Allein der Name "Yan Wushi" hatte eine unsichtbare, einschüchternde Kraft. Sie wussten, dass er nach dem Hinterhalt der fünf großen Experten, selbst wenn er nicht alle seine Kampfkünste verloren hatte, seine Kraft stark geschwächt sein musste. Selbst wenn Sang Jingxing nicht anwesend war, sollten die drei zusammen mehr als genug sein, um ihn zu Fall zu bringen.
Aber obwohl sie das im Geiste wussten, bewegten sich ihre
Körper nicht. In der Hehuan-Sekte regte sich eine verborgene unterschwellige
Regung. Sie war allein an den Bewegungen von Xiao Se und den anderen zu
erkennen.
Yan Shou hatte in der Vergangenheit schon einmal gegen Yan
Wushi verloren, und es war eine furchtbar unglückliche Niederlage gewesen.
Diesmal war er nicht gekommen, um der Hehuan-Sekte einen furchtbaren Feind zu
nehmen, sondern um die Schriftrolle der Zhuyang-Strategie zu holen, die
sich angeblich in Yan Wushis Hand befand. Diese schreckliche Niederlage hatte
jedoch einen tiefen Eindruck bei Yan Shou hinterlassen, und als er sah, wie
ruhig und gefasst Yan Wushi war, kam in seinem Herzen Unsicherheit auf.
Xiao Se war der Schüler von Yuan Xiuxiu, aber er wollte Yan
Wushis Kopf zu Sang Jingxing bringen, um sich Verdienste
zu erwerben. Als er jedoch sah, dass sich niemand sonst bewegte, rührte auch er
sich nicht.
So kam es zu einem seltsamen Patt zwischen den vier. Die
Hehuan-Sekte hatte eindeutig die Oberhand, aber keiner von ihnen entschloss
sich, den ersten Schritt zu tun.
Yan Shou verengte seine Augen, beobachtete jeden Atemzug
von Yan Wushi und wartete darauf, dass er eine Lücke fand.
Schließlich bewegte sich Yan Wushi.
Aber er zielte nicht auf Xiao Se und Bai Rong vor ihm, noch
drehte er sich um, um sich auf Yan Shou zu stürzen. Stattdessen bauschten sich
seine Ärmel auf, als er sich in den Himmel erhob, wie ein weißer Kranich im
Flug!
Xiao Ses Miene verfinsterte sich. „Das ist schlimm!"
Wer hätte erwartet, dass der mächtige Sektenanführer der
Huanyue-Sekte eine ‘Kommt zu mir‘-Nummer aufführen würde, um seine Gegner zu
verwirren?
Xiao Se hielt sich normalerweise für einen anmutigen und
eleganten jungen Meister, aber in diesem Moment konnte er sich nicht
zurückhalten, laut zu fluchen. „Wenn Ihr den Mut habt, dann lauft nicht weg!"
Ein schallendes Gelächter wehte zu ihnen herüber. „Wie Ihr
wollt!"
Yan Wushis Gestalt drehte sich plötzlich in der Luft.
Innerhalb eines Wimpernschlages war er bereits vor Xiao Se, und bevor Xiao Se
einen klaren Blick auf Yan Wushis Angriff erhaschen konnte, schlug der Wind aus
der Handfläche des Mannes bereits in seine Brust ein!
Xiao Se war verblüfft, aber es war zu spät, um
auszuweichen; er konnte nur noch den Kopf hinhalten. Die beiden gerieten in
einen Nahkampf, und Yan Wushis wahres Qi war wie das Auf und Ab der Flut,
heftig und turbulent, als es Xiao Se fast verschlang. Es war so anmaßend und
arrogant wie sein Besitzer, geradezu schockierend.
Sie hatten gehört, dass, als die fünf großen Experten Yan
Wushi überfallen hatten, hatte Guang Lingsan seine Schwäche ausgenutzt und ihn
schwer verletzt. Konnte es sein, dass er, nachdem er die Schriftrolle erhalten
hatte, seine Schwachstelle in so kurzer Zeit reparieren und seine Kampfkünste
auf die nächste Stufe bringen konnte?
