Kapitel 110

Diese Worte waren voll von Yan Wushis charakteristischer Kaltschnäuzigkeit. Im Laufe der Jahrhunderte, so sagte er, konnten diejenigen mit großen Leistungen sogar ihre Eltern im Stich lassen und ihre Geschwister vernachlässigen, ganz zu schweigen von ihren Kindern. Auf jeden Fall waren diese beiden nicht die einzigen Söhne von Puliuru Jian, er hatte noch drei weitere. Außerdem war Puliuru Jian im besten Alter, weswegen es nicht schwer sein würde, weitere Söhne und Töchter zu bekommen. Es gab keinen Grund, sich die Hände zu binden, nur weil zwei seiner Söhne in den Händen von Yuwen Yun waren ‒ er sollte trotzdem tun, was er tun musste.

Obwohl Shen Qiao mit diesen Worten nicht einverstanden war, fand er sie weder seltsam noch unerwartet. Er wusste, das Yan Wushi so eine Art von Mensch war. Im Gegenteil, die verschiedenen Sonderbehandlungen, die er in letzter Zeit von Yan Wushi erhalten hatte, waren viel beunruhigender und bizarrer.

Außer Shen Qiao waren auch Zheng Yi und Bian Yanmei anwesend. Bian Yanmei war Yan Wushis Schüler und ein dämonischer Praktizierender; auch seine Methoden waren unkonventionell und unberechenbar, weswegen er in dem, was Yan Wushi sagte, nichts Unangemessenes sehen würde. Da Zheng Ying als Vertrauter von Puliuru Jian galt, konnte er auch nicht allzu sanftmütig sein. Obwohl er nichts sagte, stimmte auch er den Worten Yan Wushis zu.

Puliuru Jian lächelte verbittert. „Jene, die Großes geleistet haben, kümmern sich nicht um Kleinigkeiten, aber wie kann ich mein eigen Fleisch und Blut so einfach aufgeben? Kaiser Gaozu von Han bat Xiang Yu, um eine Tasse Fleisch von seinem Vater. Das kann ich nicht tun. Wenn ich sogar meine eigenen Verwandten im Stich lassen kann, würde Yan-Zongzhu sicher auch auf mich herabsehen, oder?"

Das war in der Tat eine kluge Aussage. Obwohl er Yan Wushi um Hilfe bei der Rettung seiner Kinder bat, vermittelte er den Eindruck von Hingabe und Rechtschaffenheit. Ein so gütiger und sanfter Kaiser wie Yuwen Xian würde natürlich nur sehr wenig erreichen können, aber einer wie Gou Jian, der sich seiner Untertanen entledigte, sobald sie ihren Zweck erfüllt hatten, wäre dafür zu schrecklich. Puliuru Jian versicherte seinen Anhängern, dass er ihre Freundlichkeit auch in Zukunft nicht vergessen würde.

Shen Qiao verstand nur vage, warum Yan Wushi dazu übergegangen war, Puliuru Jian zu unterstützen.

Yan Wushi lächelte kurz, aber er fuhr nicht mit der Frage fort, ob er sie retten sollte oder nicht. Stattdessen fragte er: „Seid Ihr Euch sicher, dass sie noch am Leben sind und sich im Palast befinden?“

Puliuru Jian verstand, dass dies ein stillschweigendes Versprechen von Yan Wushi war, sie zu retten, also sammelte er schnell seinen Geist und sagte: „Ich bin mir sicher. Die Kaiserin hat ihr Leben riskiert, um heimlich jemanden mit einem Brief zu uns zu schicken, in dem steht, dass seine Majestät meine Söhne im Palast der Kaiserin festgehalten hat, und die Kaiserin selbst steht unter Hausarrest und kann nicht gehen. Das ist schon mehr als zehn Tage her. Ich denke, dass seine Majestät sie als Geiseln benutzen will, um mich von einer unüberlegten Handlung abzuhalten."

