Kapitel 101

Der Besucherin war einfach gekleidet, doch sie war unvergleichlich anmutig und schön. Ihr schwarzes Haar war zu einem hohen Dutt hochgesteckt und mit Jadefäden zusammengehalten. Shen Qiao war nicht die einzige Person, deren Aufmerksamkeit erregt wurde ‒ die meisten Anwesenden wurden von dem plötzlichen Auftauchen dieser unbekannten Frau in den Bann gezogen und drehten alle ihre Köpfe in ihre Richtung.

Sie trug ein Langschwert auf dem Rücken, hatte gute Laune und strahlende Augen. Doch ihr Gang war nicht im Geringsten weiblich, und sie wurde auch nicht nervös unter den Blicken der Schaulustigen. Sie blieb gelassen und sicher, und als sie zusammen mit dem Schüler des Chunyang-Klosters eintrat, warf sie einen Blick in die Runde. Als sie Shen Qiao erblickte, zeigte sich zunächst eine unkontrollierbare Überraschung auf ihrem Gesicht, gefolgt von überraschter Freude. Sie wartete nicht darauf, dass der Schüler, der sie führte, sie zu Yi Pichen brachte, sondern flog mit einem Zehenspitzenschlag auf Shen Qiao zu.

Shen Qiao war ebenfalls gerade aufgestanden, und zwei Augenpaare starrten einander an. Das Mädchen flog herbei wie eine Schwalbe, die in ihr Nest zurückkehrt, und umarmte ihn innig.

Die Blicke der Schaulustigen verdrehten sich augenblicklich merkwürdig.

Zhangjiao-Shixiong!" Das Mädchen bekam von den Gedanken der anderen nichts mit, und es war ihr auch egal. Sie hielt ihn lange Zeit fest, bis Shen Qiao ihr auf den Rücken klopfte. Erst dann ließ sie ihn los.

Als Zhao Chiying diese Ansprache hörte, wusste er, dass das Mädchen eine Schülerin des Xuandu-Berges sein musste: Shen Qiaos Shimei.

Natürlich führte Shen Qiao sie an der Hand hinüber und stellte sie Zhao Chiying vor. „Dies ist meine fünfte Shimei, Gu Hengbo. Wuniang, das ist die Sektenanführerin der Bixia-Sekte, Zhao."

In der Vergangenheit hatte Zhao Chiying gehört, dass Qi Fengge fünf Schüler hatte: Tan Yuanchun, Shen Qiao, Yu Ai, Yuan Ying und Gu Hengbo. Es gab nur eine weibliche Schülerin, und das musste natürlich die Gu Hengbo sein, die vor ihr stand.

Wenn man sie jetzt ansah, schien das Mädchen aus kalter, edler Jade geschnitzt zu sein. Die Aura einer Unsterblichen umgab sie und verlieh Gu Hengbo ein außergewöhnliches Auftreten. Sie war in der Tat eine schöne junge Dame.

Gu Hengbo und Zhao Chiying sahen sich an, dann lachte Gu Hengbo. „Euer berühmter Ruf eilt Euch voraus, Zhao-Zhangjao, obwohl ich nicht erwartet hatte, Euch hier zu treffen. Wuniang kann sich glücklich schätzen!"

Es war klar, dass sie die Etikette kannte, aber als sie vorhin Shen Qiao gesehen hatte, war sie so aufgeregt gewesen, dass sie auf niemanden mehr Rücksicht nehmen konnte.

Die beiden tauschten einen Gruß aus, dann fragte Shen Qiao: „Wuniang, wann bist du angekommen? Ist Yu Ai auch hier?"

Gu Hengbo schüttelte den Kopf. „Nein, wir hatten einen großen Streit. Ich war eine Weile weg vom Berg, und ich habe gar nicht vor, zurückzukehren."

Shen Qiao runzelte die Stirn. „Was ist passiert? Hat er dich schlecht behandelt?"

Gu Hengbo verzog die Lippen zu einem Lächeln, als wäre die ganze Angelegenheit nicht von Bedeutung. „Das ist eine lange Geschichte, warum reden wir nicht später darüber? Ich habe gehört, dass hier eine Schwertprüfungskonferenz abgehalten wird, also bin ich auf den Berg gekommen, um mich selbst davon zu überzeugen. Ich hatte nicht erwartet, hier Zhangmen-Shixiong zu treffen."