Dieser Gedanke schoss Xiao Se durch den Kopf, und sein Herz
schlug heftig. Ein stechender Schmerz durchzuckte seinen Arm und er schrie auf,
während er sich nach hinten wand. Doch sein rechter Arm war bereits
zerschmettert worden, und die Verletzung betraf sogar seine Brust; es war, als
ob ihn der brutale Schlag eines Hammers getroffen hätte. Blut spritzte aus Xiao
Ses Mund, als er zu Boden sackte. Als er den Kopf drehte, spritzten noch ein
paar Schlucke Blut auf den Boden.
„Xiao-Shixiong, bist du in Ordnung?!", rief Bai Rong
beunruhigt und flog zu ihm, um ihn zu stützen.
Dämonische Praktizierende waren alle egoistisch und
eigennützig, und es gab sogar einen langjährigen Konflikt zwischen Xiao Se und
Bai Rong. Normalerweise wäre Bai Rong voller Schadenfreude über sein
Missgeschick gewesen und hätte ihn sogar getreten, als er am Boden lag. Ihm auf
die Beine zu helfen, war wirklich nicht ihre Art ‒ aber im Moment bedeutete
das, dass sie eine direkte Konfrontation mit Yan Wushi vermeiden konnte, also
machte es ihr nichts aus, etwas brüderliche Zuneigung zu zeigen.
Xiao Ses Rückschlag veranlasste Yan Shou, der sich zum
Angriff bereit gemacht hatte, ebenfalls etwas langsamer zu werden, aber er
rannte ihm trotzdem hinterher und versperrte ihm den Weg.
„Warum hat es Yan-Zongzhu so eilig, zu gehen? Wenn alte Freunde sich treffen, sollten
sie dann nicht ein wenig in Erinnerungen schwelgen?"
„Ich möchte auch mit dem Ältesten Yan in Erinnerungen
schwelgen. Darf ich fragen, ob Ältester Yan Zeit für mich hat?"
Derjenige, der geantwortet hatte, war natürlich nicht Yan
Wushi, sondern jemand hinter Yan Shou.
Yan Shou drehte sich nicht um, als er diese Worte hörte,
sondern flog direkt auf das Dach und schaute dann von oben auf den
Neuankömmling herab.
„Wenn das nicht wieder ein streunender Hund ist",
sagte er mit Verachtung.
Shen Qiao schlenderte vom anderen Ende der Straße herüber,
das Schwert auf dem Rücken.
Er hatte schwarzes Haar und trug blaue Kleidung, seine
Gestalt war groß und elegant wie die eines schönen, anmutigen Unsterblichen.
„Ältester Yan verdankt diesem bescheidenen Daoisten seit
jenem Tag im Bailong-Kloster zwei Leben", sagte Shen Qiao. „Erinnert er
sich noch daran?"
„Ich habe lange gehört, dass der ehemalige Sektenanführer
des Xuandu-Berges den Mantel von Qi Fengge geerbt hat und dass seine
Kampfkünste in der ganzen Jianghu unübertroffen waren. Leider stürzte er durch
einen Schlag von Kunye von der Klippe, und seitdem ist er auf dem absteigenden
Ast und auf den Schutz von Yan Wushi angewiesen. Wenn man die Dinge jetzt
betrachtet, scheinen die Gerüchte nicht falsch gewesen zu sein."
Shen Qiao sagte kühl: „Dann frage ich mich, ob der Älteste
Yan das Gerücht gehört hat, dass Kunye den Berg Tai bestieg, um die Bixia-Sekte
zu provozieren, aber scheiterte, und dass er bereits meiner Klinge zum Opfer
fiel?"
Yan Shous Gesicht verriet sein leises Erstaunen.
Die Bixia-Sekte war unter ihren internen Streitigkeiten
zusammengebrochen und kämpfte damit, ihre Kräfte auch nach Kunyes Tod wieder zu
sammeln, während die Kök-Türken selbst diese Nachricht sicherlich nicht verkünden
würden. So wurde Kunyes Tod effektiv verheimlicht, und alle dachten, er sei zum
Khaganat zurückgekehrt ‒ niemand konnte sich vorstellen, dass er durch Shen
Qiaos Hände gestorben war.
