Kapitel 111

Yan Wushi hatte in seinem Leben schon viele Schönheiten und Schönlinge gesehen. Aber als er plötzlich Shen Qiao in Frauenkleidern begegnete, empfand er ein unbeschreibliches Erstaunen.

Das war seine erste Reaktion.

Die zweite war: Mein ehrwürdiges Ich hat wirklich ein gutes Auge.

Die Kunst der Verkleidung war anspruchsvoll und nuanciert. Abgesehen davon, dass man sein Gesicht direkt verändern konnte, so wie Huo Xijing es tat, war es völlig unmöglich, sein Äußeres plötzlich komplett zu verändern. Deshalb blieb Shen Qiaos Gesicht auch nach der Verkleidung als Frau ungefähr dasselbe wie vorher. Das Dienstmädchen der Huanyue-Sekte war jedoch schlau und nahm einige Detailänderungen vor, so dass die Konturen seines Gesichts sanfter und weiblicher wirkten. Das machte es selbst für diejenigen, die Shen Qiao kannten, schwierig, ihn zu erkennen.

Shen Qiao war schon immer sehr gutaussehend gewesen, aber jetzt, wo er gepudert und geschminkt war, fiel er natürlich nur noch mehr auf. Selbst in der Kleidung eines Dienstmädchens und ohne kostbare Juwelen oder Gold- und Silberschmuck auf dem Kopf zogen andere schon nach einem kurzen Blick ihre Aufmerksamkeit auf ihn.

Auch Yan Wushi hatte dieses Problem bemerkt: „Mach sein Gesicht etwas blasser."

Nach einem Augenblick waren Shen Qiaos Gesicht und Hals verdunkelt und wirkten fahl, was seine überwältigende Schönheit um ein Drittel minderte. Das Dienstmädchen war akribisch ‒ sogar die Farbe seiner Hände wurde verändert, damit nichts anormal aussah.

Doch weder Bian Yanmei noch Shen Qiao kannten irgendwelche Techniken zur Knochenschrumpfung. Obwohl sie Frauenkleider trugen, waren sie immer noch groß und damit zu auffällig. Dementsprechend fand Puliuru Jian zwei Dienstmädchen aus dem Herrenhaus, die ebenfalls eher groß waren. Frauen aus dem Norden sind in der Regel groß, so dass die Aufgabe nicht allzu schwierig war. Obwohl sie immer noch einen halben Kopf kleiner waren als Bian Yanmei, war der Größenunterschied nicht allzu offensichtlich, nachdem sie ihre Fußsohlen erhöht hatten. Die Schaulustigen dachten nur, dass diese vier Dienstmädchen, die den Palast betraten, überdurchschnittlich groß waren, und schenkten den beiden verkleideten Männern keine besondere Aufmerksamkeit.

Nachdem die Vorbereitungen abgeschlossen waren, war es an der Zeit, den Palast zu betreten. Shen Qiao und Bian Yanmei nahmen das für die Kaiserin bestimmte Geschenk aus der Residenz des Gongs Sui und trugen es mit beiden Händen vor sich her, während sie sich den beiden anderen Zofen anschlossen. Gemeinsam betraten sie den Palast.

In Wahrheit war Shen Qiao um seine eigene Sicherheit nicht allzu besorgt. Bei seinen Kampffähigkeiten würde er, solange er nicht frontal in Xueting hineinlief, der Gefahr allein entkommen können, selbst wenn die kaiserlichen Wachen ihn umzingelten. Wenn er aber auch noch die beiden jungen Meister und eine Kaiserin mitnehmen müsste, würde es zu schwierig werden. Wenn etwas schief ging, selbst wenn Puliuru Jian ihn nicht dafür verantwortlich machte, würde Shen Qiaos eigener Ruf in alle Winde zerstreut werden, und er hätte kein Gesicht mehr, um in der Jianghu zu bleiben.

Seine Gedanken drehten und wendeten sich. Man sah es seinem Gesichtsausdruck nicht an, aber in dem Moment, in dem er durch das Palasttor trat, hatte er bereits begonnen, den kürzesten Weg aus dem Palast zu berechnen.