Als Shen Qiao hörte, wie sie ihn wie bisher "Zhangmen-Shixiong" nannte, fühlte er tief in seinem Herzen eine große Gefühlswelle. „Nun gut. Lass mich dich zuerst zu Abt Yi bringen."

Gu Hengbo hatte natürlich keine Einwände. Sie war erst sehr spät in die Sekte eingetreten, wodurch ein erheblicher Altersunterschied zwischen ihr und ihren Shixiongs bestand. Als Sektenanführer war Qi Fengge unglaublich beschäftigt, weshalb es ihm unmöglich war, seine Schüler jeden Tag persönlich anzuleiten. Es waren Tan Yuanchun und Shen Qiao, die Gu Hengbo die meisten ihrer Kampfkünste beigebracht hatten, und von den beiden verbrachte Shen Qiao mehr Zeit mit ihr. Deshalb behandelte Gu Hengbo ihren Shixiong wie einen Bruder und Vater, und sie verehrte und bewunderte ihn sehr. Sie standen sich viel näher als die durchschnittlichen Mitschüler.

Gu Hengbo war außergewöhnlich schön, und viele junge Schüler konnten nicht anders, als sie anzustarren. Als sie sahen, wie intim sie mit Shen Qiao war, entwickelten sie alle einige Missverständnisse, und auch Yi Pichen war da keine Ausnahme. Erst als Shen Qiao sie vorstellte, verstand er. „Qi-Zhangjao war wahrlich ein Stolz des Himmels auch seine Schüler sind alle hervorragend", sagte er. „Ich habe das Glück, zwei von ihnen zu treffen. Wenn ich an die Großartigkeit von Qi-Zhangjao in der Vergangenheit zurückdenke, kann ich nicht anders, als es herzzerreißend zu finden!"

Er war schon immer geschickt im Umgang mit sozialen Situationen. Als er sah, dass Gu Hengbo allein gekommen war, fragte er nicht nach dem Grund. Nach ein paar Höflichkeiten erfuhr er, dass Shen Qiao und Gu Hengbo nach langer Trennung gerade wieder zusammengekommen waren und sich wohl viel zu sagen hatten. Er ließ jemanden ein weiteres Sitzkissen neben Shen Qiao legen, so dass die Kampfgeschwister ihr Gespräch fortsetzen konnten.

Shen Qiao und Gu Hengbo setzten sich, aber er stellte schnell fest, dass sie geistesabwesend war und sich leicht ablenken ließ. „Was ist los, Wuniang?", fragte er verwirrt.

Gu Hengbo riss sich zusammen und schüttelte den Kopf: „Es ist nichts. A-Xiong hat in letzter Zeit sehr gelitten, nicht wahr? Während ich mich draußen herumtrieb, hörte ich oft Nachrichten über dich. Auch ich bin schuld an meiner Nachlässigkeit. Damals auf dem Xuandu-Berg war ich nicht in der Lage, diesen Bastard Yu Ai zu durchschauen. Deshalb musste A-Xiong so viel leiden."

„Damals tappte selbst ich im Dunkeln, ganz zu schweigen von dir", erwiderte Shen Qiao. „Die Angelegenheit ist bereits vorbei, und Reue ist jetzt sinnlos. Aber wie kam es dazu, dass du dich so heftig mit Yu Ai gestritten hast?"

„Nachdem du von der Klippe gestürzt wurdest, war der Xuandu-Berg ohne Anführer, aber die Situation versank nicht im Chaos, sondern stabilisierte sich schnell unter der Führung von Yu Ai. Alles war in bester Ordnung, und einige Älteste meinten sogar, dass man den Xuandu-Berg nicht einmal einen Tag lang ohne Anführer lassen könne, da dein Status unbekannt sei. Sie beschlossen, dass Yu Ai die Position des Sektenanführers übernehmen sollte."

„Es ist gut, dass der Xuandu-Berg nicht im Chaos versunken ist." Shen Qiao hörte zum ersten Mal, wie eine Schülerin des Xuandu-Berges das Ereignis mit all seinen Insidergeschichten beschrieb. Selbst jetzt waren ihm noch nicht alle Einzelheiten klar. Als Gu Hengbo jedoch unermüdlich erzählte, lichtete sich der Nebel ein wenig.

