Angesichts von Shen Qiaos grenzenlosem Schwertlicht wartete Sang Jingxing natürlich nicht darauf, dass es ihn tötete, aber was in den Augen der Zuschauer wie ein unzerstörbarer Schwertschild aussah, war für ihn nicht besonders furchterregend.
Shen Qiaos Gegner war immerhin ein Zongshi der Kampfkünste.
Sang Jingxing bewegte sich, schnell wie eine Sternschnuppe.
Seine Robe wogte nach oben, und seine ganze Person schien auf den Winden zu
reiten, als er sich in die Luft erhob wie ein Unsterblicher, der unter der
Sonne aufsteigt. Im Bruchteil einer Sekunde schwebte er in der Luft und schlug
mit der Handfläche nach Shen Qiao, der sich hinter dem verwobenen Schwertschild
befand.
Der Wind von Sang Jingxings Handfläche prallte auf das
Schwertlicht. Mit einem Mal war es, als ob der Sternenhimmel auf einem See
zerbrochen wäre: Nach einem eisigen Moment begann der Schwertschild zu zittern,
bevor er in Scherben zerfiel. Sang Jingxings Handflächenschlag hatte es
geschafft, ein Loch hindurch zu schlagen!
Sang Jingxing schwebte in der Luft und hatte keinen Boden
unter den Füßen, doch in den Augen der Zuschauer schienen dort unsichtbare
Steine zu liegen, die es ihm ermöglichten, Schritt für Schritt nach oben zu
springen.
Er war schon immer ein großer Mann gewesen, aber jetzt, als
er sich mit raschelnder Robe und Schneidenden Drachenhandflächen, die den Zenit
der Vollkommenheit erreicht hatten, gegen den Wind in den Himmel erhob, glich
er einem Drachen, der hoch am Himmel flog. Ein Drache, dessen mächtiges Gebrüll
die gesamte Schöpfung bezwingen konnte, Furcht einflößend und imposant, als
wolle er bis zu den neun Himmeln vordringen.
Obwohl der gesamte Veranstaltungsort von dem Handgemenge
erfasst war, gab es immer noch einige Schüler des Xuandu-Berges, die nicht
eingreifen konnten, weil sie nur mittelmäßige Kampfkünstler waren. Sie konnten
nur von der Seite zusehen und ihre Schwerter halten. Als sie sahen, wie mächtig
Sang Jingxing war, schlug ihnen sofort das Herz bis zum Hals. Sie sahen hilflos
zu, wie dieser riesige Drache, der durch die Verdichtung des wahren Qi
entstanden war, auf Shen Qiao zustürzte, der von Sang Jingxing gesteuert wurde.
Im Vergleich dazu sah Shen Qiao etwas schwach und kraftlos
aus.
„Was für dämonische Techniken wendet Sang Jingxing an?",
platzte ein Schüler heraus. „Wie kann er in der Luft laufen?"
Lou Liang schaute auf und beobachtete ihn mit offenem Mund.
Doch als er die schiere Kluft zwischen ihnen sah, stieg in seinem Herzen ein
Gefühl der Unterlegenheit und Scham auf.
Wie viele Monate und Jahre würde er noch trainieren müssen,
um eine Kampfkunst wie die von Sang Jingxing zu erlangen? Eigentlich brauchte
er nicht wie Sang Jingxing zu sein ‒ wenn er nur ein Zwölftel der Stärke dieses
Mannes hätte, wäre er mehr als zufrieden!
Aber würde Shen-Shishu mit einem so starken Gegner fertig werden.
In diesem Moment lieferten sich Bian Yanmei und Xiao Se
einen erbitterten Kampf, während Le An gegen Bai Rong antrat. Als Kampfkünstler
war Yun Chang etwas schwächer, so dass er nicht eingreifen konnte. Außerdem
wollte er seinem Shixiong nicht noch mehr Schwierigkeiten bereiten, also konnte
er nur von der Seite zusehen und bereit sein, ihm zu helfen, wenn es nötig war.