„Hör auf zu suchen." Bian Yanmei schien zu wissen, was er dachte. Ohne die Lippen zu bewegen, benutzte er die Klangübertragung, um Shen Qiao heimlich zu informieren: „Yuwen Yun hat den Titel der Kaiserin an fünf Frauen verliehen. Die Kaiserin, die wir retten wollen, ist zwar die Großkaiserin des Zentralpalastes, aber sie ist die am wenigsten bevorzugte. Deshalb befindet sich ihr Palast im Nordwesten. Es ist ein weiter Weg von hier nach dort."

Auch Shen Qiao sendete leise zurück: „Gibt es im kaiserlichen Palast nicht auch Tore? Und was ist wenn wir vom Nordtor aus starten?"

„Das nördliche Palasttor ist nie geöffnet", antwortete Bian Yanmei, „Die Palastmauer ist auch hoch; wir könnten vielleicht selbst darüber springen, aber es wird viele Probleme geben, wenn wir zwei oder drei weitere Leute mitnehmen müssen. Die Wachen unter Yuwen Yun sind nicht zimperlich. Wenn wir umzingelt sind und ihre Bogenschützen auf uns schießen, haben wir keine Chance zu entkommen, selbst wenn wir uns Flügel wachsen lassen.

Shen Qiao runzelte ein wenig die Stirn.

Schon lange vor ihrer Abreise hatten sie sich auf einen Fluchtweg geeinigt: Shen Qiao und Bian Yanmei würden sich mit der Kaiserin treffen, dann die kaiserlichen Wachen am Tor ins Innere locken und sie besiegen. Dann würden sie mit der Kaiserin und den beiden Söhnen von Puliuru Jian fliehen. Wenn es ihnen gelänge, die verschiedenen Patrouillen und Kampfkünstler auf dem Weg zu umgehen, würden vor den Toren Leute warten, um sie zu empfangen ‒ dann wären sie in Sicherheit.

Sobald die Geiseln aus den Händen von Yuwen Yun befreit waren, konnte Puliuru Jian direkt einen Putsch starten. Xueting befand sich derzeit im Qingliang-Tempel, wohin Yan Wushi gehen würde, um ihn zu behindern. Sang Jingxing und Yuan Xiuxiu waren nicht in der Hauptstadt, wodurch die Hehuan-Sekte vorerst führerlos blieb. Dies war eine vom Himmel geschenkte Gelegenheit. Puliuru Jian stand bereits in geheimer Verbindung mit den Truppen, die die Hauptstadt verteidigten. Sollte sein Plan gelingen, würden die Flüsse und Berge einen neuen Herrscher sehen und die Sonne und der Mond würden an einem neuen Himmel scheinen.

Aber während Pläne perfekt sein konnten, war die Realität viel schwieriger ‒ selbst die sorgfältigsten Pläne enthielten Fehler. Außerdem war die Sache selbst so plötzlich geschehen, dass wenig Zeit für Präzision blieb, und es gab viele Variablen. Nur der Himmel konnte wissen, ob sie Erfolg haben würden.

Wenn Shen Qiao und Bian Yanmei nicht in der Lage waren, die Geiseln zu befreien, würde Puliuru Jian den Staatsstreich natürlich trotzdem vorzeitig durchführen, da Yuwen Yun zwangsläufig alarmiert werden würde.

Zu diesem Zeitpunkt war es jedoch sinnlos, sich Gedanken über die Vergangenheit oder die Zukunft zu machen, denn das würde sie nur übervorsichtig und unentschlossen machen. Shen Qiao und Bian Yanmei folgten den beiden Dienstmädchen und gingen durch die zahlreichen Säle. Schritt für Schritt näherten sie sich der Qingning-Halle, in der die Herrin Puliuru lebte.