„Damals wurde mir befohlen, auf dem Xuandu-Berg Wache zu halten, weswegen ich deinen Kampf nicht persönlich beobachten konnte", fuhr sie fort. „Als die Nachricht erhielt, war es, als hätte mich der Blitz getroffen. Ich war in Panik und ratlos, aber als ich später genau darüber nachdachte, kam mir etwas komisch vor, und ich hatte das Gefühl, dass hier etwas faul war. Denn wir, ja sogar die meisten Schüler des Xuandu-Bergs, waren alle unendlich traurig über deinen Unfall, Zhangmen-Shixiong. Nur Yu Ai war entschlossen, seine Handlungen waren ausschlaggebend und mitreißend. Auch wenn er oberflächlich betrachtet traurig aussah, war sein Verhalten doch sehr verdächtig.

Nach diesem Vorfall bist du schon einmal zum Xuandu-Berg zurückgekehrt, aber Yu Ai konnte dich dort nicht festhalten. Danach sagte er, dass du würdest mit Mitgliedern der dämonischen Disziplin zusammenarbeiten. Zu dieser Zeit war Da-Shixiong vor Ort, aber ich war es nicht. Später sah ich, dass Da-Shixiong besorgt und unruhig zu sein schien, also nutzte ich die Gelegenheit, ihn zu fragen, aber er zauderte nur und weigerte sich, mir die Wahrheit zu sagen."

Tan Yuanchun war schon immer unentschlossen gewesen. Er war unter den Schülern des Xuandu-Bergs dafür bekannt, dass er zu entgegenkommend war und eine Art Fußabtreter darstellte. Er bedauerte, was mit Shen Qiao geschehen war, war aber nicht in der Lage, gegen Yu Ai entschieden vorzugehen. Dieses Verhalten war für ihn nicht überraschend.

Gu Hengbo fuhr fort: „Einmal hörte ich ihn mit dem Ältesten Chai sprechen. Es schien, als hätten sie den Ausgang deines Duells mit Kunye vorausgesehen. Ich wurde mir immer sicherer, dass mehr dahinter steckte, dass Yu Ai uns etwas verheimlicht haben musste. Erst später, als er ankündigte, dass der Xuandu-Berg mit den Kök-Türken zusammenarbeiten würde, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Ich habe Yu Ai gefragt, ob er schon lange mit den Kök-Türken zusammenarbeitet und ob dein Sturz von der Klippe und die schweren Verletzungen damit zusammenhängen."

Shen Qiao schüttelte den Kopf. „Wie könnte er es zugeben, wenn du ihn so fragst?"

Gu Hengbo lächelte verbittert. „Natürlich hat er es nicht zugegeben. Nicht nur das, er hat nur so getan, um mich zu beschwichtigen in jener Nacht schlich er sich in mein Zimmer und griff mich an. Ich habe es jedoch rechtzeitig bemerkt, habe gegen ihn gekämpft und bin den Berg hinunter geflüchtet. Seitdem bin ich nicht mehr zurückgekehrt."

Shen Qiao schwieg einen Moment lang. „Du bist eine geschickte Kampfkünstlerin, aber du bist Yu Ai nicht gewachsen", sagte er. „Er hatte damals auch die volle Kontrolle über den Xuandu-Berg und wäre durchaus in der Lage gewesen, dich gefangen zu nehmen, doch er ließ dich vom Berg entkommen. Die Freundschaft zu seinen Mitschülern liegt ihm noch immer am Herzen, und deshalb hat er dich gehen lassen."

„Selbst wenn das stimmt, hat er dich vergiftet, weswegen du von der Klippe gefallen bist und all deine Kampfkünste verloren hast", protestierte Gu Hengbo. „Meiner Meinung nach ist dieser kleine Tropfen Freundlichkeit so, als würde eine Katze falsche Tränen über eine Maus vergießen. Da-Shixiong ist nicht in der Lage, Recht und Unrecht zu unterscheiden, und so zieht er es vor, ein Tiger zu sein und Yu Ai bei seinen Untaten zu unterstützen. Aber ich weigere mich, mit ihm zu verkehren."

„Und was ist mit Yuan Ying? Was ist mit ihm geschehen?"

Gu Hengbo schüttelte den Kopf. „Bevor ich den Berg verließ, habe ich Si-Shixiong heimlich einen Brief dagelassen, in dem ich diese Angelegenheit erklärte. Ich weiß nicht, ob er ihn gelesen hat, aber seit ich den Xuandu-Berg verlassen habe, habe ich nichts mehr von ihm gehört."