In Wahrheit war Bai Rong jedoch weitaus geschickter als Le An, und selbst Le An
konnte erkennen, dass die Dämonin vor ihm nicht bereit war, ihre volle Kraft
einzusetzen. Sie wich mühelos dem Wind seines Schwertes aus, als ob sie nur mit
ihm spielen wollte. Das frustrierte Le An, aber er konnte nichts tun, also
konnte er nur seine Wut unterdrücken und weiterkämpfen.
Als Yun Chang die Frage nach Sang Jingxing hörte, erklärte
er dem anderen Schüler: „Wenn er kein Unsterblicher ist, wie kann dann jemand
einfach so durch die Luft fliegen? Schau genauer hin, er benutzt seine eigenen
Bewegungen als Hebel. Bei jedem Schritt, den er macht, stößt er sich an den
Fußspitzen seiner eigenen Füße ab. Er nutzt dieses winzige bisschen Kraft, um
sich immer höher zu katapultieren, aber weil Sang Jingxings Bewegungen zu
schnell sind, sieht es so aus, als würde er auf Wolken laufen und fliegen! Mein
Shifu hat einmal gesagt, dass es in der Hehuan-Sekte eine Fußtechnik namens ‚Sechzehn
Schritte vom Himmel bis zum Abgrund‘ gibt, mit der man dies erreichen kann,
aber sie erfordert immer die Koordination von tiefgreifender innerer Energie."
Alle starrten gebannt und erkannten, dass dies wirklich der
Fall war, aber selbst wenn sie das Geheimnis verstanden hätten, wären sie nicht
in der Lage gewesen, eine solches Qinggong über Nacht zu entwickeln. Bei ihrer
Begabung würde selbst die Energie eines ganzen Lebens nicht ausreichen, um dies
zu erreichen. Allein der Anblick dieser Kunstfertigkeit reichte aus, um
Verzweiflung in ihnen aufsteigen zu lassen.
Aber wenn Sang Jingxing so beeindruckend war, konnte Shen-Shishu
ihm dann wirklich widerstehen?
Innerhalb eines augenblicks gingen ihnen viele Gedanken
durch den Kopf, aber für die beiden Kämpfer war es nur ein Wimpernschlag. Der
riesige Drache brüllte leise und trug das wilde Heulen der Winde mit sich. Er
war bereits vor Shen Qiao, nur noch Zentimeter entfernt. Sogar seine Robe und
seine Ärmel wurden von dem heftigen Sturm weggefegt, und es schien, als würde
er ganz weggeblasen werden.
Sang Jingxings Angriff war so überwältigend, dass er sowohl
den Himmel als auch die Erde auslöschte.
Das einst so brillante und schillernde Schwertlicht
verblasste, als das wahre Qi der Schneidenden Drachenhandfläche es einhüllte.
Nach und nach verschwand es, als wäre es endgültig verschlungen und zerdrückt
worden. Das gesamte Schwertlicht war nun erloschen.
War das ... eine Niederlage?
Jeder, der den Kampf beobachtete, stellte sich
stillschweigend die gleiche Frage.
Alle Schüler des Xuandu-Berges, wie Yun Chang und Lou Liang,
fühlten angesichts dieser Situation eine Leere in ihren Herzen und dachten,
dass der Xuandu-Berg vielleicht keine Zukunft hatte. Aber abgesehen davon
hielten sie dies für eine Selbstverständlichkeit. Schließlich waren die
Kampfkünste von Sang Jingxing so mächtig, dass es wohl niemand mit ihm
aufnehmen konnte.
Doch genau in diesem Moment tauchte das Schwertlicht, das
bereits verschwunden war, plötzlich wieder auf und leuchtete von Neuem. Und es
schwoll an und schwoll an, bis es sich schließlich zu einem einzigen
Lichtstrahl zusammenzog.
Nein, nicht ein Lichtstrahl. Es war ein einziges Schwerlicht!