Eine Rebellion durchzuführen war nicht wie Essen oder Wasser zu trinken. Obwohl Puliuru Jian bereits viele Vorbereitungen getroffen hatte, war er sich vor dieser Entwicklung noch nicht ganz sicher. Wenn überhaupt, hatte der Zwang des Kaisers seine Entschlossenheit erzwungen. In dem Moment, in dem seine Kinder gerettet würden, würde er, ohne zu zögern, einen Staatsstreich starten.

„Um Eure Kinder zu retten, müsst Ihr bereit sein, euch gegen Yuwen Yun zu wenden", sagte Yan Wushi. „Es gibt Leute von den buddhistischen Sekten, die den Palast beaufsichtigen, und auch die Hehuan-Sekte hat dort Mitglieder. Selbst wenn sie mich nicht besiegen können, wird sie nichts davon abhalten, Eure Kinder aus Bosheit zu töten."

Puliuru Jian seufzte. „Ja, das geht mir auch nicht aus dem Kopf. Ich fühle mich ziemlich unruhig. Hat Yan-Zongzhu eine gute Idee?"

Yan Wushi dachte einen Moment lang nach. „Yuwen Yun hat sich geweigert, jemanden gehen zu lassen, aber schließlich hat er sich nicht in der Öffentlichkeit gegen Euch gewandt", sagte er. „Ihr könnt euren Kindern Geschenke schicken, um in den Palast zu gelangen, und dann auf eine Gelegenheit warten, sie zu retten. Das ist der einzige Weg."

Bian Yanmei verstand schnell. „Dieser Schüler ist bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. Ich kann mich verkleiden und in den Palast schleichen und dann auf eine Gelegenheit warten, um jemanden zu retten."

Überraschenderweise wies Yan Wushi ihn zurück. „Deine Kampfkünste sind immer noch mangelhaft. Wenn du am Ende Xueting gegenüberstehst, erwartet dich nur der Tod."

Bian Yanmei rieb sich die Nase, schwieg aber.

„Inzwischen ist meine Gestalt zu auffällig", sagte Yan Wushi, „und ich habe die Technik des Knochenschrumpfens nie gelernt. Wenn ich mich verkleide, werden die anderen vielleicht nichts Ungewöhnliches bemerken, aber dieser kahlköpfige alte Esel Xueting würde es sofort durchschauen. Das würde nur nach hinten losgehen. Wenn wir diese Jungen retten wollen, müssen wir einen außergewöhnlichen Kampfkünstler finden, der sich der Situation entsprechend anpassen kann. Wenn es so weit ist, werde ich mich von außerhalb des Palastes mit dir koordinieren."

Für Puliuru Jian war Bian Yanmei bereits ein mächtiger Kampfkünstler, aber Yan Wushi hatte ihn für unzureichend gehalten und gesagt, sie bräuchten einen besseren. Wenn sie sich auf einen möglichen Kampf gegen Xueting vorbereiten mussten, brauchten sie einen Kampfkünstler auf der Ebene eines Zongshis. Zonghis wuchsen jedoch nicht wie Kohlköpfe aus dem Boden, und Puliuru Jian war auch noch nicht der Kaiser. Selbst wenn er es wäre, müsste er diesen hypothetischen Kampfkünstler mit besonderer Höflichkeit und Respekt behandeln. Wo sollte er so kurzfristig einen finden?

Als mehrere Augenpaare auf ihn fielen, stieß Shen Qiao einen Seufzer aus. „Diesem bescheidenen Daoisten fehlt es an Talent", sagte er sanft, „aber jemandem das Leben zu retten, ist mehr wert als tausend Verdienste. Ich wäre bereit, es zu versuchen, aber ich bin mit der Anlage des Palastes nicht vertraut. Wenn ich erst einmal drinnen bin, werde ich so gut wie blind sein. Ich fürchte, dass ich mich verlaufen könnte, bevor ich jemanden retten kann."