Der Eunuch führte sie zum Eingang der Qingning-Halle. Sein gealtertes Gesicht war gleichgültig, als er sagte: „Ihre Hoheit, die Kaiserin, ist gerade drinnen. Bevor ihr eintretet, öffnet bitte die Gegenstände, die ihr mitgebracht habt. Die Wachen müssen sie inspizieren."

Natürlich waren sie bereits vor dem Palasttor kontrolliert worden, sonst hätten sie den Palast nicht betreten können. Aber der Kaiser mochte Herrin Puliuru nicht, und so hatten sich alle im Palast daran gehalten, Steine auf die Unterdrückten zu werfen. Das war nichts Neues ‒ solange es Menschen gab, gab es Leute, die denen, die über ihnen standen, schmeichelten und die, die unter ihnen standen, mit Füßen traten.

Die beiden Dienstmädchen waren bereits mit Herrin Dugu im Palast eingetroffen. Als die Aufforderung zur Inspektion kam, traten sie einen Schritt vor und drückten dem Eunuchen einen schweren, bestickten Beutel in die Hand und sagten: „Nur ein kleines Zeichen unserer Wertschätzung ‒ Teegeld für diesen Kammerherrn. Wir bitten ihn, sich nicht an seiner Unzulänglichkeit zu stören."

Der Eunuch fühlte den Inhalt durch den Seidenstoff. Es war kein Silber, sondern ein Jadeanhänger, der noch wertvoller als Silber war. Sein Lächeln wurde endlich aufrichtig, und er bat die Wachen nicht, sie weiter zu untersuchen: „Die Kaiserin muss von der ganzen Warterei aufgeregt sein. Ihr solltet schnell hineingehen und gehen, sobald ihr fertig seid. Zögert nicht."

Die Dienstmädchen stimmten zu, dankten dem Eunuchen und führten Shen Qiao und Bian Yanmei hinein.

Die Kaiserin hatte die Nachricht gehört, dass der Kaiser ihrer Familie den Besuch des Palastes erlaubt hatte, und sie hatte ihre beiden jüngeren Brüder bereits in die Haupthalle gebracht, wo sie saßen und warteten.

Normalerweise war die Kaiserin das Oberhaupt der sechs Paläste, so dass sie den Kaiser nicht hätte informieren müssen, wenn sie ihrer leiblichen Familie Einlass gewähren wollte. Doch nach der Jin-Dynastie waren die gesellschaftlichen Regeln zusammengebrochen und in Unordnung geraten. Und nun, da Yuwen Yun auf dem Thron saß, hatte er begonnen, seine eigenen Regeln aufzustellen und sogar fünf Kaiserinnen gleichzeitig ernannt. Selbst wenn die Familie Puliuru die höchste Position innehatte, wer hatte so etwas in der Geschichte je gesehen? Selbst Liu Cong hatte nur vier Kaiserinnen ernannt. Yuwen Yuns Handeln war wirklich beispiellos. Herrin Puliuru stammte ebenfalls aus einer reichen und mächtigen Familie ‒ auch wenn ihr Gesicht es nicht verriet, war es unmöglich, dass sie keinen Groll hegte.

Nach dem ständigen Hausarrest, unter dem sie die ganze Zeit gelitten hatte, röteten sich ihre Augenränder sofort, als sie die Leute sah, die ihre leibliche Familie geschickt hatte.

Das Dienstmädchen verbeugte sich und sagte: „Der Herr und die Herrin sind sehr besorgt um die Kaiserin und die beiden jungen Meister. Sie haben eigens für sie Kleidung und Essen vorbereitet und uns diesen Bescheidenen befohlen, den Palast zu betreten und sie vorzustellen.

Während sie sprach, machte sie eine Geste.

Die Kaiserin verstand sofort und führte sie in einen Nebenraum der inneren Halle.

„Jemand beobachtet uns von draußen", sagte sie, „wenn wir hier reden, können sie uns nicht hören. Es ist sicher genug. Vater und Mutter haben euch gebeten, eine Nachricht zu übermitteln, nicht wahr?"

Das Dienstmädchen antwortete nicht, sondern drehte sich nur zur Seite, um die Leute hinter ihr durchzulassen.

