Selbst wenn einige Leute Yu Ais Identität vorher nicht bewusst waren, so war es nach dem, was er gerade gesagt hatte, fast unmöglich, dass sie ihn nicht erkannten.
Sie hatten Shen Qiao ohne Furcht verurteilt, weil sie
dachten, dass er für den Xuandu-Berg nur ein ausrangierter Schüler war. Da er
seine Kampfkünste und seinen Ruhm längst verloren hatte, stellte er keine
Bedrohung für sie dar, und der Xuandu-Berg konnte ihn erst recht nicht
beschützen. Sie hätten nie gedacht, dass Yu Ai eingreifen würde.
Nach seinem kurzen Schock legte Shen Qiao langsam sein
Brötchen weg. Er verstand, was hier vor sich ging.
Ganz gleich, wie sehr er versagt hatte, er war immer noch
vom Xuandu-Berg. Wenn andere ihn kritisierten, beschmutzten sie auch damit den
Ruf des Xuandu-Berges, und das würde Yu Ai natürlich nicht dulden.
Aber wenn Yu Ai sich so sehr um den Ruf des Xuandu-Berges
sorgte, war es dann nicht noch beschämender, mit den Kök-Türken
zusammenzuarbeiten und von ihnen einen Titel zu erhalten?
Shen Qiao schüttelte innerlich den Kopf und verdrängte
solche Gedanken aus seinem Kopf. Er hatte kein Interesse mehr daran, sich die
Farce vor ihm anzusehen. Er wartete nur, bis sie sich satt getrunken und
gegessen hatten, bevor sie gingen, dann konnte er aufstehen und selbst gehen.
Der Mann, dem Yu Ai die Zähne ausgeschlagen hatte, geriet
in eine unkontrollierbare Wut. Er sagte etwas Unverständliches, dann ergriff er
das Langschwert neben sich und sprang auf Yu Ai zu.
Aber Yu Ai steckte nicht einmal sein Schwert aus der
Scheide. Nur mit dem verbliebenen Stäbchen in der Hand schlug er den anderen
Mann zu Boden.
Der betreffende Mann hieß Ji Jin. Obwohl er den Beinamen
"neunschwänziger göttlicher Fuchs"
trug, nannten ihn die Leute hinter seinem Rücken "Großmaul Ji", weil
er immer eine große Klappe hatte und andere beleidigte. Ji Jin war kein allzu
schlechter Kampfkünstler ‒ nicht erstklassig, aber seine Fähigkeiten reichten
aus, um zweitklassig zu sein. Normalerweise war er zurückhaltender und würde
anderen nicht direkt ins Gesicht lästern, aber wer weiß, was er sich dieses Mal
gedacht hatte. Irgendwie hatte er die offensichtliche Tatsache übersehen, dass
der Sektenanführer des Xuandu-Berges selbst direkt vor ihm saß, und so hatte er
es in einem Anfall von schrecklichem Unglück geschafft, sich selbst und seine gesamte
Familie zu demütigen.
Sein Freund wagte es nicht, ihn vor Yu Ai zu verteidigen,
er half Ji Jin nur auf und lächelte entschuldigend in Yu Ais Richtung. „Bitte
verzeiht ihm, Yu-Zhangjao. Mein Bruder hat zu viel getrunken, und er hat
wirklich beschämende Dinge gesagt!"
Yu Ai antwortete nicht. Sein Blick schweifte über den Mann
hinweg und fiel auf den, der hinter ihm stand. „A-Qiao, es ist so lange her,
und du willst nicht einmal ein Wort der Begrüßung sagen?"
Shen Qiao seufzte vor sich hin. Sie waren seit ihrer
Kindheit zusammen aufgewachsen und kannten sich wie ihre eigene Westentasche.
Selbst wenn er sein Gesicht verdeckte, würden sein Auftreten und seine Gestalt
immer noch dieses Gefühl der Vertrautheit hervorrufen. Yu Ai war kein Idiot, er
hatte schließlich erkannt, dass er es war.
Shen Qiao zog seine Kapuze herunter, und jemand in seiner
Nähe sagte: „Es ist wirklich Shen Qiao!" Diese Stimme rief sofort eine
Welle von leisen, schockierten Reaktionen.
Einige von ihnen fühlten sich ein wenig schuldig ‒ der
Mann, über den sie gerade lautstark diskutiert hatten, saß direkt neben ihnen
und hörte zu.