Puliuru Jian hatte gerade an Shen Qiao gedacht, aber das war etwas anderes, als Yan Wushi um Hilfe zu bitten. Ihn verband keine tiefe Freundschaft mit Shen Qiao, und wenn er sie nicht anbot, konnte Puliuru Jian nicht so schamlos sein, darum zu bitten. Nun, da Shen Qiao sich freiwillig gemeldet hatte, war er natürlich überglücklich.

„Daozhang Shen auf dem Schlachtfeld zu haben ist mehr, als Jian sich wünschen kann", sagte er. „Aber die Infiltrierung des Palastes wird furchtbar heimtückisch werden. Obwohl ich mir Sorgen um meine Liebsten mache, wage ich es nicht, Daozhang Shen vorschnell in Gefahr zu bringen. Ich habe gehört, dass sich Xueting am achten April, dem Geburtstag Buddhas, zum Qingliang-Tempel der Stadt begeben wird, um dort um Segen zu beten. Wenn er nicht mehr da ist, sollte es viel einfacher sein, mit den restlichen Truppen fertig zu werden. Zu dieser Zeit werde ich mehr Leute schicken, die Daozhang Shen begleiten erstens, um die Führung zu übernehmen, und zweitens als Verstärkung, falls etwas schief geht. Sie können auch als Eure Unterstützung dienen."

„Qualität geht vor Quantität", sagte Bian Yanmei. „Lasst mich Daozhang Shen in den Palast begleiten, denn ich bin auch mit dem Bauwerk vertraut. Dann reicht es aus, zwei weitere Dienstmädchen zu schicken. Yuwen Yun ist kein Narr wenn es zu viele Leute sind, wird auch er misstrauisch werden."

Shen Qiao nickte und sagte nichts weiter.

Nach weiteren Gesprächen über Zeit und Ort einigten sich beide Parteien darauf, dass Puliuru Jian zunächst ein Gesuch um einen Besuch einreichen sollte. Sollte Yuwen Yun dies ablehnen, würden sie den Palast betreten, um Geschenke im Namen der Mutter der Kaiserin, der Herrin Dugu, zu überbringen. Shen Qiao und die anderen verabredeten sich für den siebten April in der Residenz des Herzogs von Sui, wo sie sich als Dienerinnen der Residenz des Herzogs von Sui, die die Kaiserin besuchten, verkleiden sollten. Drinnen würden sie auf die Gelegenheit warten, die Rettung zu inszenieren.

Inzwischen hatte sich zweifellos schon herumgesprochen, dass Yan Wushi und Shen Qiao die Residenz des Junior-Präzeptors betreten und damit das Verbot missachtet hatten. Sie konnten nicht allzu lange hierbleiben. Nachdem die Angelegenheit geklärt war, gingen alle auseinander. Puliuru Jian folgte einem Geheimgang aus der Residenz des Junior-Präzeptors und kehrte zur Residenz des Herzogs von Sui zurück, während Bian Yanmei Yan Wushi und Shen Qiao zu einer anderen Residenz in der Stadt brachte.

Dabei handelte es sich nicht um die Residenz, in der Shen Qiao gewohnt hatte, sondern um eine andere, die er noch nie betreten hatte. „Das schlaues Kaninchen hat drei Ausgänge zu seinen Höhlen.“ Die dämonischen Praktizierenden, insbesondere die Huanyue-Sekte, war ein Beispiel für dieses Sprichwort. Shen Qiao vermutete, dass Bian Yanmei heimlich bis zu zehn Wohnsitze gekauft hatte, um sich abzusichern, und wenn einer davon entdeckt wurde, gab er ihn auf und zog in den nächsten um. Auf jeden Fall hatte die Huanyue-Sekte eine Menge Geld verdient, als Yuwen Yong sie noch unterstützt hatte, und auch jetzt betrieben sie noch zahlreiche Geschäfte. Sie waren zwar nicht so groß wie die Liuhe-Gilde, aber an Reichtum mangelte es Yan Wushi gewiss nicht.