Als die Kaiserin sie zum ersten Mal gesehen hatte, waren ihre Köpfe gesenkt und ihre Kleidung mit der der anderen Dienstmädchen identisch gewesen, weswegen sie ihnen keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Aber jetzt, als sie sie wieder ansah, merkte sie, dass etwas nicht stimmte.

Ihre leibliche Familie hatte doch sicher keine so großen Dienstmädchen? Sie schienen einen Kopf größer zu sein als alle anderen in ihrem Palast.

„Ihr seid ...?"

Bian Yanmei hatte kein Interesse an überflüssigen Worten. Er stellte sich und Shen Qiao kurz vor und erzählte der Kaiserin dann von ihrem Rettungsplan.

„Das ist viel zu gefährlich", protestierte die Kaiserin mit besorgter Miene, „Ihr wisst es vielleicht nicht, aber obwohl Zenmeister Xueting den Palast verlassen hat, sind seine Schüler immer noch hier, um dem Kaiser Schriften zu rezitieren. Es sind auch Mitglieder der Hehuan-Sekte hier. Ihr müsst uns immer noch mitnehmen, und ich fürchte, dass ihr beide allein nicht ausreichen werdet. Wenn irgendetwas schief geht, werden all eure Bemühungen umsonst gewesen sein."

Sie stammte nicht aus der Jianghu, und es war viele Jahre her, dass sie in den Palast eingeheiratet hatte. Selbst wenn sie über die Huanyue-Sekte und den Xuandu-Berg Bescheid wüsste, könnte sie nicht wissen, was für ein großartiger Kampfkünstler Shen Qiao war.

Bian Yanmei hatte auch nicht die Zeit, weiter zu erklären: „Gong Sui hat uns mit dieser Aufgabe betraut. Hätten wir keine Zuversicht auf Erfolg, würden wir niemals eine so gefährliche Taktik anwenden."

Herrin Puliuru war immer noch voller Zweifel: „Diese Dienstmädchen haben mit mir viele Entbehrungen durchlitten. In dem Moment, in dem wir gehen, werden sie unweigerlich die Wut des Kaisers zu spüren bekommen ..."

„Ich habe gehört, dass Eure Hoheit der Kaiserin Zhu sehr nahesteht", sagte Bian Yanmei, „Sobald wir abreisen, können die Dienstmädchen, die Ihr bevorzugt, bei Kaiserin Zhu Schutz suchen. Der Kaiser wird sich auf uns konzentrieren; er wird nicht daran denken, ein paar Dienstmädchen zu verfolgen."

Die beiden jüngeren Brüder der Kaiserin erkannten Bian Yanmei ‒ sie waren bereits aufgestanden und gingen zu ihm hinüber. Shen Qiao und Bian Yanmei hoben jeweils einen der Jungen auf. Als die Kaiserin dies sah, ließ sie alle weiteren Proteste fallen, stand schnell auf und folgte den beiden.

Aber genau in diesem Moment stürmte ein vertrautes Dienstmädchen der Kaiserin, das vor der Tür gestanden hatte, herein. „Schlechte Nachrichten, Eure Hoheit!", sagte sie eindringlich, „Seine Majestät hat ein Gefolge bei sich, und sie kommen hierher!"

Die Besuche des Kaisers waren so selten, dass sie so gut wie alle paar Tausend Jahre vorkommen konnten. Die Kaiserin war fassungslos.

Wenn Yuwen Yun kam, musste er von Experten der Hehuan-Sekte oder der buddhistischen Disziplin begleitet werden. Wenn Shen Qiao und Bian Yanmei jetzt alle herausholen wollten, würde es nicht so einfach sein.

Die beiden sahen sich an. Sie hatten keine andere Wahl, als ihre Pläne für den Moment zu ändern.

Der Kaiserin blieb nur die Zeit, ihren Brüdern in aller Eile zu sagen, dass sie nichts verraten sollten, bevor Yuwen Yun und seine Männer bereits eingetroffen waren.