Das Schwertlicht war da, aber Shen Qiao war bereits aus dem
Blickfeld aller verschwunden. Ein Bogen aus weißem Licht durchbohrte das
blutige Maul des Riesendrachens, und der Drache, den Sang Jingxing durch sein
Qi kondensiert hatte, löste sich vollständig auf und verstreute sich in alle
Richtungen.
Die Barriere aus innerer Energie vor Sang Jingxing, die er
durch seine eigene innere Energie errichtet hatte, erlitt ebenfalls einen
großen Aufprall, und seine gesamte Gestalt schwankte in der Luft.
Es dauerte nur einen Augenblick. Plötzlich erschien ein
weißer Lichtbogen. Die Person war eine Illusion, doch das Schwert war echt.
Keiner der Zuschauer hatte einen klaren Blick darauf, wie sich Shen Qiao
bewegte; sie spürten nur eines: Schnelligkeit.
Schnell wie der Blitz, ohne Zeit zum Reagieren zu haben.
Sang Jingxing übertraf mit seinen Kampfkünsten die der
Zuschauer bei Weitem, und da er sich in der Nähe von Shen Qiao befand, konnte
er dessen Bewegungen natürlich sehen. Aber nur weil er ihn deutlich sehen
konnte, hieß das noch lange nicht, dass er bereit war, sich ihm frontal zu
stellen. Die scharfe Klinge des Schwertes durchschlug seine Angriffe, und im Nu
hatte Shen Qiao den Spieß umgedreht. Sang Jingxing beschloss, der Klinge
vorerst auszuweichen, und sein Körper flog zurück.
Er flog mit unglaublicher Schnelligkeit und zog sich in
einem Atemzug mehrere Meter zurück. Die Sanqing-Halle lag unter ihm, und Sang
Jingxing landete auf dem Dachvorsprung. Mit einem winzigen Fußtritt wechselte
er sofort die Richtung und stürmte erneut auf Shen Qiao zu.
Diesmal setzte er die ganze Kraft seiner Schneidenden
Drachenhandfläche ein, weil er sich einredete, dass sein vorheriges Sondieren
bereits die Tiefen seines Gegners ausgelotet hatte. Diesmal hatte er eine klare
Vorstellung davon, und er würde sich nicht mehr zurückhalten.
Duelle zwischen Zongshis der Kampfkünste wurden nie durch
geschickte Tricks gewonnen. Letztendlich konnte nur die wahre Stärke über Sieg
oder Niederlage entscheiden.
Sang Jingxing liebte Shen Qiaos Aussehen, und er hatte schon
zahllose sexuelle Fantasien von ihm gehabt, in denen er sich die bewegende
Szene vorstellte, in der der Mann zwischen den Bettvorhängen lag. Je
unerreichbarer Shen Qiao war, desto mehr begehrte er ihn. Er war sogar ein
wenig eifersüchtig auf Yan Wushis Glück in Sachen Liebe und Sex.
Aber er wusste auch sehr gut, dass Shen Qiao, selbst als er
blind und ohne die meisten seiner Fähigkeiten gewesen war, immer noch in der
Lage gewesen war, alles auf eine Karte zu setzen, um Sang Jingxing mit sich in
die Tiefe zu reißen. Dies deutete darauf hin, dass Shen Qiao eine
Rücksichtslosigkeit in sich trug, die so groß war, dass er selbst in den verzweifeltesten
Situationen bis zum Tod kämpfen würde.
Das durfte nicht unterschätzt werden.
Diesmal setzte Sang Jingxing also acht bis neun Zehntel
seiner Kampfkraft ein; er würde nicht die geringste Spur von Nachsicht oder
Zärtlichkeit zeigen.
Beide Seiten waren entschlossen zu gewinnen, umhüllt von
mörderischen Absichten.
Sein Handflächenstoß brüllte, noch stärker als zuvor. Es war
wie ein Sturm, der auf dem Meer tobte, und die gewaltigen Wellen waren im
Begriff, selbst den Himmel wegzufegen. Das war die Macht einer Schneidenden
Drachenhandfläche, die auf ihren Höhepunkt trainiert worden war: Neun Drachen
verdichteten sich und stürmten aus Sang Jingxings aufgewühltem wahren Qi
hervor, die alle aus verschiedenen Richtungen auf Shen Qiao zustürzten.