Während die beiden Kampfgeschwister sich unterhielten, fanden auf dem Wettkampfplatz mehrere Kämpfe statt. Wang-Sanlang war ein arroganter Mann, aber seine Kampfkünste waren unter der jüngeren Generation herausragend. Nachdem er Zhou Yexue besiegt hatte, gewann er mehrere Kämpfe hintereinander, und selbst Su Qiao unterlag ihm mit nur einer Bewegung; im Moment war er nicht zu stoppen.

Gu Hengbo blickte mehrmals auf die Wettkampfstätte und sagte dann plötzlich: „Wenn der Tiger abwesend ist, ist der Affe König. Ich werde auch gegen ihn kämpfen!"

Bevor Shen Qiao sie aufhalten konnte, betrat sie den Platz und rannte auf Wang-Sanlang zu.

Das plötzliche Auftauchen dieser schillernden Schönheit erregte die Aufmerksamkeit des gesamten Publikums. Wang-Sanlang zeigte sich den anderen gegenüber arrogant, aber vor Gu Hengbo fühlte er sich durch die unerwartete Aufmerksamkeit geschmeichelt und zeigte sogar die Bescheidenheit, die man von einem Spross einer Adelsfamilie erwartet. „Schwerter und Säbel kümmern sich nicht darum, wen sie schneiden, und ich möchte diese Fee nicht verletzen. Warum geben wir uns nicht die Hand und schließen Frieden?"

Gu Hengbo antwortete gleichgültig: „Ihr seid also nicht gekommen, um Euch zu messen, sondern einfach nur, um einen aufgeblasenen Wichtigtuer zu mimen?"

Wang-Sanlang hatte nicht damit gerechnet, dass diese Schönheit so bissig sein würde. Gedemütigt knurrte er: „Natürlich nicht!"

Gu Hengbo zog ihr Schwert. „Dann fangt bitte an!"

Zhao Chiying beobachtete ihren Kampf, und obwohl sie überrascht war, fand sie, dass es zu erwarten war. „Eure Shimei ist wirklich außergewöhnlich berühmte Meister bringen brillante Schüler hervor. Sie hat eindeutig die gleiche Quelle wie Daozhang Shen. Nachdem ich euch beide in Aktion gesehen habe, glänzt du noch mehr!"

„Zhao-Zhangjao ist zu freundlich", sagte Shen Qiao bescheiden. Aber er dachte sich, dass Wuniang normalerweise nicht so impulsiv war. Ihr jetziges Verhalten war etwas seltsam.

Wang-Sanlang war natürlich kein Gegner für Gu Hengbo. Ein Hieb ihres Schwertes schlug ihm das seine aus der Hand, ließ es durch die Luft sausen, bevor es mit der Klinge voran auf den Boden fiel und dort liegen blieb. Ein Schüler des Chunyang-Klosters verkündete lautstark: „Gu Hengbo vom Xuandu-Berg besiegt Wang Zhuo von der Komturei Kuaiji!"

Erst jetzt wurde allen klar, wer Gu Hengbo war. Wang-Sanlangs Gesicht wurde etwas blass, nicht nur wegen seiner eigenen Niederlage, sondern auch wegen der Nachricht, dass die andere tatsächlich die Schülerin von Qi Fengge war. Ratlos verharrte er eine Zeit lang in leichter Benommenheit.

Gu Hengbo zog ihr Schwert aus der Scheide und richtete sich wieder auf, doch ihr Gesicht war frei von Freude. Anstatt zu Shen Qiao zurückzukehren, ging sie auf Yuan Zixiao zu, der damit beschäftigt war, Notizen zu machen.

„Ihr habt Wang-Sanlang schon so lange Aufmerksamkeit geschenkt. Jetzt habe ich gegen ihn gewonnen, aber Ihr schaut mich nicht einmal an?"

Yuan Zixiao hob nicht einmal den Kopf. Ihr Pinsel bewegte sich wie ein schwimmender Drache über das Papier. „Dass Ihr gegen ihn gewonnen habt war das nicht die offensichtliche Schlussfolgerung?", sagte sie.