Was für ein Unglück war heute im Anmarsch? Sie sprachen von
Chen Gong, und Chen Gong kam; jetzt sprachen sie von Shen Qiao, und Shen Qiao
war auch hier. Würde Yan Wushi auch gleich auftauchen?
Einige von ihnen dachten das und konnten nicht anders, als
zu zittern und sich umzuschauen.
„Es ist schon eine Weile her. Geht es Yu-Zhangjao gut?"
Da er bereits entdeckt worden war, machte sich Shen Qiao
nicht mehr die Mühe, sich zu verstellen. Er nickte Yu Ai zu, seine Stimme war
sanft, als wären sie nicht mehr als entfernte Bekannte, die sich nach vielen
Jahren wiedersehen.
Für einen Moment schienen der Lärm und die Aufregung im
Gasthaus wie die Flut zu verebben. Nur die Stimme von Shen Qiao blieb in seinen
Ohren.
Er starrte Shen Qiao an, musterte ihn, als wolle er
feststellen, ob es Shen Qiao wirklich gut ging. Es dauerte eine ganze Weile,
bis er antwortete: „Du hast abgenommen."
Shen Qiao antwortete nicht auf seine Bemerkung. Er war nur
hier, um Informationen zu sammeln ‒ jetzt, da er entdeckt worden war, hatte er
keinen Grund mehr, weiter zu bleiben.
„Ich muss mich noch um einige wichtige Dinge kümmern, also
werde ich zuerst gehen. Bitte genießt eure Mahlzeiten, Yu-Zhangjao und Gildemeister
Dou."
Natürlich würde Yu Ai ihn nicht so einfach gehen lassen.
Sein Fuß bewegte sich, und schon stand er vor Shen Qiao. „A-Qiao, komm mit mir
zurück zum Xuandu Berg."
Shen Qiaos Gesichtsausdruck flackerte nicht einmal. „Sicherlich
scherzt Yu-Zhangjao. Ich bin kein Schüler des Xuandu-Bergs mehr, warum sollte
ich also dorthin zurückkehren?"
Yu Ai war leicht erzürnt. „Ich habe deinen Ausschluss nie
angeordnet, also bist du immer noch ein Schüler des Xuandu-Berges. Willst du
jetzt nicht einmal mehr Shizun anerkennen?"
Shen Qiao schüttelte den Kopf. „Ich glaube, Ihr irrt Euch
in einem Punkt. Ich bin der Schüler von Qi Fengge. Daran wird sich nie etwas
ändern, ganz gleich, was passiert. Aber du hast dich mit Kunye verbündet, um
mich zu vergiften, hast mich auf dem Banbu-Gipfel gegen ihn verlieren lassen,
hast dann die Gelegenheit genutzt, um mir den Posten des Sektenanführers zu
stehlen ‒ und darüber hinaus hast du sogar begonnen, mit den Kök-Türken
zusammenzuarbeiten. Seitdem ist der Xuandu-Berg nicht mehr der Xuandu-Berg, den
ich kenne. Selbst wenn du meinen Ausschluss nicht anordnen würdest, würde ich
mich nicht mehr als Schüler des Xuandu-Bergs anerkennen."
Shen Qiao hatte diese erschütternden und beunruhigenden
Worte in einem milden und ruhigen Tonfall gesprochen, wodurch das, was er
sagte, umso verworrener und schockierender wirkte.
Niemand hatte damals geahnt, dass hinter Shen Qiaos Sturz
von der Klippe eine solche Geschichte steckte. Sie waren alle wie erstarrt und
schwiegen. Als sie wieder zu sich kamen, brach sofort ein lautes Geschrei in
der Halle aus.
Auch Yu Ai hatte nicht damit gerechnet, dass Shen Qiao
hier, in aller Öffentlichkeit, die Einzelheiten ausplaudern würde. Sein Gesicht
errötete sofort ‒ nicht aus Scham, sondern aus Empörung.
Natürlich hatte Shen Qiao keine Beweise. Selbst wenn er es
gesagt hätte, könnte er Yu Ai nichts antun, aber Yu Ai fühlte sich trotzdem,
als hätte man ihm die Kleider vom Leib gerissen und ihn nackt zurückgelassen.
Er zügelte seine Wut und sagte gleichmütig: „A-Qiao, komm
mit mir zurück."
„Yu Ai, die Kök-Türken sind brutal und ehrgeizig",
sagte Shen Qiao kühl. „Das weiß jeder. Doch für deine eigenen Aussichten und
Interessen hast dich bereitwillig auf den Weg gemacht, um einen Tiger um sein
Fell zu bitten. Du hast sogar den ganzen Xuandu-Berg auf dein Schiff gezwungen.