Die zweite kam, bevor die erste Welle überhaupt abgeklungen
war.
Alle hielten den Atem an, als sie diese Szene beobachteten.
Selbst diejenigen, die kämpften, verlangsamten unbewusst ihre Bewegungen.
Wenn zwei Tiger kämpfen, muss einer fallen. Shen Qiao und
Sang Jingxing, diese Zongshis der Kampfkünste, wer würde gewinnen und wer würde
verlieren?
Die Rangliste der zehn Besten der Welt hatte Yun Chang, Lou
Liang und die anderen längst erreicht ‒ sie wussten, dass Shen Qiao
dazugehörte, und zwar mit einem Rang, der noch höher war als der von Sang
Jingxing. Doch man glaubte, was man sah, nicht was man hörte. Bevor sie sich
selbst davon überzeugen konnten, wagten sie es nicht, dem Ganzen zu trauen,
denn der Kampf auf dem Banbu-Gipfel in jenem Jahr und die Niederlage von Shen
Qiao waren ihnen noch lebhaft in Erinnerung ‒ sie hatten einen tiefen Eindruck hinterlassen.
Die Szene, in der Shen Qiao von Kunye von der Klippe
gestoßen wurde, hinterließ einen so tiefen Eindruck, dass viele Menschen, die
Shen Qiaos großen Aufstieg vom Grund des Abgrunds, seinen schrittweisen
Aufstieg, nicht miterlebt hatten, trotz der veränderten Zeiten in ihren Herzen
an Shen Qiaos Stärke zweifelten und sich fragten, ob er Sang Jingxing wirklich
besiegen konnte.
Das wahre Qi strömte aus allen Richtungen und von überall
her auf Shen Qiao zu, wie eine wütende Flut und schnitt ihm praktisch jeden
Rückzugsweg ab. Dann sammelte es sich um Shen Qiao, bevor es über seinem Kopf
zusammenstürzte. Dieser Handflächenschlag fasste Jahrzehnte von Sang Jingxings
höchsten Errungenschaften in der Geschnitzten Drachenhandfläche zusammen. Jeder
Zongshi der Kampfkunst, selbst Yan Wushi, konnte es sich nicht leisten, ihn auf
die leichte Schulter zu nehmen oder Leichtigkeit vorzutäuschen.
Shen Qiao bewegte sich.
Mit einem Zehenspitzenschlag sprang er vom Boden ab.
Sein Schwert schnellte nach oben, wie eine Kluft, die einen
Berg in zwei Teile spaltet.
In einem Augenblick stürzte der Berg ein, die Erde brach
auf, und eine innere Energie, die stark genug war, um Ozeane in der Schwebe zu
halten, brach hervor und drängte nach vorne.
Eine Welle war stärker als die andere, und die beiden Ströme
des wahren Qi trafen frontal aufeinander, begleitet von der unbändigen Kraft
des Schwertes. Ein gewaltiges Gebrüll ertönte, dann spuckte Sang Jingxing einen
Mund voll frisches Blut aus. Völlig unfähig, dem standzuhalten, brach er
zusammen, sein Körper wurde von der schweren Kraft, die ihn von vorne erfasste,
niedergestreckt. Unwillkürlich wurde er zurückgeschleudert und fiel direkt vom
Dach der Sanqing-Halle.
Gerade als er den Boden berühren wollte, schlug er mit der
Handfläche hinter sich auf. Noch einmal sprang er hoch und flog auf Shen Qiao
zu, dann schickte er ihm drei Handflächenschläge hintereinander.
Shen Qiao wollte gerade sein Schwert heben, um sie
aufzulösen, doch in diesem Moment ertönte plötzlich ein leises Pfeifen hinter
ihm. Das Geräusch war zwar leise, aber es hatte bereits seine Ohren erreicht.