Gu Hengbo grinste. „Der Liuli-Palast der Insel Fangzhang ist tatsächlichen dermaßen eingebildet. Es ist eine Sache, zu gehen, ohne sich zu verabschieden, aber so zu tun, als würdet Ihr mich nicht kennen, wenn wir uns treffen? Könnte es sein, dass ich, Gu Hengbo, zu schändlich bin, um von Euch anerkannt zu werden?"

Niemand war in der Nähe von Yuan Zixiao Yi Pichen hatte ausdrücklich darum gebeten, etwas Platz um sie herum zu lassen, um ihre Aufzeichnungen nicht zu beeinträchtigen. Die beiden sprachen mit leiser Stimme, so dass es für andere schwierig war, sie deutlich zu hören. Diese Interaktion machte jedoch deutlich, dass die beiden sich kannten. Sie verstanden nur nicht, warum das Gespräch so angespannt schien.

Zu diesem Zeitpunkt waren auch zwei andere Kämpfe entschieden worden die Sieger waren Wang-Erlang und ein Schüler der Chixia-Schwertsekte namens Chao Yu. Diese beiden Sieger sollten als Nächstes gegeneinander kämpfen. Heutzutage war der Schwertkampf im ganzen Land beliebt und weit verbreitet. Die meisten Menschen in der Jianghu führten Schwerter, und diese beiden waren keine Ausnahme.

Die Chixia-Schwertsekte war keine große Sekte, aber da Chao Yu sich inmitten vieler Menschen behaupten konnte, musste die Sekte ihre eigenen Stärken haben. Obwohl Wang-Erlang einen wilden Geist besaß und ein geschickter Schwertkämpfer war, konnte er Chao Yu nach zweihundert Bewegungen immer noch nicht besiegen und verlor schließlich gegen ihn.

Wang-Erlang weigerte sich, sein Schwert loszulassen; sein ganzer Körper wurde von der inneren Energie seines Gegners erschüttert. Er taumelte mehrere Schritte zurück und brach fast im Sitzen zusammen. Chao Yu war gnädig und flog nach vorne, um seinem Gegner zu helfen und ihn vor einer Blamage zu bewahren. Obwohl Wang-Erlang unzufrieden war, wusste er, dass es immer jemanden geben würde, der besser war als er selbst. Er faltete seine Hände zusammen und verließ den Platz unglücklich.

Die Wang-Brüder der Komturei Kuaji waren wie der Donnerhall aufmarschiert, und nun verließen sie den Platz mit eingezogenem Schwanz. Im Vergleich zu ihrem letzten Auftritt in der Haupthalle, als sie ihre Nasen in die Luft gestreckt hatten, war dies ein Unterschied wie Himmel und Erde.

Stärke war alles in der Jianghu, und es war klar, dass sich diese Grünschnäbel noch nicht daran gewöhnt hatten. Sie mochten zwar die Unterstützung der Familie Wang haben, aber am Ende mussten ihre Kampfkünste den Ausschlag geben. Wenn es ihnen daran mangelte, würden sie selbst dann nicht in der Lage sein, den Kopf zu heben, wenn der Himmel selbst käme, um sie zu unterstützen.

Wang-Erlang schaute seinen jüngeren Bruder mit hochrotem Kopf an, dann sah er Shen Qiao in der Ferne sitzen, regungslos wie ein Berg und vollkommen entspannt. Er verspürte den plötzlichen Drang, Shen Qiao zu fragen: Wie hatte er damals, als Kunye ihn vor den Augen der Öffentlichkeit besiegte, dieses Gefühl der Demütigung ertragen können?

Aber abgesehen von den Wang-Brüdern selbst hatte sich die Aufmerksamkeit aller anderen schnell woanders hingerichtet. Chao Yu suchte nicht Gu Hengbo, sondern hob die Hände in Richtung der Schüler des Chunyang-Klosters und sagte mit lauter Stimme: „Chao Yu von der Chixia-Schwertsekte. Könnte ich das Glück haben, Li-Shaoxia um Rat zu bitten? "

Dies war eine offene Herausforderung an Li Qingyu!

Als die Menge dies hörte, machte sich Aufregung breit, und alle, drehten sich zu Li Qingyu um.