Im Moment kann ich dich nicht aufhalten, aber das heißt nicht, dass ich dieses
Ergebnis gutheiße oder mich mit dir in den Untergang stürze."
„Du..."
„Da es so weit gekommen ist und so viele Menschen hier
sind, sollten wir sie bitten, unsere Zeugen zu sein. Als Qi Fengges
Mantelschüler erkläre ich hiermit Folgendes: Von nun an bist du nicht mehr Qi
Fengges Schüler. Wir werden unsere eigenen Wege gehen, unsere eigenen Brücken
überqueren und nichts mehr miteinander zu tun haben!"
Shen Qiao stand an seinem Platz, sein Gesichtsausdruck war
gleichgültig wie immer, als wäre er sich der gewaltigen Welle, die seine Worte
auslösen würden, gar nicht bewusst. Obwohl kein Wind wehte flatterte seine daoistische
Robe schwach unter seinem Mantel, eine mächtige Präsenz war um ihn herum, ohne
jegliche Spur von Zorn. In diesem Moment trug sein hübsches Gesicht, das einst
so sanft und harmlos gewesen war, eine Wildheit in sich, die es anderen
unmöglich machte, ihn direkt anzuschauen. Er war wie ein Schwert, das in einer
Kiste aufbewahrt wird ‒ selbst wenn es nicht gezückt ist, strahlt es bereits
einen durchdringenden Glanz aus.
Yu Ai war schockiert und empört zugleich. „Wie kannst du es
wagen! Shizun ist bereits gestorben! Wie kannst du nur so für ihn sprechen?!"
„Ich war der Einzige, der da war, als Shizun starb, und ich
bin Shizuns einziger Mantelschüler", antwortete Shen Qiao. „Mein Wille ist
sein Wille! Ich habe es bisher nur stillschweigend ertragen, weil ich nicht
wollte, dass der Xuandu-Berg durch interne Streitigkeiten gespalten wird. Aber
Ihr habt mich gedrängt und gedrängt, und Ihr habt sogar den Titel von den
Kök-Türken angenommen! Da Ihr gegen Shizuns Lehren verstoßen habt, muss ich Euch
natürlich in seinem Namen ausschließen!"
Selbst Buddhas kannten Zorn. Sein Gesicht hatte jede Spur
von Sanftmut verloren ‒ sie wurde nun durch stürmische Wut ersetzt. „Yu Ai, hört
mir zu. Ihr habt kein Recht, mich zu bestrafen, denn keiner der Vorfahren des
Xuandu-Berges wird Euch jemals als Sektenanführer anerkennen! Ich hoffe, Ihr
könnt beenden, was Ihr begonnen habt. Wenn Ihr hartnäckig an Euren Gewohnheiten
festhaltet und nicht bereit seid, Buße zu tun, werde ich eines Tages
zurückkehren, um Euch zu bestrafen!"
In der Halle herrschte Totenstille. Alle starrten Shen Qiao
an, völlig unfähig, ihn mit dem Mann in Verbindung zu bringen, von dem es hieß,
er habe sich freiwillig entehrt und sich mit dem Dämonenfürsten verbündet.
Als Shen Qiao fertig war, ging er ohne einen weiteren Blick
zurück zum Eingang.
Yu Ai hörte auf zu zögern. Er griff nach Junzi Buqi und
wollte ihn aufhalten, aber Shen Qiao war schneller ‒ die Umstehenden sahen nur
einen schwarzen Blitz, der Yu Ais Schwert wegschlug. Bei näherem Hinsehen
erkannten sie, dass Shen Qiao sein Schwert nicht einmal gezückt hatte.
In diesem Moment bewegte sich Dou Yanshan.
Zuerst wollte er diesen Familienstreit zwischen
Sektengeschwistern nur als Zuschauer genießen. Doch als er sah, wie
unentschlossen Yu Ais Schritte waren, das Zögern in seinem Herzen deutlich
wurde, wusste Dou Yanshan, dass er wahrscheinlich nicht in der Lage sein würde,
seinen Shixiong aufzuhalten. In dieser Situation hatte er also keine andere
Wahl, als ihm zu helfen.
„Ich kenne Yu-Zhangjao noch nicht lange, aber ich weiß,
dass er ein sentimentaler Mensch ist, der alte Freundschaften pflegt und nicht
gewillt ist, mit Daozhang Shen hart ins Gericht zu gehen. Ich bitte Daozhang Shen,
sich ein wenig zu beruhigen. Warum setzen wir uns nicht alle hin und führen ein
langes Gespräch?"