Dieses kleine Geräusch kam mit großer Geschwindigkeit,
direkt in die Mitte seines Rückens, ohne ihm eine Chance zum Ausweichen zu
geben. Egal wie schnell sich Shen Qiao bewegen konnte, er war immer noch ein
Mensch und kein Gott. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich bereits voll und ganz
auf den Kampf mit Sang Jingxing konzentriert; er konnte sich nicht einmal mehr
um etwas anderes kümmern. Sein Schwert befand sich bereits mitten im Angriff;
es blieb keine Zeit zum Ausweichen, geschweige denn, sich mitten in der Aktion
umzudrehen, um den Angriff zu blockieren.
Drei Handflächen waren vor ihm angekommen!
Jede Handfläche war stärker als die andere, aber niemals
schwächer als die vorherige. Shen Qiao erkannte nun, dass Sang Jingxing zwar
Blut gespuckt hatte, seine Verletzungen aber nicht wirklich schwerwiegend waren
‒ er hatte Shen Qiao nur dazu bringen wollen, ihn zu unterschätzen und eine
Lücke zu offenbaren.
Hinter ihm war das pfeifende Geräusch zum Greifen nah, ein
Entkommen war unmöglich. Shen Qiao biss insgeheim die Zähne zusammen und war
gezwungen, seinen gesamten Rücken ungeschützt zu lassen und sich ganz auf die
Front zu konzentrieren.
Plötzlich stürzte ein dunkler Schatten auf ihn zu, der ihn
zufällig von hinten abschirmte.
Shen Qiao hörte nur ein dumpfes Stöhnen, gefolgt von dem
Geräusch eines Körpers, der schwer zu Boden fiel. Dann ertönte der schockierte
Ausruf „Yu-Shishu!" in seiner Nähe.
Sein Herz sank, aber er konnte nicht zurückblicken. Er
konnte nur sein Schwert heben, um Sang Jingxing zu treffen.
Unter dem gemeinsamen Kummer der Berge und Flüsse hallten
Wind und Donner wider, und Sonne und Mond überschnitten sich. Das grelle Licht
des Schwertes verwandelte sich in tausend kleine Sternenpunkte, die heller
leuchteten als die Sterne selbst. Diese winzigen Punkte fielen wie vom Himmel
in die Augen und sogar in das Herz. Doch in dieser herrlichen Szene, die mit
Tinte und Pinsel nicht zu beschreiben ist, lag eine furchterregende,
mörderische Absicht, die nur diejenigen wahrnehmen konnten, die mitten im Kampf
standen.
Als Sang Jingxing erkannte, dass alle drei seiner
Handflächen von Shen Qiao aufgelöst worden waren, drehte er sich um und rannte
ohne einen weiteren Gedanken daran. Er war absolut nicht entschlossen, seinen
Ruf über sein Leben zu stellen. Solange er noch lebte, würde es noch Hoffnung
geben ‒ solange der bewaldete Berg noch stand, würde es Brennholz zum
Verbrennen geben. Sang Jingxing hatte Yuan Xiuxiu das Amt des Sektenanführers
entrissen ‒ er hatte sich noch nicht genug daran gewöhnt. Es gab zu viele Dinge,
die er nicht aufgeben wollte. Es war unmöglich für ihn, wie Shen Qiao zu sein
und in einer aussichtslosen Situation bis zum Tod zu kämpfen.
Allein vom Kampfgeist her hatte er also schon verloren.
Als er sich umdrehte und floh, fegte das Schwertlicht mit
der Leichtigkeit von Ein Regenbogen spannt sich über den Himmel auf
seinen Rücken zu. Es verfolgte ihn unerbittlich, treibend.
Viele hatten ihr ganzes Leben lang den Umgang mit dem
Schwert geübt, aber sie hatten noch nie einen so wendigen Schwertkampf gesehen,
der an das Übernatürliche grenzte. Alle starrten darauf, wie erstarrt, und ihre
Herzen waren über alle Maßen erschüttert.