Chao Yus Ziele waren sehr klar. Obwohl Gu Hengbo jung war, war sie die Schülerin von Qi Fengge, was sie in dieselbe Generation wie Shen Qiao und streng genommen sogar Yi Pichen stellte. Außerdem trat Gu Hengbo nur selten in der Jianghu auf, wodurch sie nicht sehr bekannt war. Selbst wenn er sie besiegte, würden sich nur wenige Leute wundern, aber bei Li Qingyu war dies anders.

In der gegenwärtigen Jianghu war Li Qingyu das herausragendste Mitglied der jüngeren Generation. Zuvor war er zum Xuandu-Berg gegangen und hatte mit nur einer Bewegung gegen Yu Ai verloren, wovon praktisch jeder gehört hatte. Später, in der Su-Residenz, war er auch gegen den Kök-Türken-Experten Duan Wenyang angetreten, der selbst ein Schüler von Hulugu war. Li Qingyu hatte damals ebenfalls knapp verloren, und Duan Wenyang war einer der zehn Besten der Welt. Obwohl Li Qingyu nicht stark genug für die zehn Besten war, war er auch nicht weit davon entfernt.

Als die Herausforderung ihn benannt hatte, hatte Li Qingyu natürlich keinen Grund, sich dem Kampf zu entziehen. Er hob sein Schwert auf, stand langsam auf und ging aus der Menge heraus.

„Obwohl Eure Schwertkunst in der Tat beeindruckend ist", sagte er zu Chao Yu, „könntet Ihr mich trotzdem nicht mit hundert Bewegungen besiegen."

Chao Yu verfügte über eine ausgezeichnete Selbstbeherrschung, aber er konnte seinen Ausdruck der Entrüstung nicht unterdrücken, als er diese Worte hörte. „Ich respektiere Li-Shaoxias hervorragende Schwertkunst", sagte er, „aber sind diese Worte nicht ein wenig zu viel?"

„Da hat er recht." Plötzlich ertönte im Saal eine lachende Stimme, die unaufhörlichen Charme versprühte und alle bis auf die Knochen betäubte. „Ihr seid ihm nicht ebenbürtig. Es gibt viele Dinge, die man auch ohne Wettstreit erkennen kann. Aus Sorge um Euren Ruf kann Abt Yi nicht so einfach den Mund aufmachen und Euch beleidigen. Ihr müsst mehr Selbstbewusstsein haben."

Alle drehten sich um und sahen eine Frau, die die steinernen Bergstufen hinaufschritt. Sie war so würdevoll wie ein Lotus, ihr Auftreten elegant und ätherisch. Doch gleichzeitig hatten ihre Worte einen Hauch von Scherz und Frivolität, ein völliger Gegensatz zu ihrem Aussehen. Die schiere Uneinigkeit zwischen den beiden ließ die Beobachter vorübergehend verwirrt zurück.

„Die Hier ist ...?" Zhao Chiying verließ ihren Berg nur selten, daher wusste sie natürlich nicht, wer die Frau war.

Shen Qiao sagte streng: „Yuan Xiuxiu die Sektenanführerin der Hehuan-Sekte."

Zhao Chiying zuckte leicht zusammen. Der Name hatte sie wie ein Donnerschlag getroffen.

Zur gleichen Zeit stand auch Yi Pichen auf. „Yuan-Zongzhu beehrt uns mit Ihrer Anwesenheit. Dieser bescheidene Daoist war nicht in der Lage, Euch persönlich zu begrüßen; er bittet Euch um Vergebung."

In dem Moment, in dem Yi Pichen die Identität der Frau preisgab, verzerrten sich die Gesichter vieler Leute plötzlich vor Schreck.

Die dämonische Disziplin genoss einen hervorragenden Ruf, aber wenn es sich bei dem Ankommenden um die Huanyue- oder Fajing-Sekte gehandelt hätte, hätten die anderen vielleicht nicht so reagiert. Diese Reaktion war auf die Vorliebe der Hehuan-Sekte für die parasitäre Kultivierung zurückzuführen, bei der sie die Yin-Energie anderer verbrauchten, um ihr eigenes Yang zu nähren, oder umgekehrt. Wer wusste schon, wie viele Leben sie auf diese Weise genommen hatten? Aufgrund der enormen Macht und des großen Einflusses der Sekte wollte niemand sie provozieren. Wenn es um die Hehuan-Sekte ging, brauchten sie keine Angst mehr vor anderen zu haben, aber alle anderen fürchteten sie.