Bai Rong lachte süßlich. „Es ist erst ein paar Monate her,
aber Shen-Langs Kampfkünste haben sich erneut verbessert ‒ wahrlich eine
lobenswerte Leistung. Aber unser Sektenanführer hat uns bereits befohlen, die
Schriftrolle der Zhuyang-Strategie zu beschaffen, und die Ältesten Sang
und Baoyun sind bereits auf dem Weg hierher. Ganz gleich, wie großartig Eure
Kampfkünste sind, ich fürchte, Ihr könnt es nicht mit der gesamten Hehuan-Sekte
aufnehmen. Da diese Angelegenheit ohnehin nichts mit Euch zu tun hat, solltet Ihr
einfach nur zuschauen."
Yan Shou lächelte. „Da Ihr bereits hier seid, gibt es
keinen Grund zu gehen. Ihr könnt genauso gut bleiben!"
Yan Shou trug den Beinamen "Der Buddha mit der
blutbefleckten Hand". Auch seine Kampfkunst war eher heimtückisch und
grausam, er krümmte seine Finger und griff Shen Qiao an. Im Handumdrehen blies
ein böser Wind seinem Gegner kreischend und heulend ins Gesicht. Berge von
Leichen und Meere von Blut schienen die Welt um sie herum zu erfüllen und sie
in die tiefste Hölle zu verwandeln. Das sich ausbreitende blutrote Licht war im
Begriff, ihn zu verschlingen, und brachte anschwellende Verzweiflung und
Schrecken hervor.
Shen Qiao wich zurück und zog das Shanhe Tongbei. Sofort
schoss sein Schwertqi wie ein Regenbogen in die Höhe, sein Licht überflutete
ihn und überwältigte den größten Teil von Yan Shous wallender Kraft.
Yan Shou verfolgte ihn unerbittlich, seine Handflächen
neutralisierten alle Angriffe von Shen Qiao, bevor er drei oder vier weitere
blitzschnelle Schläge austeilte. Es war ein schwindelerregender,
überwältigender Anblick.
Jeder Schlag prasselte wie eine mächtige Meereswelle auf
ihn nieder und hob und senkte sich wie eine himmlische Treppe. Jede Welle war
mächtiger als die letzte und ließ seinem Gegner keine Zeit zu reagieren!
Yan Shou gehörte zwar nicht zu den zehn Besten, aber das
bedeutete nicht, dass er nur ein durchschnittlicher Kampfkünstler war. In den
zehn Jahren, die Yan Wushi in der Abgeschiedenheit verbracht hatte, hatte sich
die Huanyue-Sekte auf den kaiserlichen Hof von Zhou konzentriert, während sich
die Fajing-Sekte in das ferne Tuyuhun zurückgezogen hatte. Nur die Hehuan-Sekte
war in der Zentralebene geblieben, und ihr Einfluss war vor allem in Qi stark
gewachsen. Und Yan Shou hatte es geschafft, sich in der Schar der talentierten
Mitglieder der Hehuan-Sekte einen Platz zu erobern, und zwar so weit, dass er
mit Sang Jingxing gleichauf war. Das lag sicherlich nicht an seinem guten
Aussehen.
Mit dem Schwert in der Hand schlug Shen Qiao horizontal
durch die Luft. Ein brillantes Schwertlicht entstand, kräuselnd und
reflektierend wie Flusswasser, aber hart wie Schnee und Frost. Es wirbelte vor
Kälte und stürmte vorwärts, begleitet von einer mörderischen Absicht!
Während der Kampf auf dieser Seite in vollem Gange war,
ließen auch die anderen nicht nach. Xiao Se und Bai Rong stürmten Seite an
Seite nach vorne und behinderten Yan Wushi von vorne und hinten, weswegen er
sich nicht lösen konnte.
Während Shen Qiao sich mit Yan Shou duellierte, nahm er
sich die Zeit, einen Blick auf die Angriffe von Bai Rong und Xiao Se zu werfen.
Er konnte nicht anders, als die Stirn zu runzeln.