Sang Jingxing spürte zuerst ein Frösteln in der Mitte seines
Rückens, gefolgt von einem scharfen Schmerz. Er konnte nicht glauben, dass seine
‚Sechzehn Schritte vom Himmel bis zum Abgrund‘ gegen Shen Qiaos Ein
Regenbogen spannt sich über den Himmel verloren hatte. Seine anfänglichen
Siegeschancen waren bereits verschwunden, und alles, was in seinem Herzen noch
übrig war, war Angst. Er beschleunigte seine Schritte und versuchte
verzweifelt, alle seine jahrzehntelangen Qinggong-Errungenschaften bis zum
Äußersten zu treiben. Sein Körper bewegte sich so schnell, dass er sich in eine
leichte Rauchwolke verwandelte und vor den Augen aller verschwand, nur einen
Blutfleck auf dem Boden hinterlassend.
Bai Rong hatte ihre Bewegungen ständig beobachtet. Als sie
das sah, blitzten ihre schönen Augen auf. „Shizun, was ist los?!", rief
sie lieblich.
Dann ließ sie Le An stehen und rannte hinter Sang Jingxing
her, in die Richtung, in die er geflohen war.
Xiao Se hasste insgeheim Bai Rongs Gerissenheit, und er
hasste sich selbst noch mehr dafür, dass er einen Schlag zu langsam war. In
einem Moment der Unachtsamkeit traf Bian Yanmeis Handfläche seine Brust, und er
hustete Blut, während er einige Schritte zurückwich.
Währenddessen drehte sich Shen Qiao um, anstatt Sang
Jingxing zu verfolgen.
Erst jetzt sah er, dass eine silberne Ahle in Yu Ais Brust
steckte. Der Schaft der Ahle war nur so dick wie ein Zweig, aber der größte
Teil steckte in ihm. Blut tropfte aus Yus Ais Mund, und sein Gesicht war
aschfahl. Die Lage sah ernst aus.
Shen Qiao nahm Yu Ai aus den Armen von Yun Chang und floss
wahres Qi in sein Handgelenk, aber sein Herz sank.
Yu Ai war schon vor dem Attentat verletzt worden. Die
Besteigung des Berges hatte auch seine Kräfte erschöpft, und nun hatte er sogar
diesen Schlag für Shen Qiao abgewehrt.
Sein Puls war schwach, wie eine einzelne Kerze, die im Wind
flackert, oder ein Pfeil, der am Ende seines Fluges ist. Selbst der Unsterbliche Daluo wäre wahrscheinlich nicht in der
Lage, dies rückgängig zu machen.
Aber die Einspeisung von wahrem Qi in ihn hatte schließlich
doch eine Wirkung. Yu Ais Körper zitterte leicht, und er öffnete langsam die
Augen.
Als er erkannte, dass die Person, die ihn festhielt, Shen
Qiao war, griff er nach dessen Hand und sagte schwach: „Er-Shixiong ... A-Qiao ..."
„Ich bin hier." Egal wie wütend Shen Qiao gewesen war,
der größte Teil seiner Wut hatte sich verflüchtigt, als Yu Ai ihn vor dem
hinterhältigen Angriff beschützt hatte. In diesem Moment empfand er nur noch
Kummer, und doch tröstete er ihn: „Überanstrenge dich nicht beim Sprechen. Ruh
dich richtig aus. Ich werde deine Wunden behandeln."
Yu Ai schüttelte sanft den Kopf und hatte Mühe, zu sprechen:
„Gerade eben war die Person, die dich angegriffen hat, Tan ... Tan Yuanchun!"
Schockiert und wütend schaute sich Shen Qiao um. Tan
Yuanchun, der eigentlich gegen die Kök-Türken kämpfen sollte, war bereits
völlig verschwunden. Duan Wenyang wurde von zwei anderen Ältesten aufgehalten
und konnte sich vorerst nicht befreien, um Shen Qiao noch mehr Ärger zu
bereiten.