Aber Shen Qiao machte keine Anstalten, gegen Dou Yanshan zu
kämpfen. Stattdessen änderte sich sein Gang, und mit ‘Ein Regenbogen spannt
sich über den Himmel‘ umkreiste er ihn und erreichte sofort den Ausgang des
Gasthauses.
„A-Qiao, zwing mich nicht!", knurrte Yu Ai. Junzi Buqi
war bereits gezogen worden.
Bevor Shen Qiao antworten konnte, kam eine spöttische
Bemerkung von der Seite. „Wenige mit vielen bekämpfen, den Sieg durch Überzahl
erringen. Habt ihr beide vor, mit Daozhang Shen das zu tun, was ihr mit Yan
Wushi gemacht habt?"
Chen Gong, der die ganze Zeit über zugesehen hatte, stand
nun endlich auf. Diese Angelegenheit hatte nichts mit ihm zu tun, aber aus
irgendeinem Grund hatte er er sich eingemischt.
Dou Yanshan lachte. „Der Bezirksherzog Pengcheng hat gerade
das Schwert Tai'e erhalten. Solltet Ihr nicht schnell zurückkehren und dem
Herrn von Qi Bericht erstatten? Warum treibt Ihr Euch hier herum und mischt Euch
in fremde Angelegenheiten ein?"
Die Worte "der Bezirksherzog Pengcheng" klangen
aus seinem Mund wie ein subtiler Spott. Chen Gong war zwar ein neuer Adliger
von Qi, aber er hatte nichts mit der Jianghu zu tun, weshalb die Liuhe-Gilde
keinen Grund hatte, ihn ernst zu nehmen.
Chen Gong antwortete nicht auf die Worte von Dou Yanshan.
Stattdessen schaute er Shen Qiao an und sagte freundlich: „Wenn Daozhang Shen
Schwierigkeiten hat, sich zu entkommen, habe ich eine ganze Relaisstation
innerhalb der Hauptstadt gemietet. Sie können mir dorthin folgen, um sich
auszuruhen."
„Ich bin dem Bezirksherzog Pengcheng für seine
Freundlichkeit zutiefst dankbar", sagte Shen Qiao, „aber dieser bescheidene
Daoist muss Ihre Gastfreundschaft ablehnen." Mit diesen Worten reichte er
ihm die Hand und machte sich auf um zu Gehen.
Yu Ai konnte ihn natürlich nicht so einfach gehen lassen. „Warte!",
sagte er und streckte die Hand nach Shen Qiao aus.
Shen Qiao blickte nicht einmal zurück. Als wären ihm Augen
am Hinterkopf gewachsen, glitt er ein paar Schritte vorwärts, leicht wie eine
Feder, und drehte sich dann mit dem Schwert vor der Brust um, um Yu Ais
ausgestreckte Hand abzuwehren. Er hatte wahres Qi in die Scheide kanalisiert ‒ Yu
Ai spürte einen leichten Ruck und war gezwungen, ihn loszulassen.
Doch Yu Ai reagierte schnell. Mit der anderen Hand zog er Junzi
Buqi, und sein Schwertlicht strömte hervor, lebhafte und anmutig. Es fegte auf
Shen Qiaos Gesicht zu, und selbst Dou Yanshan war ein wenig schockiert, als er das
sah. Er dachte sich, dass Yu Ai bei ihrem Überfall auf Yan Wushi wahrscheinlich
nicht seine ganze Kraft eingesetzt hatte, dass er nur schwer verletzt aussah,
obwohl er in Wahrheit gar nicht an der Spitze des Angriffs stehen wollte.
Wie dem auch sei, Yu Ai war fest entschlossen, Shen Qiao hierzubehalten.
Da es dieses Mal, keinen Yan Wushi mehr gab, der ihn aufhalten konnte, wollte
er ihn auf keinen Fall wieder entkommen lassen. Er wusste, dass das Gift Freudige
Wiedervereinigung unvergleichlich stark war. So kränklich und schwach, wie Shen
Qiao auf dem Xuandu-Berg gewesen war, war eine vollständige Genesung in so
kurzer Zeit unmöglich.
Aber er hatte nicht erkannt, dass nach einer langen
Trennung eine Neubewertung fällig war. Yu Ais Schwertlicht floss durch eine
Vielzahl von Formen und senkte sich auf Shen Qiao herab, doch der Mann, den das
Schwertlicht hätte einhüllen sollen, verschwand. Er tauchte hinter Yu Ai wieder
auf, seine Beinarbeit war unbeschreiblich schnell und unheimlich, aber sein
Schwert blieb wie zuvor in der Scheide. Stattdessen streckte er seine rechte
Hand aus und tippte mit einem Finger auf den Schwertschild.