Die beiden waren Kampfexperten aus der jüngeren Generation
der Hehuan-Sekte. Abgesehen von den verschiedenen Ältesten gehörten sie zu den
Stärksten in der Kampfkunst. Die beiden Xiao Se und Bai Rong waren äußerst
talentiert ‒ jedes Mal, wenn er sie sah, schienen sich ihre Kampfkünste
sprunghaft zu verbessern, vor allem die von Bai Rong. Als er sie das erste Mal
traf, war sie gerade erst in die Rangliste der erstklassigen Kampfexperten
aufgestiegen, und jetzt, da sie alles gab, um aufzuholen, waren ihre "Blauen
Lotussiegel" bis zur Perfektion verfeinert worden. Ihre Haltung war
geschmeidig und anmutig, doch dahinter lauerte eine mörderische Absicht, vor
der man sich unmöglich völlig schützen konnte.
Shen Qiao wusste sehr gut, dass Bai Rong ihm mehrmals große
Gnade erwiesen hatte. Unter dem Vorwand, Shen Qiao über ihre Stärke
aufzuklären, hatte sie ihm mitgeteilt, dass Sang Jingxing kommen würde, und
Shen Qiao gebeten, sich nicht einzumischen. Doch die Spur von Zärtlichkeit, die
sie für Shen Qiao empfand, würde sie auf keinen Fall auf Yan Wushi übertragen.
In diesem Moment arbeiteten sie und Xiao Se im Gleichklang und als eine
funktionierende Einheit, jede ihrer Bewegungen war darauf ausgerichtet, zu töten.
Es war wie ein unentrinnbares, allumfassendes Netz, ihr stillschweigendes
Einverständnis war einwandfrei, als sie Yan Wushi zwischen sich einschlossen.
Aufgrund der schweren Verletzungen, die Yan Wushi Xiao Se
vorhin plötzlich zugefügt hatte, waren beide von Besorgnis und Vorsicht
erfüllt, weshalb sie nicht bereit waren, ihre volle Kraft einzusetzen. Aber nur
Shen Qiao wusste, dass Yan Wushis derzeitige Kampfkraft begrenzt war, dass er
noch nicht einmal die Hälfte seiner Höchstleistung erreicht hatte. Xiao Se
ernsthaft zu verletzen, war bereits das Äußerste, was er tun konnte. Ihn zu
zwingen, auch gegen Bai Rong anzutreten, die sich massiv verbessert hatte, war
ein mühsamer Kampf. Wenn sich der Kampf in die Länge zog und die beiden dies
erkannten, würden sie nicht mehr zögern, ihre ganze Kraft gegen Yan Wushi
einzusetzen. Und da Shen Qiao sich um Yan Shou kümmern musste, würde er auch
nicht in der Lage sein, sich um ihn zu kümmern.
Nachdem er so weit darüber nachgedacht hatte, zögerte Shen
Qiao nicht länger: Er trieb seine Kampfkraft bis zum Äußersten an, schaltete
alle abschweifenden Gedanken aus und betrat direkt die Stufe des
Schwertherzens.
In einem Augenblick wurde sein Schwertlicht grenzenlos und
malte Himmel und Erde zusammen. Es begann mit einer wütenden Wucht wie Donner
und ging dann in die klare Ruhe des Lichts über, das über die Wasseroberfläche
kräuselte, alles konzentriert in diesem einen Schwert.
Der Mensch existiert getrennt vom Schwert, aber
das Schwert existiert in seinem Herzen. Wo das Schwertherz hinreicht, wird alle
Existenz zur Leere!
Yan Shous Gesichtsausdruck verfinsterte sich plötzlich, und
er zog sich schnell zurück und wagte es nicht einmal, die Klinge des Schwertes
zu berühren. Aber jetzt, da Shen Qiao das Schwertlicht freigelassen hatte,
hatte er keinen Grund mehr, es wieder zurückzuziehen. Das in weißes Licht
gehüllte Schwertqi verfolgte Yan Shou und band sich fest an ihn. Begleitet von
Donnergrollen und galoppierenden Stromschnellen, obwohl das Schwertherz unreif
und seine Manifestation instabil war, zeigte sein Hieb bereits die Andeutung
einer Macht, die dem Land Frieden bringen könnte.
Shen Qiao wich nicht zurück, sondern schwang seine Klinge
direkt auf Bai Rong zu.