„Mach dir keine Sorgen", sagte Bian Yanmei zu ihm, „Ältester
Liu ist bereits losgezogen, um ihn zu verfolgen. Ich werde auch nachsehen!"
Dann wandte er sich an Yun Chang und Le An's Shifu, Ältester Kong Zeng: „Ich
überlasse das dir, Ältester Kong."
Kong Zeng war zu spät gekommen und wusste nicht, wer Bian
Yanmei war, aber da er Shen Qiao kannte, ignorierte er ihn natürlich nicht,
sondern sagte schnell: „Daoyou, bitte sei beruhigt. Ich bin hier!"
Tan Yuanchun hatte sich mit den Kök-Türken zu einem Komplott
gegen Yu Ai zusammengetan. Obwohl Shen Qiao das nicht erwartet hatte, war er
auch nicht allzu schockiert. Wer anderen schadet, wird selbst geschädigt; wie
man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Yu Ai hatte sich an jenem Tag
gegen ihn verschworen, also hätte er damit rechnen müssen, dass andere eines
Tages dasselbe mit ihm tun würden.
Aber Shen Qiao hatte nicht damit gerechnet, dass Yu Ai in
einer kritischen Situation, in der es um Leben und Tod ging, vortreten und
sogar sein Leben für ihn opfern würde.
„A-Qiao hasst du mich immer noch?", fragte Yu Ai.
„Ich weiß es nicht", Shen Qiao wollte ihn nicht
täuschen. „Damals, als Shizun mir das Amt des Sektenanführers übertrug, hätte
ich mir nicht vorstellen können, dass diese Ereignisse danach eintreten würden.
Hätte ich sie vorhersehen können, hätte ich ihn nicht als Anführer abgelöst."
„Ich ... habe sie auch nicht erwartet." Yu Ai gab ein
bitteres Kichern von sich und hustete ein paar Mal. Mehr Blut tropfte aus
seinem Mundwinkel: „Ich dachte immer ... dass alles, was ich tat, richtig war,
dass Shizun zu konservativ war und dass du zu nutzlos warst. Aber später habe
ich gelernt ... dass derjenige, der von Anfang bis Ende im Unrecht war ...
immer ... ich … war!
„Die Tore des Xuandu-Bergs sind seit Langem verschlossen",
sagte Shen Qiao streng. „Wir haben unsere Augen und Ohren verschlossen und uns
vom Rest der Welt isoliert. Es ist ein Punkt erreicht, an dem Reformen nicht
mehr zu vermeiden sind. Vorher war ich fest entschlossen, das Erbe, das Shizun
mir hinterlassen hat, zu schützen, aber ich habe nie darüber nachgedacht, ob diese
Methode für den Xuandu-Berg angemessen ist. Es war nur falsch von Euch, mit den
Kök-Türken zusammenzuarbeiten und mich zu vergiften. Aber Eure Liebe und Eure
Sorge um den Xuandu-Berg sind Dinge, die selbst ich nicht übertreffen kann."
„Aber am Ende", sagte Yu Ai, „war ich trotzdem ... derjenige,
die sich geirrt hat. Ich hätte dir nicht misstrauen sollen, ... und ich hätte
nicht gierig sein sollen ..."
Er hustete heftig, und das Blut strömte mit noch größerer
Wucht heraus. Erschrocken versuchte Shen Qiao, ihm mehr innere Energie
zuzuführen, aber er stellte fest, dass seine Energie, die in Yu Ais Körper
eindrang, wie Schlamm war, der im großen Meer versank ‒ sie hinterließ keine
Spuren. (Hier Bild 2 einfügen.)
„Jetzt werde ich mein Leben einsetzen, um es dir
zurückzuzahlen. Hasse mich nicht mehr ... in Ordnung, A-Qiao?" Yu Ai
schien nicht mehr bei Bewusstsein zu sein, doch er hielt weiterhin Shen Qiaos
Hand.