Wahres Qi strömte in den Schild, der sofort zerbrach, zu
feinem Pulver zerfiel und in alle Richtungen verstreut wurde!
Eine Spur von Ungläubigkeit tauchte auf Yu Ais Gesicht auf.
Die Spitze seines Schwertes bebte, dann wirbelte er es ein paar Dutzend Mal
herum. Es bewegte sich auf Shen Qiao zu und kräuselte sich vor Licht.
Die juwelenbesetzten Strahlen durchdrangen den Himmel wie
Licht, das sich über farbige Glasur ergießt, und sorgten für ein prächtiges unwirkliches
Bild. Schillernd, prächtig und strahlend.
Dies waren die letzten Züge der Azurwellen-Schwerttechnik, aber
in etwas veränderter Form. Natürlich war keiner der Schüler von Qi Fengge
inkompetent, und Yu Ai hatte sie für sich selbst mehrfach abgeändert. An den
meisten Tagen war er eisig und lächelte nur selten, aber er liebte es, diese
Art von prächtigem, brillantem Schwertkampf anzuwenden. Selbst sein Schwertqi
war von einer donnernden, brodelnden Bösartigkeit. Als es zusammen mit den
Schwertlichtern auf ihn einprasselte, dröhnte ein gewaltiges Grollen in den
Ohren aller Anwesenden. Selbst diejenigen, denen es an Kampfkunst mangelte,
spürten, wie ihr Blut und ihr Qi in Wallung gerieten, und sie konnten nicht
anders, als ein paar Schritte zurückzutreten.
Aber Shen Qiao wich nicht zurück.
Er wich tatsächlich nicht zurück!
Das widersprach allen Erwartungen, auch denen, die auf ihn
herabgesehen und ihn für Yan Wushis Lustknabe und Untergebenen gehalten hatten.
Shen Qiao zückte schließlich sein Schwert!
Shanhe Tongbei blitzte auf wie Seide, sein Schwertqi stieg
in den Himmel. Es breitete sich von Shen Qiao aus, reichhaltig und sanft, bis
man nicht anders konnte, als sich in seiner wohligen Wärme zu ertränken. Doch
viele waren noch von vorhin abgelenkt und bemerkten nicht, dass Shen Qiaos
Schwert bereits vor ihm und zustieß.
Es dauerte überhaupt nicht lange ‒ alles geschah in einem
Wimpernschlag. Beide Parteien befanden sich bereits in der Luft, ihre
Schwertspitzen waren aufeinander gerichtet. Yu Ai bewegte sich blitzschnell,
aber Shen Qiao war noch schneller ‒ er wurde eins mit seinem Schwert und
verschwand dann plötzlich aus Yus Sicht.
In der Welt der Kampfkünste ist Geschwindigkeit alles!
Sofort erhob sich Yu Ais Wachsamkeit. Er drehte sich sofort
um und schwang sein Schwert hinter sich, aber es war bereits zu spät. Shen
Qiaos Schwertabsicht war nur noch Zentimeter entfernt, und es gab kein
Entkommen mehr. Ihm blieb nur die Zeit, einen flüchtigen Blick auf das weiße
Schwertlicht zu werfen, und sein Herz sank. Da ihm keine Zeit zum Nachdenken
blieb, wich er mit einer noch nie da gewesenen Schnelligkeit zurück, wobei er
sein ‘Ein Regenbogen spannt sich über den Himmel‘ bis zum Äußersten trieb.
Seine gesamte Person löste sich in Luft auf und tauchte drei Meter entfernt
wieder auf.
Shen Qiao hätte ihn verfolgen und einholen können ‒ seine
weiße Schwertabsicht war bereits perfektioniert. Der nächste Schritt nach oben
wäre das Erreichen des Schwertherzens. Selbst wenn er nur die Hälfte seiner
inneren Energie besaß, war seine weiße Schwertabsicht mehr als genug, um viele
zu verängstigen.
Aber Shen Qiao nutzte seinen Vorteil nicht aus, und Yu Ai
blieb ebenfalls stehen. Die beiden starrten sich an, jeder in seinen eigenen
Gefühlen versunken. Sie wussten beide, dass sie niemals in die Vergangenheit
zurückkehren konnten.
