einen hervorragenden Ruf,
aber wenn es sich bei dem Ankommenden um die Huanyue- oder Fajing-Sekte
gehandelt hätte, hätten die anderen vielleicht nicht so reagiert. Diese
Reaktion war auf die Vorliebe der Hehuan-Sekte für die parasitäre Kultivierung
zurückzuführen, bei der sie die Yin-Energie anderer verbrauchten, um ihr
eigenes Yang zu nähren, oder umgekehrt. Wer wusste schon, wie viele Leben sie
auf diese Weise genommen hatten? Aufgrund der enormen Macht und des großen Einflusses
der Sekte wollte niemand sie provozieren. Wenn es um die Hehuan-Sekte ging,
brauchten sie keine Angst mehr vor anderen zu haben, aber alle anderen
fürchteten sie.
Yuan Xiuxiu lächelte liebevoll. „Die Unwissenden sind
niemals schuldig. Da die Schwertprüfungskonferenz jedem im ganzen Land offen
steht, wird Abt Yi mich sicher willkommen heißen und mich nicht abweisen?"
Man kann dem Feind, der mit einem
Lächeln kommt, nicht trauen. Hinter ihr folgten mehrere Schüler,
allesamt bekannte Mitglieder der Hehuan-Sekte, die auch von vielen Menschen in
der Jianghu erkannt wurden.
Yi Pichen nickte langsam. „Alle, die kommen, sind Gäste; Ihr
seid natürlich willkommen."
Yuan Xiuxiu lächelte. „Wunderbar. Es sind heute einige alte
Freunde hier, und diese Hier war zufällig in der Nähe. Ich habe gehört, dass
einige Mitglieder unsere Hehuan-Sekte für zu aggressiv halten und eine Allianz
gegen uns bilden wollen. Ist diese Behauptung wahr? Was meint Ihr, Abt Yi?"
Wenn Yi Pichen es bestätigte, würde er in ihre Falle tappen.
Wenn er es jedoch leugnete, würde er wie ein zu großer Feigling aussehen, und
andere würden seine Fähigkeiten mit Sicherheit infrage stellen. Das Verhalten
von Yuan Xiuxiu machte deutlich, dass sie hier war, um Unruhe zu stiften.
Als sie ihre Frage hörten, erschien Zorn auf den Gesichtern
vieler, aber ihre Angst vor der Macht der Hehuan-Sekte hinderte sie daran,
etwas zu sagen.
In diesem Moment sagte ein anderer: „Abt Yi braucht nicht zu
antworten, dieser bescheidene Daoist kann in seinem Namen antworten. Hat Yuan-Zongzhu
diese Worte aus Schuldgefühlen gesagt? Fühlt Ihr auch, dass die Handlungen der
Hehuan-Sekte unangemessen sind, und fürchtet Ihr, den Zorn der Öffentlichkeit
zu erregen und ein unkontrollierbares Feuer zu entfachen? Ist das der Grund,
warum Ihr, nachdem Ihr die Nachricht gehört habt, schnell auf den Berg
gestiegen seid, um die Flammen zu löschen?"
Die Stimme war ruhig, sanft und beruhigend, ohne aggressiv
oder aufdringlich zu wirken.
Yi Pichen verstand, dass er als Gastgeber der
Schwertprüfungskonferenz und Anführer des Chunyang-Klosters aufgrund seiner
Identität nur schwer antworten konnte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Shen Qiao
nicht gesprochen, um ihm das Rampenlicht zu stehlen, sondern um ihm einen
Ausweg zu bieten. Er warf ihm sofort einen dankbaren Blick zu.
Yuan Xiuxiu grinste. „Wie mutig Ihr seid, Daozhang Shen. Ihr
habt zwei Älteste meiner Hehuan-Sekte getötet, und ich bin nicht einmal hierher
gekommen, um diese Rechnungen zu begleichen. Stattdessen habt Ihr es gewagt,
mich zuerst anzusprechen?"
Plötzlich unterbrach jemand anderes. „Wie seltsam. Warum
kann jemand nicht Mitglieder aus Eurer Hehuan-Sekte töten? Schade, dass ich
nicht dabei war, als Daozhang Shen sie getötet hat, sonst hätte ich ihn mit
Jubelschreien und Trommelwirbeln angefeuert! Wenn sich jeder von euch wirklich
gegen die Hehuan-Sekte verbünden will, dann lasst bitte auch unsere
Huanyue-Sekte mitmachen. Meiner Meinung nach ist Daozhang Shen von edlem
Charakter und Prestige ‒ er ist
die beste Wahl als Allianzanführer!"
Zu dieser neuen Stimme erschien ein junger Mann auf den Steinstufen
und wedelte mit einem Fächer.
Und wer zum Teufel war das jetzt?
Alle hatten das Gefühl, dass ihre Augen überlastet wurden.