Yuan Xiuxiu lächelte liebevoll. „Die Unwissenden sind niemals schuldig. Da die Schwertprüfungskonferenz jedem im ganzen Land offen steht, wird Abt Yi mich sicher willkommen heißen und mich nicht abweisen?"

Man kann dem Feind, der mit einem Lächeln kommt, nicht trauen. Hinter ihr folgten mehrere Schüler, allesamt bekannte Mitglieder der Hehuan-Sekte, die auch von vielen Menschen in der Jianghu erkannt wurden.

Yi Pichen nickte langsam. „Alle, die kommen, sind Gäste; Ihr seid natürlich willkommen."

Yuan Xiuxiu lächelte. „Wunderbar. Es sind heute einige alte Freunde hier, und diese Hier war zufällig in der Nähe. Ich habe gehört, dass einige Mitglieder unsere Hehuan-Sekte für zu aggressiv halten und eine Allianz gegen uns bilden wollen. Ist diese Behauptung wahr? Was meint Ihr, Abt Yi?"

Wenn Yi Pichen es bestätigte, würde er in ihre Falle tappen. Wenn er es jedoch leugnete, würde er wie ein zu großer Feigling aussehen, und andere würden seine Fähigkeiten mit Sicherheit infrage stellen. Das Verhalten von Yuan Xiuxiu machte deutlich, dass sie hier war, um Unruhe zu stiften.

Als sie ihre Frage hörten, erschien Zorn auf den Gesichtern vieler, aber ihre Angst vor der Macht der Hehuan-Sekte hinderte sie daran, etwas zu sagen.

In diesem Moment sagte ein anderer: „Abt Yi braucht nicht zu antworten, dieser bescheidene Daoist kann in seinem Namen antworten. Hat Yuan-Zongzhu diese Worte aus Schuldgefühlen gesagt? Fühlt Ihr auch, dass die Handlungen der Hehuan-Sekte unangemessen sind, und fürchtet Ihr, den Zorn der Öffentlichkeit zu erregen und ein unkontrollierbares Feuer zu entfachen? Ist das der Grund, warum Ihr, nachdem Ihr die Nachricht gehört habt, schnell auf den Berg gestiegen seid, um die Flammen zu löschen?"

Die Stimme war ruhig, sanft und beruhigend, ohne aggressiv oder aufdringlich zu wirken.

Yi Pichen verstand, dass er als Gastgeber der Schwertprüfungskonferenz und Anführer des Chunyang-Klosters aufgrund seiner Identität nur schwer antworten konnte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Shen Qiao nicht gesprochen, um ihm das Rampenlicht zu stehlen, sondern um ihm einen Ausweg zu bieten. Er warf ihm sofort einen dankbaren Blick zu.

Yuan Xiuxiu grinste. „Wie mutig Ihr seid, Daozhang Shen. Ihr habt zwei Älteste meiner Hehuan-Sekte getötet, und ich bin nicht einmal hierher gekommen, um diese Rechnungen zu begleichen. Stattdessen habt Ihr es gewagt, mich zuerst anzusprechen?"

Plötzlich unterbrach jemand anderes. „Wie seltsam. Warum kann jemand nicht Mitglieder aus Eurer Hehuan-Sekte töten? Schade, dass ich nicht dabei war, als Daozhang Shen sie getötet hat, sonst hätte ich ihn mit Jubelschreien und Trommelwirbeln angefeuert! Wenn sich jeder von euch wirklich gegen die Hehuan-Sekte verbünden will, dann lasst bitte auch unsere Huanyue-Sekte mitmachen. Meiner Meinung nach ist Daozhang Shen von edlem Charakter und Prestige er ist die beste Wahl als Allianzanführer!"

Zu dieser neuen Stimme erschien ein junger Mann auf den Steinstufen und wedelte mit einem Fächer.

Und wer zum Teufel war das jetzt?

Alle hatten das Gefühl, dass ihre Augen überlastet wurden. Aber Shen Qiaos Kopf begann plötzlich zu pochen.

 

 

 

Erklärungen:

Zhangjiao, 掌教. Wörtlich übersetzt "Sektenanführer", wird üblicherweise für daoistische Sekten verwendet.

Wuniang, 五娘. Wörtlich übersetzt "fünfte Tochter". Bezieht sich darauf, dass Gu Hengbo die Fünfte im Rang ihrer Kampfgeschwister ist.