Shen Qiao stand da, den Rücken kerzengerade, sein Schwert
auf den Boden gerichtet. Er sagte streng: „Ihr solltet jetzt verstehen, dass,
wenn wir kämpfen, weder Euer Sieg noch meine Niederlage garantiert sind. Hört auf,
zu denken, dass ich Euch ausgeliefert bin, dass Ihr mich nach Belieben
manipulieren könnt. Auch wenn ich nicht mehr der Sektenanführer des Xuandu-Bergs
bin, bin ich immer noch Shen Qiao, der Schüler von Qi Fengge!"
Auf Yu Ais Gesicht zeigte sich ein komplizierter Ausdruck. „Yuan
Ying und Hengbo vermissen dich sehr. Sie wünschen sich deine Rückkehr..."
„Yu Ai, nachdem Ihr mich mit Freudige Wiedervereinigung
vergiftet habt, glaube ich Euch kein Wort mehr."
Yu Ais Miene verfinsterte sich. Etwas wogte in seinen
Augen, als würden bald tosende Wellen kommen. „Ich habe mich damals geirrt.
Aber von jetzt an werde ich dir nie wieder wehtun."
Shen Qiao schüttelte den Kopf. „Was hat es für einen Sinn,
das jetzt zu sagen? Was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden,
was zerbrochen ist, kann nicht repariert werden, und keine Wiedergutmachung
kann das zugefügte Unrecht wiedergutmachen. Was die Menschen als Wiedergutmachung
bezeichnen, ist nur eine Möglichkeit, sich selbst und andere zu täuschen. Ich
werde nicht auf den Xuandu-Berg zurückkehren, weil ich nicht will, dass der
Xuandu-Berg von Streit zerrissen wird, und noch mehr, weil ich nicht will, dass
die Bemühungen unserer Vorväter sich in Rauch auflösen. Da Ihr diesen Schritt
bereits zusammen mit den Schülern des Xuandu-Berges getan habt, müsst Ihr Euch
auf die Konsequenzen gefasst machen. Wenn der Tag kommt, an dem Ihr sie nicht
mehr ertragen könnt, werde ich selbst zu Euch kommen."
Yu Ais Brust hob sich unregelmäßig. Nach einem langen
Moment lachte er eisig und sagte: „Nun gut. Nun gut...
Als er diese Worte wiederholte, klang in seinem eisigen
Tonfall ein Hauch von Verzweiflung mit, der aber schnell verblasste, als wäre
er nur eine Illusion.
Ohne ein weiteres Wort steckte er sein Schwert zurück in
die Scheide, drehte sich um und ging. Nicht ein einziges Mal warf er einen
Blick auf Shen Qiao zurück.
Dou Yanshan rieb sich die Nase. Jetzt, da Yu Ai weg war,
hatte er keinen Grund mehr, einzugreifen. Außerdem war er immer noch
misstrauisch und ängstlich gegenüber Shen Qiaos Kampfkünsten, so dass er sich
natürlich nicht allzu gerne in den Kampf stürzen wollte.
„Ich gratuliere Ihnen zur Wiedererlangung Ihrer
Kampfkünste, Daozhang Shen", sagte er. „Als jemand, der mit Sektenanführer
Yu befreundet ist, war ich verpflichtet, vorhin für ihn zu sprechen. Ich bitte
Sie, mir das nicht übel zu nehmen.“
Der Grund, warum Dou Yanshan die größte Gilde im ganzen
Land anführen konnte, war seine unglaubliche Gerissenheit. Es war nicht leicht,
mit ihm fertig zu werden. Vorhin hatte er ohne zu zögern angegriffen, und jetzt
hatte er sich sofort entschuldigt. Schnell und entschlossen, ein gerissener und
furchterregender Mann bis zum Schluss.
Es war schwer, ein Lächeln aufzusetzen, und für jemanden
mit Shen Qiaos Erziehung war es sogar noch unmöglicher. Er nickte und sagte: „Wir
haben alle unsere eigenen Positionen, das verstehe ich. Gildemeister Dou ist zu
großzügig."
Dou Yanshan sagte: „Zuvor hatte Daozhang Shen den Körper
von Yan Wushi mitgenommen. Ich nehme an, der Mann wurde bereits beigesetzt? Es
ist bedauerlich, dass ein Großmeister seiner Generation sein Leben außerhalb
der Großen Mauer verlieren musste. Die Toten müssen vor allem verehrt werden,
und für die Menschen in der Zentralebene ist ein Begräbnis in der Heimat sehr
wichtig. Wenn Daozhang Shen nichts dagegen hat, ist die Liuhe-Gilde bereit, uns
zu helfen. Wir können den Leichnam des Sektenanführers Yan zurück nach Chang'an
bringen und ihn dann der Huanyue-Sekte."