Bai Rong, Xiao Se und Yan Wushi befanden sich in einer
Sackgasse und bildeten ein prekäres Gleichgewicht. Mit Yan Wushis
ursprünglicher Kampfkraft hätte er sie vernichten können, und diese
Pattsituation hätte niemals entstehen können. Je länger es dauerte, desto
misstrauischer wurden Xiao Se und Bai Rong, doch plötzlich glitt ein blauer
Schatten an ihnen vorbei und nahm Yan Wushi mit.
Als sie das sahen, nahmen die drei natürlich die Verfolgung
auf, obwohl Xiao Se wegen seiner Verletzungen nicht mithalten konnte. Aber Yan Shou
blieb dicht hinter ihnen und wollte sie nicht so einfach ziehen lassen.
„Ihr geht zuerst! Geht zu dem Wald, an dem wir
vorbeigekommen sind, bevor wir die Stadt betreten haben! Ich werde sie aufhalten!"
Shen Qiaos Worte kamen unglaublich schnell, und kaum hatte er geendet, stieß er
Yan Wushi vorwärts. Ohne auf eine Antwort zu warten, ergriff er sein Schwert
und wandte sich den drei Verfolgern zu.
Yan Wushi blickte zurück, sein Blick war konzentriert. Dann
drehte er sich um und ging ohne ein Wort davon.
Ihr Ziel entfernte sich immer weiter, aber Shen Qiao
versperrte ihnen den Weg. Selbst Yan Shou wurde ungeduldig, und seine
Handflächenschläge schienen sich in blutige Schatten zu verwandeln, als er
einen nach dem anderen auf Shen Qiao richtete.
Doch Shen Qiao blieb vollkommen ruhig, und sein
Schwertkampf wurde standhafter und gelassener. Ohne Yan Wushi konnte er sich
angesichts von Yan Shous wütenden Angriffen voll und ganz auf die Situation vor
ihm konzentrieren. Shanhe Tongbei rauschte im Wind, und Shen Qiaos blaue Robe
verlieh ihm eine unsterbliche Anmut. Als er die Azurwellen-Schwerttechnik, die
er verbessert hatte, einsetzte, entstand ein majestätischer Anblick, der sich
ungehindert ausbreitete. Es war wie tausend blühende Blumen, deren Licht die
Welt überflutete. Eine Zeit lang waren die drei Verfolger außerhalb des Schwertlichtes
gefangen, unfähig, auch nur einen Zentimeter vorzurücken.
Yan Shou gab ein dumpfes Brummen von sich, und seine
Bewegungen wurden immer schneller, seine Gestalt wechselte zwischen den Posen,
bis es unmöglich war, zu unterscheiden, welche echt und welche eine Trugbild
war. Seine schlanken Finger waren wie scharfe Klingen, und wo immer sie sie
berührten, schienen Ozeane aus Blut und Skeletten aufzutauchen, Welle um Welle.
Seine bloße Hand durchdrang sogar den Schwertschild und griff direkt nach Shen
Qiaos Hand, die noch am Griff hing!
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Shen Qiao schwebte vorwärts, seine Gestalt war nun ein
blauer Schatten. Wie eine Libelle, die über die Wasseroberfläche fliegt, landete
er kaum, bevor er weiter nach vorne flog, wobei seine Zehen fast nie den Boden
berühren. Er trieb ‘Ein Regenbogen spannt sich über den Himmel‘, das besondere
Qinggong des Xuandu-Berges, bis zum Inbegriff der Perfektion. Wenn Qi Fengge
hier wäre, könnte er sein Lob nicht unterdrücken.
Gegen diese unglaubliche Qinggong waren die Bäume auf
beiden Seiten weit hinter ihm verschwommen und undeutlich. Sie verschwammen
zusammen mit den Feinden, die ihn verfolgten, bis alles spurlos verschwand.
Doch Shen Qiao ließ sich nicht beirren. Er holte tief Luft,
während seine Ärmel flatterten und seine Schritte kein einziges Staubkorn
aufwirbelten. Selbst ein ängstlicher, auffliegender Vogel wäre im Vergleich
dazu unauffällig.