Wenn der Tiger abwesend ist, ist der Affe König, 可以指手划脚地指挥别人了。这真是山中无老虎, 猴子称大王啊, ist das chinesische Äquivalent zum deutschen Sprichwort ‘Wenn die Katze abwesend ist tanzen die Mäuse auf dem Tisch‘.

Fee ist ein in Romanen häufig verwendeter Begriff der zur Beschreibung einer Frau von ätherischer, himmlischer Schönheit benutzt wird.

Shaoxia, 少侠. Wörtlich übersetzt ‘junger Held‘. Eine allgemeine Anrede für Kampfkünstler aus der Jianghu.

Man kann dem Feind, der mit einem Lächeln kommt, nicht trauen, ist eine Redewendung. Sie spricht davon, dass wenn ein Rivale oder Feind einem Großzügigkeit oder Freundlichkeit entgegenbringt, sollte man misstrauisch gegenüber seinen Motiven sein.




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8 Kommentare:

  1. Jaja, Hochmut kommt vor dem Fall XD Die Wang Brüder sollten jetzt mal darüber nachdenken. Aber in diesem Kapitel passiert so viel. Da erscheint plötzlich Gu Hengbo. Sie hat eine Art an sich, dass man sie einfach gleich mag. Was sie erzählt macht Sinn bzw. was sie erlebt hat und dass sie ebenfalls den Berg verlassen hat. Aber noch weiß man zu wenig über sie bzw. ob sie wirklich so freundlich ist und nicht irgendwelche Hintergedanken hat. Und dann taucht Yuan Xiuxiu und ist wohl auf Krawall aus. Die Stimmung gibt sofort. Alle sind angespannt und nicht gut auf sie zu sprechen. Sehn Qiao hilft, was die Aufmerksamkeit von ihr, auf ihn lenkt. Das wird jetzt sicherlich sehr interessant werden. Und wo bleibt Yan Wushi schon wieder? Ich geb mal wieder eine Suchanzeige raus. *sigh*
    (Falls ich irgendwelche Namen falsch benützt habe, bitte korrigieren. Es sind wieder so viele Namen hier aufgetaucht in den letzten Kapitel #__#)

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    1. Gu Hengbo wurde im Prinzip von Shen Qiao aufgezogen, also kann aus ihr im Prinzip nur eine herzensgute Person werden. Und keine Sorgen Gu Hengbo ist voll und ganz auf Shen Qiaos Seite und wurde nicht von Yu Ai oder so geschickt. Leider hat sie nach diesem Storyabschnitt keinen Auftritt mehr, - genauso wie Yuwen Song -, was ich sehr schade finde.
      Yuan Xiuxiu verursacht mal wieder Ärger und ohne einen Yan Wushi wird die Hehuan-Sekte viel vage mutiger. Ob er noch auftaucht, verrate ich nicht, aber eines kann ich die sagen, es wird spannend bleiben.
      PS: Alle Namen sind richtig eingesetzt und geschrieben worden, das hast di gut gemacht. ^^

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  2. Danke für die Kapitel, bin sehr gespannt wer der junge Mann ist!

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    1. Einen Tipp kann ich dir schon Mal geben, Bai Rong ist es nicht.

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  3. Am Anfang des Kapitels dachte ich mir, gut dass Yan Wushi nicht da ist, der wäre sehr eifersüchtig geworden, bei diesem freudigen Wiedersehen 🤣

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    1. Und diese Eifersucht hätte Yan Wushi in Neckereien gegenüber Shen Qiao ausgelassen. Armer A-Qiiao.

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  4. die beiden brüder haben jetzt das bekommen was ihnen zusteht sie wurden geschlagen. wer taucht da auf jemand den shen kennt. hach wie herrlich wenn immer solche missverständnise auftauchen. gut das dieses wiedersehen einer nicht gesehen hat wer weis was dann passiert wäre. die beiden scheinen sich auch zu kennen aber nicht gut zu sprechen. shen hilft im aus dem schneider doch was hören sie und sehen sie da tauch wer auf ,wär könnte das sein.

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    1. Ich finde es schön, dass endlich mal wieder jemand auftaucht der vom Xuandu-Berg kommt und eine positive Einstellung sowie Beziehung zu Shen Qiao hat. Es wurde endlich mal Zeit für sowas, ich habe es echt vermisst.

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