Shen Qiao antwortete kühl: „Ich bin Gildeanführer Dou für
seine Freundlichkeit dankbar. Der Leichnam wurde jedoch bereits beigesetzt; ihn
noch einmal auszugraben, wäre ungünstig. Die Menschen in der Jianghu legen
weniger Wert auf diese Bräuche, und da er zahllose Feinde hatte, hätte er mit
einem solchen Ende schon rechnen müssen. Ich habe seine sterblichen Überreste
nur aufgrund der kleinen Freundschaft, die wir in der Vergangenheit geteilt
haben, geborgen."
Dou Yanshan versuchte, weiter nachzuforschen, aber Shen
Qiaos Verteidigungsmaßnahmen waren wasserdicht. Es gab nicht die geringste
Andeutung eines Lecks.
Shen Qiao schaute die Leute um sich herum an und sagte dann
langsam: „Eure Münder gehören euch allein. Ihr könnt über mich sprechen, wie
ihr wollt, ich werde mich nicht einmischen. Wenn ihr mit mir unzufrieden seid,
braucht ihr nur zu mir zu kommen ‒ ich werde demütig warten. Aber wenn ich
höre, dass jemand den Xuandu-Berg oder meinen Meister beleidigt, dann
entschuldige bitte mein Schwert für seine Unbarmherzigkeit."
In dem Moment, als diese Worte fielen, blitzte ein weißes
Licht in den Augen aller auf. Bevor sie reagieren konnten, fiel die
Bambusbannerstange vor der Tür des Gasthauses in sechs sauberen Stücken zu
Boden. Sogar das Transparent an der Spitze war durch das grelle Schwert zu
feinem Pulver zermahlen worden.
Alle staunten, völlig verblüfft. Diejenigen, die ihn zuvor
hinterrücks verunglimpft und verleumdet hatten, spürten, wie ihre Herzen
zitterten.
Sie wussten sehr wohl, dass allein dieses Schwertlicht weit
über das hinausging, was die meisten von ihnen jemals in ihrem Leben erreichen
könnten, und es war offensichtlich, dass Shen Qiao dies als Warnung und Drohung
verstand. Es war nicht nur für sie, sondern auch für Dou Yanshan.
Aber Dou Yanshan lächelte nur. Er schien sich vollkommen
wohlzufühlen und klatschte sogar in die Hände. „Daozhang Shen muss seinen
Schwertkampf bereits perfektioniert haben", rief er aus.
„Es ist nur ein kleiner Trick, nichts, womit man angeben
könnte", sagte Shen Qiao. „Ich habe mich schon vor Gildeanführer Dou
blamiert."
Wäre dies früher der Fall gewesen, hätte Shen Qiao mit
seiner Veranlagung niemals seine Kampfkünste so zur Schau gestellt. Aber die
Dinge hatten sich geändert: Manche Leute hörten nie auf die Vernunft und
verstanden nur, wenn man mit der Faust sprach. Sie glaubten fest daran, dass
der Starke der König sei; für sie war Freundlichkeit nichts anderes als eine
Schwäche.
Nachdem er ein Jahr lang in der Jianghu herumgezogen war,
hatte Shen Qiao endlich gelernt, mit verschiedenen Menschen mit verschiedenen
Mitteln umzugehen.
Er bezahlte dem Kellner das beschädigte Transparent
zusammen mit seinem Essen und wandte sich dann zum Verlassen des Gasthauses.
Natürlich wurde er diesmal von niemandem aufgehalten.
Da Dou Yanshan und Yu Ai hier waren, konnte Shen Qiao die
Stadt nicht überstürzt verlassen, geschweige denn eine Apotheke aufsuchen, um
Medizin zu kaufen, denn sonst hätte die andere Partei durch ihren Scharfsinn
sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Also fand er ein anderes Gasthaus und
tat so, als würde er sich dort niederlassen. Als die Nacht hereinbrach und die
Ausgangssperre eintrat, verließ er schließlich lautlos die Stadt und lief in
Richtung des Dorfes.