Shen Qiaos Tränen tropften eine nach der anderen auf seinen
Handrücken, weshalb Yu Ai vor Hitze zitterte, aber der Mann lächelte trotzdem. „Du
... weinst um mich ... Das bedeutet, dass du mich nicht mehr hasst ... oder?"
„Ich hasse dich nicht mehr", sagte Shen Qiao. „Wenn es
dir wieder besser geht, lass uns zusammen Shizun besuchen."
Die warme und sanfte Berührung wirkte nostalgisch auf Yu Ai,
und seine Gedanken konnten nicht anders, als bei diesem Satz in die Ferne zu
schweifen. „Wie gerne würde ich ...", hustete er, „... in die Zeit
zurückkehren, als wir jung waren ... Du könntest Yuan Ying und mir ... den
Schwertkampf beibringen ... an Shizuns Stelle. Dein Gesicht war immer so steif ...
aber es war immer sehr süß ... egal, wie man es betrachtete. Ich bin dir
hinterhergelaufen ... und wollte, dass du mich ... Shixiong nennst. Du warst so
genervt von mir ... dass du dich nur noch vor mir verstecken konntest ... also habe
ich überall gesucht, gesucht und gesucht ..."
Seine Stimme wurde leiser und leiser, bis sie schließlich
ganz verklang.
Die Hand, die Shen Qiao umklammert hielt, löste langsam
ihren Griff, und so wie das Leben ihres Besitzers entglitten war, glitt sie
lautlos zu Boden.
Erklärungen:
Der Unsterblicher Daluo wird auch Dao-Vorfahr genannt. Daluo ist ein alter Unsterblicher aus den alten Zeiten, der viele Welten im Universum erschaffen hat und einer der stärksten alten Unsterblichen überhaupt ist.
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Wer hätte gedacht, das Yu Ai so sterben würde. Ich ging wirklich davon aus, das es mal einen großen Kampf zwischen den beiden geben wird. So gefällt es mir aber besser, wenn es auch sehr tragisch ist und man gemischte Gefühle hat, was Yu Ai angeht. Er hat für seinen Verrat an Shen Qiao gebüßt und zum Schluss ihn noch beschützt, was ihm letztlich das Leben gekostet hat. Aber so konnten beide abschließen und vielleicht auf ihre Art und Weise miteinander Frieden schließen.
AntwortenLöschenDer Kampf davor, war klasse, so wie er beschrieben wurde.
Ich dachte, auch das Shen Qiao und Yu Ai gegeneinander kämpfen würden, aber dass er sich für Shen Qiao opfert, hat mich doch sehr überrascht und sehr berührt. Am Ende hast du recht, dieses Ende ist besser als ein Kampf. Aber was wäre, wenn Yu Ai überlebt hätte, dann hätte man ihre Versöhnung irgendwie in die Story einbauen müssen und das hätte nicht mehr geklappt, da das Ende der Hauptstory kurz bevorsteht, und für ein Extrakapitel wäre eine solche Versöhnung zu unwürdig und nicht ausreichend gewesen.
LöschenDadurch das Shen Qiao auch Yu Ai am Ende wieder geduzt hat, konnte er ihm auf eine subtile Art und Weise sagen, dass ihm verziehen hat, bevor Yu Ai gestorben ist.
Ein wirklich spannender Kampf, schade nur, dass Sang Jingxing erstmal entkommen ist, den hätte man doch wirklich gerne durch Shen Qiao fallen sehen. Was für eine Entwicklung, Yu Ai opfert sich und erlangt so für sich Vergebung
AntwortenLöschenIch fand, es auch schade das Shen Qiao Sang Jingxing nicht komplett "vermöbeln" konnte, immerhin hat er es von allen am meisten verdient, Sang Jingxing eine ordentliche Abreibung zu verpassen. Erst recht, wenn man bedenkt, wie lüstern er Shen Qiao immer anguckt und auch so ekelhaft pervers über ihn denkt.
LöschenYu Ais Opferung und Shen Qiaos Vergebung waren ein schöner Abschluss für deren Beziehung.