Die Reise dauerte nicht lange. Zuerst stieg er den Berg
außerhalb der Stadt hinauf, um seine Spuren zu verwischen. Dann folgte er einem
versteckten Pfad, der vom Berg wegführte, und hielt in einem kleinen Wald am
Fuße des Berges an, der an der Straße zur Stadt lag.
Das Wäldchen war nicht sehr groß, aber da es sich am Fuße
des Berges befand, war es üppig und grün, praktisch eine Welt für sich mit
seinen dicht verschlungenen Ranken und dem zerklüfteten Terrain. Ein normaler
Mensch, der den Wald betrat, schien von ihm verschlungen zu werden, und es
würde lange dauern, bis er einen Ausweg gefunden hätte.
Shen Qiao stützte sich auf den Baumstämmen ab, als er
weiter hinein ging. Obwohl er sein Tempo verlangsamt hatte, hinterließen seine
Füße immer noch keine Spuren. Selbst wenn ein Feind ihn hierher verfolgt hätte,
hätte er nicht feststellen können, ob er den Wald betreten hatte.
Nach etwa einer halben Stunde Fußmarsch sah er, dass er in
die Tiefen des Waldes eingedrungen war und fast den Urwald am Fuße des Berges
erreicht hatte. Als er sich schließlich nicht mehr anstrengen konnte, machte er
eine kurze Pause.
Plötzlich streckte sich eine Hand neben ihm aus und griff
nach seinem Handgelenk.
Alarmiert nahm Shen Qiao die Bewegung sofort wahr. Er zog
seine Hand zurück und wich aus, doch als er das Gesicht des Neuankömmlings sah,
blieb er sofort stehen und atmete erleichtert auf.
„Ich bin es", sagte Yan Wushi. Er ergriff wieder sein
Handgelenk, während seine andere Hand Shen Qiaos Taille stützte, und führte ihn
weiter in den Wald hinein. „Warum hast du so lange gebraucht, um sie
loszuwerden?"
Zu diesem Zeitpunkt waren Shen Qiaos Kräfte bereits
erschöpft, so dass er sich von Yan Wushi stützen ließ und sein halbes Gewicht
behutsam auf den Mann legte.
„Es gibt natürlich keinen Grund zur Sorge, wenn es nur die
drei wären", sagte Shen Qiao. „Ursprünglich wollte ich Yan Shou töten, um
den Abt und Chuyi zu rächen, aber dann kam ein anderer. Er war wie ein Mönch
gekleidet und sah jünger aus als Bai Rong, doch er war Yan Shou an Stärke
ebenbürtig. Ein längerer Kampf ist für mich nicht vorteilhaft, also war ich
gezwungen, eine Möglichkeit zu finden, mich zurückzuziehen."
Er kannte die Identität dieses Mannes nicht, aber Yan Wushi
wusste es sofort. „Ihr sprecht von Baoyun, einem der Ältesten der Hehuan-Sekte.
Er verkleidet sich gerne als Mönch und wandert umher, um Schriften zu predigen.
Er benutzt das, um Verehrerinnen zu täuschen, damit er mit ihnen schlafen kann.
Die Buddhisten hassen ihn, weil er ihren Ruf beschmutzt, und in den letzten
Jahren haben sie wiederholt versucht, ihn zu jagen und zu töten. Er tritt in
der Öffentlichkeit nicht oft in Erscheinung, aber kämpferisch ist er nicht
schwächer als Yan Shou."
Als Shen Qiao von den Taten des Mannes hörte, runzelte er
die Stirn und sein Gesicht verriet seine Abscheu. „Bai Rong sagte vorhin, dass
Sang Jingxing und Baoyun ihm folgen würden", sagte er. „Wenn Baoyun hier
ist, dann sollte Sang Jingxing auch nicht weit sein. Wir müssen so schnell wie
möglich aufbrechen. Mit so vielen Leuten könnten sie uns sonst finden."
„Kannst du noch laufen?"
Shen Qiao lächelte angestrengt und schüttelte den Kopf.
„Ich habe einen Plan", sagte Yan Wushi.
„Hm?"