Die Bewegung, die er der Menge an diesem Tag vorgeführt
hatte, war nicht mehr als eine leere Demonstration von Stärke. Er wusste besser
als jeder andere, dass ein Kampf gegen Yu Ai mit seinen derzeitigen Fähigkeiten
bereits zu viel des Guten war. Yu Ai hatte aufgrund seines schlechten Gewissens
und des psychologischen Schlags, den er durch Shen Qiaos Worte erlitten hatte,
keinen Verdacht geschöpft, aber Dou Yanshan war anders. Als Beobachter konnte
er klar sehen und zweifelte wahrscheinlich immer noch an Shen Qiaos
Kampfkünsten. In diesem Moment wartete im Dorf ein Mühlstein mit dem Nachnamen
Yan auf ihn, also konnte sich Shen Qiao keinen Fehler leisten.
Der Mond stand bereits hoch am Himmel, als er im Dorf
ankam, und sein sanftes Licht fiel auf den Fluss. Shen Qiao verlangsamte
schließlich seine Schritte und ging auf Bannas Haus zu.
Das nächtliche Dorf war in eine unheimliche Stille gehüllt,
die nur durch das gelegentliche Gebell von Hunden in der Ferne unterbrochen
wurde.
Shen Qiao klopfte ein paar Mal leicht gegen das Hoftor. Sie
ertönten deutlich im Dunkel der Nacht und waren laut genug, dass die Menschen
im Inneren sie hören konnten.
Im Gebäude brannte noch eine Kerzenflamme, ein Beweis
dafür, dass die Bewohner noch nicht geschlafen hatten.
Nach einem Moment hörte er Schritte, und das Hoftor öffnete
sich. Das verängstigte Gesicht von Banna erschien am Eingang.
Shen Qiaos Augen funktionierten um diese Tageszeit nicht
besonders gut, aber er war es gewohnt, blind zu sein. Er war schon lange in der
Lage, die Emotionen einer Person an ihrem Atem, ihren Schritten und ihrem
Tonfall zu erkennen, und sein Herz sank sofort ein wenig. „Ist etwas passiert?"
„Shen-Langjun, endlich seid Ihr zurückgekehrt!" Banna
hielt sich die Brust. „Großvater ist nicht zu Hause, und ich hatte solche
Angst, hier allein zu sein. Dieser... dieser... lebende Tote ist aufgewacht!"
Von der Autorin:
A-Qiao ist in diesem Kapitel wirklich aufgestiegen und
sieht mehr und mehr wie ein Gong aus. Alter Yan, was hältst du davon?
Yan Wushi: Der Handlung nach bin ich im Moment nur ein
lebender Leichnam. Ich kann nicht sprechen und ich kann keine Suppe essen. Ah ~~
[Er öffnet leicht den Mund].
Shen Qiao: ...
Erklärungen:
Der neunschwänzige göttliche Fuchs, 九尾狐, ist ein mythisches Fuchswesen, das aus der ostasiatischen Mythologie stammt. In der chinesischen, koreanischen und japanischen Folklore werden Füchse als Geister dargestellt, die über magische Kräfte verfügen. Diese Füchse werden oft als schelmische Wesen dargestellt, die in der Regel andere Menschen austricksen und sich als schöne Männer oder Frauen verkleiden können.
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also yu ai versucht es schon wieder mit gewalt in zurück zubekommen auch wenn er in verletzt. jetzt sogar noch mehr weil yan nicht dabei ist. aber shen zeigt im das er sich nicht zwingen lässt. der ander versucht natürlich herraus zu finden wo shen die leiche hin gebracht hat. jeder will etwas doch shen gibt sich keine blöse.
AntwortenLöschenJa, Yu Ai ist und bleibt immer ein mieser Ar***loch. Boah, ich weiß einfach nicht was für ein Schicksal ich mir für ihn wünsche den Tod, Verstoßung (von der Sekte), das Gift "Freudige Wiedervereinigung" oder etwas ganz anderes. Ich bin sowieso sehr gespannt, was aus ihm am Ende werden wird, den ein solches asoziale Verhalten muss doch in irgendeiner Art und Weise Konsequenzen nach sich ziehen.
LöschenChen Gongs Wesen ist auch einfach nur widerlich.
Tja, da muss der arme Shen Qiao sich durch etwas kämpfen und das nur, weil er jemanden beschützt den er gat nicht leiden kann. Fällt das schon unter Masochismus?
Ich finde es auch nur richtig geil, wie hier Shen Qiao zeigt, dass er sich entwickelt hat und das es jetzt weit aus weniger Leute gibt die ihm das Wasser reichen können. Aber auch seine Redegewandtheit und beim Durschauen von Menschen hat er einiges dazugelernt. Also in dieser Beziehung hat Yan Wushi Einfluss auf Shen Qiao gehabt, zwar nicht so wie er es wollte aber immerhin.