Yuwen Yuns Temperament war sehr eigenartig ‒ vielleicht lag es daran, dass der sehr strenge vorherige Kaiser ihn so lange unterdrückt hatte. Als er plötzlich befreit worden war, musste er sich zu schrecklichen Extremen aufgeschwungen haben. Eine andere Erklärung gab es wirklich nicht. Die Kaiserin Herrin Puliuru hingegen besaß ein gutes Temperament und ging mit den Dingen fair um. Wann immer sie konnte, half sie den Dienstmädchen und Konkubinen, die von Yuwen Yun misshandelt und bestraft wurden. Sie verstand sich gut mit allen im Palast und ertrug Yuwen Yuns Beleidigungen stillschweigend mit Gleichmut. Wenn selbst jemand wie sie Yuwen Yuns Launenhaftigkeit nicht ertragen konnte, zeigte das nur, wie schrecklich das Temperament des Kaisers war. Yuwen Xian und die anderen dienten als Lektion für die Vergangenheit, und selbst wenn Puliuru Jian keine Gedanken an Rebellion gehabt hätte, hätte Yuwen Yuns Verhalten genau diese Gedanken zum Ausbruch gebracht.

Um sich ohne Ermahnung durch seine Minister ausleben zu können, hatte Yuwen Yun seinem Sohn Yuwen Chan den Thron überlassen, aber er nahm nicht den Titel eines emeritierten Kaisers an. Stattdessen proklamierte er sich selbst zum Tianyuan-Kaiser. Die Minister der Zhou-Dynastie hatten eine derartig bizarre Entwicklung noch nie erlebt. Obwohl sie ihre Beschwerden nicht laut aussprachen, konnten sie nicht umhin, sie im Stillen als absurd zu bezeichnen.

Normalerweise besuchte Yuwen Yun die Kaiserin nur selten. Wenn er es tat, dann um zu schreien und seine Wut an ihr auszulassen. Doch heute war sein Gesichtsausdruck seltsam freundlich ‒ er hatte sogar ein Lächeln aufgesetzt, dass so erfrischend, wie eine Frühlingsbrise war.

Die Kaiserin trat aus dem Palasttor, um ihn zu empfangen, aber Yuwen Yun ergriff ihre Hand und zog sie wieder hinein. Dann fragte er ihre beiden jüngeren Brüder: „Haben sich die kleinen Schwager an das Leben im Palast gewöhnt?"

Der älteste Sohn von Puliuru Jian antwortete nur zögerlich und schwieg, aber der jüngere war cleverer. Er zerrte an seinem Bruder und zwang ihn zu einer Verbeugung. „Vielen Dank für Eure Besorgnis, Eure Majestät. Es geht uns beiden sehr gut."

Yuwen Yun lächelte: „Was für schöne Dinge hat euch Gong Sui heute geschickt?", fragte er.

Während er sprach, fiel sein Blick auf Shen Qiao und die anderen.

„Es sind nur Lebensmittel und Kleidung, nichts Nennenswertes", sagte die Kaiserin.

„Im Palast mangelt es nicht an solchen Dingen", sagte Yuwen Yun, „Euer Vater ist viel zu aufdringlich, selbst wenn er sie von jemandem außerhalb des Palastes liefern lässt. Kann es sein, dass er glaubt, dass ich dich innerhalb des Palastes schlecht behandelt habe?"

„Eure Majestät spricht zu ernst", sagte die Kaiserin hastig, „Es ist nur so, dass meine jüngeren Brüder diese Konkubine innerhalb des Palastes begleiten. Sie sind seit ihrer Kindheit nie von zu Hause weggegangen, deshalb können mein Vater und meine Mutter nicht anders, als sie zu verwöhnen. Bitte nehmt es ihnen nicht übel, Eure Majestät."

„Warum seid Ihr so besorgt? Ich habe Ihnen nichts verboten. Wenn ich es getan hätte, könnten sie den Palast gar nicht betreten!" Yuwen Yun kicherte leicht und sagte dann zu Shen Qiao: „Du, heb deinen Kopf."