Aber Shen Qiaos Kopf begann plötzlich zu pochen.
Erklärungen:
Zhangjiao, 掌教.
Wörtlich übersetzt "Sektenanführer", wird üblicherweise für daoistische
Sekten verwendet.
Wuniang, 五娘.
Wörtlich übersetzt "fünfte Tochter". Bezieht sich darauf, dass Gu Hengbo
die Fünfte im Rang ihrer Kampfgeschwister ist.
Wenn der
Tiger abwesend ist, ist der Affe König, 可以指手划脚地指挥别人了。这真是山中无老虎, 猴子称大王啊,
ist das chinesische Äquivalent zum deutschen Sprichwort ‘Wenn die Katze
abwesend ist tanzen die Mäuse auf dem Tisch‘.
Fee ist ein
in Romanen häufig verwendeter Begriff der zur Beschreibung einer Frau von
ätherischer, himmlischer Schönheit benutzt wird.
Shaoxia, 少侠.
Wörtlich übersetzt ‘junger Held‘. Eine allgemeine Anrede für Kampfkünstler aus
der Jianghu.
Man kann dem Feind, der mit einem
Lächeln kommt, nicht trauen,
ist eine Redewendung. Sie spricht davon, dass wenn ein Rivale oder Feind
einem Großzügigkeit oder Freundlichkeit entgegenbringt, sollte man misstrauisch
gegenüber seinen Motiven sein.
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Jaja, Hochmut kommt vor dem Fall XD Die Wang Brüder sollten jetzt mal darüber nachdenken. Aber in diesem Kapitel passiert so viel. Da erscheint plötzlich Gu Hengbo. Sie hat eine Art an sich, dass man sie einfach gleich mag. Was sie erzählt macht Sinn bzw. was sie erlebt hat und dass sie ebenfalls den Berg verlassen hat. Aber noch weiß man zu wenig über sie bzw. ob sie wirklich so freundlich ist und nicht irgendwelche Hintergedanken hat. Und dann taucht Yuan Xiuxiu und ist wohl auf Krawall aus. Die Stimmung gibt sofort. Alle sind angespannt und nicht gut auf sie zu sprechen. Sehn Qiao hilft, was die Aufmerksamkeit von ihr, auf ihn lenkt. Das wird jetzt sicherlich sehr interessant werden. Und wo bleibt Yan Wushi schon wieder? Ich geb mal wieder eine Suchanzeige raus. *sigh*
AntwortenLöschen(Falls ich irgendwelche Namen falsch benützt habe, bitte korrigieren. Es sind wieder so viele Namen hier aufgetaucht in den letzten Kapitel #__#)
Gu Hengbo wurde im Prinzip von Shen Qiao aufgezogen, also kann aus ihr im Prinzip nur eine herzensgute Person werden. Und keine Sorgen Gu Hengbo ist voll und ganz auf Shen Qiaos Seite und wurde nicht von Yu Ai oder so geschickt. Leider hat sie nach diesem Storyabschnitt keinen Auftritt mehr, - genauso wie Yuwen Song -, was ich sehr schade finde.
LöschenYuan Xiuxiu verursacht mal wieder Ärger und ohne einen Yan Wushi wird die Hehuan-Sekte viel vage mutiger. Ob er noch auftaucht, verrate ich nicht, aber eines kann ich die sagen, es wird spannend bleiben.
PS: Alle Namen sind richtig eingesetzt und geschrieben worden, das hast di gut gemacht. ^^
Danke für die Kapitel, bin sehr gespannt wer der junge Mann ist!
AntwortenLöschenEinen Tipp kann ich dir schon Mal geben, Bai Rong ist es nicht.
LöschenAm Anfang des Kapitels dachte ich mir, gut dass Yan Wushi nicht da ist, der wäre sehr eifersüchtig geworden, bei diesem freudigen Wiedersehen 🤣
AntwortenLöschenUnd diese Eifersucht hätte Yan Wushi in Neckereien gegenüber Shen Qiao ausgelassen. Armer A-Qiiao.
Löschendie beiden brüder haben jetzt das bekommen was ihnen zusteht sie wurden geschlagen. wer taucht da auf jemand den shen kennt. hach wie herrlich wenn immer solche missverständnise auftauchen. gut das dieses wiedersehen einer nicht gesehen hat wer weis was dann passiert wäre. die beiden scheinen sich auch zu kennen aber nicht gut zu sprechen. shen hilft im aus dem schneider doch was hören sie und sehen sie da tauch wer auf ,wär könnte das sein.
AntwortenLöschenIch finde es schön, dass endlich mal wieder jemand auftaucht der vom Xuandu-Berg kommt und eine positive Einstellung sowie Beziehung zu Shen Qiao hat. Es wurde endlich mal Zeit für sowas, ich habe es echt vermisst.
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