Yan Wushi streckte die Hand aus und berührte seine Wange,
die vor Erschöpfung blass war. Shen Qiao wandte sich ab, um ihm auszuweichen,
aber Yan Wushi schaffte es trotzdem, ihn einmal zu streicheln. Er konnte nicht
anders, als Yan Wushi anzustarren, der leicht lächelte. „Sang Jingxing wurde
von dir schwer verwundet, also hasst er dich natürlich bis aufs Blut",
sagte Yan Wushi. „Aber die anderen Mitglieder der Hehuan-Sekte hegen keine so
tiefe Feindschaft gegen dich, sondern haben große Angst vor dir. Geh allein und
mach dir keine Sorgen um mich. Dann kannst du sie abschütteln, du musst dich
nicht mit mir herumschlagen.
Shen Qiao seufzte. „Ich dachte schon, Ihr würdet einen
guten Plan vorschlagen. Genug mit dem Unsinn. Lasst uns auf den Berg gehen."
„Ist das nicht ein guter Plan?", fragte Yan Wushi.
„Wenn ich Euch im Stich lassen wollte, warum hätte ich dann
bis jetzt gewartet? Wenn ich jemanden retten will, dann rette ich ihn bis zum Schluss.
Begleite den Buddha auf der gesamten Reise nach Westen. Ich habe mich von
Anfang an eingebracht, ich muss alles geben."
Die beiden setzten ihren Weg fort. Shen Qiao hatte vorhin
seine Qinggong bis an seine Grenzen getrieben, und jetzt hatte er das Gefühl,
dass jeder Schritt eine gewaltige Anstrengung bedeutete. Er konnte nicht anders
als zu sagen: „Ich kann wirklich nicht mehr laufen. Geht Ihr voraus, ich decke Euch."
Yan Wushi lachte. „A-Qiao, du bist wirklich so süß. Du
willst mich decken, so wie du jetzt bist? Wenn Sang Jingxing kommt, wird er
dich mit Haut und Haaren verschlingen."
Bevor Shen Qiao antworten konnte, spürte er, wie seine Füße
den Boden verließen ‒ Yan Wushi trug ihn auf seinem Rücken.
Erklärungen:
Verdienste: Ein Konzept, das mit dem Karma zusammenhängt, das man je nach Verhalten ‒ ob verdienstvoll oder nicht ‒ gewinnen oder verlieren kann.
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Manchmal raucht mir der Kopf bei all den ganzen Namen O.o Zumindest haben sie Yan Wushi unterschätzt. Er hat sich besser erholt, als sie dachten und dann kam noch Shen Qiao dazu und sie kamen eigentlich noch recht gut davon. Beide Seiten. Wenn auch Seh Qiao etwas fertig ist. Aber wozu hat man Yan Wushi, der einen dann auf den Rücken trägt.
AntwortenLöschenDas Problem habe ich zum Glück nicht. Wenn man die Story vier mal hintereinander liest und darüber nachdenkt ob sie sich siezen oder duzen sollen fällt einem das nicht mehr so schwer.
LöschenAber Bai Rong ist diejenige die immer auf Shen Qiao steht, Xiao Se ist der Schüler von Sang Jingxing (Sang Jingxing ist derjenige an den Yan Wushi i Shen Qiao ünergeben hat, als er ihn verriet) und Yan Shou ist ein Ältester. Alle drei gehören den Hanyue-Sekte an, das ist eine der drei dämonischen Sekten.
Yan Wushi ist immer wieder für Überraschungen gut, man weiß nie, was als nächstes kommt.
Immerhin trägt Yan Wushi Shen Qiao mal wieder auf den Rücken und nicht wie sonst, so als würde r eine Prinzessin tragen.
der kampf und dann die flucht das er sie abschütteln kann haben in sehr fertig gemacht. auch das yan schon wieder so halbwegs fit is obwoll er so schwer verletzt war. das am schluss ist doch süß yan trägt in auf dem rücken weil er nicht mehr kann. muss sicher ein schönes bild abgeben.
AntwortenLöschenJa, auch wenn Freudige Wiedervereinigung endlich verschwunden ist, hat Shen Qiao hier und da mit den Nachwirkungen zu kämpfen. Aber immerhin trägt Yan Wushi Shen Qiao mal würdevoller, nämlich auf den Rücken und nicht auf den Armen wie eine Prinzessin oder eine Braut. XD
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