Natürlich konnte Shen Qiao nicht so tun, als hätte er nichts gehört.

„Ich dachte, sie hätte ein anständiges Profil. Deine Haut ist zwar etwas dunkel, aber wenn du sie gut pflegst, könntest du dein Aussehen auf die nächste Stufe bringen!"

Shen Qiao hatte wirklich nicht erwartet, dass Bian Yanmeis ungünstige Bemerkung wahr werden würde. Der Kaiser hatte wirklich mit ihm geflirtet!

Obwohl er das dachte, sagte er nichts. Er machte einen panischen Gesichtsausdruck und trat einen Schritt zurück, dann senkte er erneut den Kopf.

Die Kaiserin trat schnell vor, lächelte den Kaiser sanft an und sagte: „Eure Majestät war schon lange nicht mehr hier. Diese Konkubine hat Tag und Nacht gewartet, und nun kann ich endlich Euer erhabenes Gesicht sehen; mein Herz ist voller Freude. Ich frage mich, ob Eure Majestät zu einer Mahlzeit bleiben möchte?"

Einen Augenblick zuvor hatte Yuwen Yun noch einen zufriedenen Gesichtsausdruck gezeigt, doch jetzt verdüsterte er sich plötzlich. „Für wen hältst du dich eigentlich? Du wagst es, mich zu bitten, dich zum Essen zu begleiten? Ich ekele mich schon bei deinem Anblick! Wer weiß, ob du nicht mein Essen vergiftest?"

Heute konnte sich Shen Qiao endlich von dem Ruf des Kaisers überzeugen, temperamentvoll und unberechenbar zu sein. Yan Wushi war zwar auch launisch, aber das war etwas ganz anderes.

Wenn es um Yan Wushis Persönlichkeit ging, konnten andere sagen: „Er ist ein unvergleichlicher Kampfkünstler, und auch seine Arroganz ist beispiellos." Aber was konnte man über Yuwen Yun sagen? Wäre er nicht in einer solchen Position, hätte man ihn schon zu Tode gehackt.

Die Kaiserin war von diesen Worten so schockiert, dass ihr Gesicht blass wurde, und sie kniete schnell nieder, um um Bestrafung zu bitten.

In diesem Moment bewegte sich Bian Yanmei plötzlich. Er sprang auf und stürzte blitzschnell auf Yuwen Yun zu.

Natürlich war Yuwen Yun von Kampfexperten umgeben ‒ es waren mehrere Mönche, die die buddhistische Disziplin vertraten, sowie mehrere Männer und Frauen der Hehuan-Sekte. Yuwen Yun war sich wohl bewusst, wie sehr er gehasst wurde, denn er hatte diese Experten zu jeder Tageszeit bei sich. Wäre Zenmeister Xueting heute nicht zum Qingliang-Tempel gegangen, um für die Kaiserfamilie zu beten, hätte er ihn sicher dazu gebracht, immer an seiner Seite zu bleiben.

Bian Yanmei hatte unglaublich gut kalkuliert. Obwohl es in der Umgebung von Yuwen Yun viele Kampfexperten gab, waren keine herausragenden dabei, geschweige denn jemand mit dem Status eines Zonghis. Xueting, Sang Jingxing und Yuan Xiuxiu waren alle abwesend. Um einige Diebe zu fangen, muss man zuerst ihren Anführer fangen. Wenn es ihm gelang, Yuwen Yun zu fangen, konnte er mit ihm in der Hand die Kaiserin und ihre jüngeren Brüder in großem Stil befreien, wie er wollte.

In einem einzigen Augenblick hatte er mit Shen Qiao eine stillschweigende Vereinbarung getroffen. Bian Yanmei sollte Yuwen Yun als Geisel nehmen, während Shen Qiao sich um die Leute in der Umgebung des Kaisers kümmern sollte, um sie an der Einmischung zu hindern.

Es dauerte nur einen Augenblick. In dem Moment, in dem Bian Yanmei in Aktion trat, stürmte auch jemand neben Yuwen Yun nach vorne und war genauso schnell wie er. Er schirmte Yuwen Yun sofort hinter sich ab, und aus seiner Handfläche wehte Wind, begleitet von einem Schwall des wahren Qi. Erst schwach, dann stark, strömte es grenzenlos und übertraf alle Erwartungen.

Zuvor war das Gesicht dieses Mannes von einem Bart bedeckt gewesen, und die dichten Haare verdeckten den größten Teil seines Gesichts. Doch als er diese Bewegung machte, flogen seine Haare und sein Bart nach oben, und Shen Qiao erkannte sein wahres Antlitz.

Zenmeister Xueting.

Er war gar nicht zum Qingliang-Tempel gegangen, sondern die ganze Zeit an der Seite von Yuwen Yun geblieben!

Vielleicht hatte er geahnt, dass Puliuru Jian am achten April seine Abreise aus dem Palast ausnutzen würde, und deshalb hatte er extra einen Plan ausgeheckt, um die Schlange aus ihrem Loch zu locken und dafür zu sorgen, dass Puliuru Jian zu kurz kam.

Gleichzeitig griffen die anderen Experten um Yuwen Yun herum Shen Qiao an, einer nach dem anderen.

Obwohl Yuwen Yun bereits vorbereitet war, war er so verängstigt, dass er ein paar Schritte zurücktrat und alle Wachen hinter der Tür herbeirief und laut rief: „Tötet sie, tötet sie alle!"

Xueting war die einzige herausragende Persönlichkeit, die Yuwen Yun verteidigte. Shen Qiao ließ die Kaiserin und ihre Geschwister sich in die innere Halle zurückziehen und bewachte dann selbst den Durchgang dort. Er konnte sich gegen die Menge der Feinde behaupten; sie allein abzuwehren war keine schwierige Aufgabe.

Auf der anderen Seite der Halle war Bian Yanmei jedoch bei Weitem nicht so stark wie Xueting. Wenn Bian Yanmei verlieren würde, müsste Shen Qiao sich um Xueting kümmern und die Kaiserin und ihre Geschwister unbeaufsichtigt lassen.

Zenmeister Xueting glaubte das Gleiche.

Aber als er seinen Handflächenschlag ausführte, veränderte sich sein Gesichtsausdruck plötzlich, als ihm klar wurde, dass er einen großen Fehler gemacht hatte.

 

 

 

Erklärungen:

Der Begriff „emeritiert" oder „Emeritus" bezeichnet einen Wissenschaftler oder Geistlichen, der im Ruhestand ist.

Proklamieren ist das Fremdwort dafür, wenn etwas öffentlich verkündet oder bekannt gegeben wird.




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3 Kommentare:

  1. Typisch Yan Wushi, was seine Reaktion angeht, als er Shen Qiao in Frauenkleider sah XD Von der ersten Reaktion mal abgesehen XD Der Plan steht und wird ausgeführt. Alles scheint gut zu verlaufen, und dann kommt es doch anders als erwartet. Aber Yuwen Yun... da ist Yan Wushi mit seinen Launen echt harmlos.
    Jetzt heißt es fürs erste improvisieren und hoffen, dass alles gut ausgeht.

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    1. Nur wird sich sein Traum Shen Qiao öfters in Frauenkleidern zu sehen niemals erfüllen, selbst Shen Qiao hat hier und da seine Grenzen.
      Das es mal jemanden mit schlimmeren Launen geben wird, als Yan Wushi hätte ich nicht erwartet, aber es geht wohl doch immer schlimmer, als man denkt.
      In Improvisation ist Shen Qiao doch eh sehr gut, das hat ihm das Leben auf der Straße und Yan Wushi schon beigebracht.

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  2. so wie es ausschaut ist es egal wie shen sich kleiden würde yan hätte immer interresse an im. sie haben es in den palast geschafft und konnten auch mit der kaiserin reden aber das am schluss war jetzt unvorhergesehen. der typ ist ja auch launisch aber da ist yan ja noch human gegen den einen. mal sehen was nun passiert .

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