Bian Yanmei stellte ihnen das Gebäude vor. „Dies ist eine private Residenz mit dem Namen Li. Für die Außenwelt ist es die Residenz eines Kaufmanns, weshalb die Hehuan-Sekte diesen Ort vorerst nicht finden kann. Shizun und Daozhang Shen können beruhigt sein."

Er wusste nicht, welche Art von Beziehung Shen Qiao jetzt zu seinem Shifu hatte. Enge Freunde? Sie sahen nicht danach aus. Und bei dem Temperament seines Meisters konnte er Shen Qiao vergessen selbst wenn der beste Kampfkünstler der Welt mit ihm befreundet sein wollte, würde Yan Wushi es vielleicht für sinnlos halten. Bian Yanmei erinnerte sich noch daran, dass sein Meister Shen Qiao immer mitgenommen hatte, aber nur, um sich selbst zu amüsieren es gab keinen Sinn für Freundschaft zwischen ihnen.

Bian Yanmeis Beobachtungsgabe war viel schärfer als die seines Shidis Yu Shengyan. Er konnte natürlich erkennen, dass Yan Wushis Umgang mit Shen Qiao höchst ungewöhnlich und ganz anders als früher war. Aber er konnte nicht genau sagen, worin der Unterschied bestand auch wenn er sich das Hirn zermarterte, konnte er sich nicht vorstellen, dass sein eigener Shifu solche Gedanken hegte. Obwohl Shen Qiao sanftmütig und gutaussehend war, konnte er sich nicht vorstellen, dass er als Lustknabe mit Gefälligkeiten überhäuft wurde. Außerdem hatte der Liuli-Palast gerade die Rangliste der Kampfkünstler im ganzen Land veröffentlicht, und Daozhang Shen gehörte zu den zehn Besten. Wer auf der Welt würde es wagen, unlautere Absichten gegenüber einem Zongshi der Kampfkunst zu hegen?

Yan Wushi wagte es.

Aber Bian Yanmei hatte nicht erwartet, dass sein Meister es wagen würde.

Da Yan Wushi Shen Qiao besondere Wertschätzung entgegenbrachte, konnte jemand, der so geschickt war wie Bian Yanmei, Shen Qiao niemals brüskieren. Und obwohl er in seiner Skrupellosigkeit seinem Shifu nacheiferte, bewunderte er in seinem Herzen Shen Qiaos Charakter aufrichtig. Es gab viele Schurken und Heuchler auf dieser Welt und keinen Mangel an Menschen, die sich als moralische aufrechte Langjuns präsentierten, aber in Wahrheit unfähig waren, sich angesichts der Versuchung zu beherrschen. Bian Yanmei stammte aus der Jianghu, aber er hatte auch viele Jahre am kaiserlichen Hof der Nördlichen Zhou-Dynastie gedient und war allen Arten von Menschen begegnet. Jemanden wie Shen Qiao konnte man wirklich als einen Menschen bezeichnen, der praktizierte, was er predigte sein Handeln und sein Gewissen waren eins.

Während sie miteinander sprachen, schickte der Herzog von Sui heimlich jemanden, um etwas zu überbringen, das an Shen Qiao gerichtet war.

Da die Huanyue-Sekte mit dem Herzog von Sui verbündet war, wussten sie natürlich auch über diesen Ort Bescheid, wodurch eine bequeme Kommunikation zu jeder Zeit möglich war.

Shen Qiao wusste nicht, worum es sich handelte, und als er das Bambusrohr öffnete, den Inhalt herausnahm und es öffnete, um einen Blick darauf zu werfen, stieß er einen leisen Laut der Überraschung aus.

Yan Wushi blickte ihn an und lächelte. „Puliuru Jian ist wirklich ein kluger, scharfsinniger Mann."

Dieser Gegenstand war eine der fünf Schriftrollen der Zhuyang Strategie: diejenige, die ursprünglich im inneren Palast der Nördlichen Zhou-Dynastie verborgen war.

Yan Wushi hatte diese Schriftrolle der Zhuyang Strategie in der Vergangenheit gelesen, aber damals hatte er bereits erkannt, dass ihr Inhalt größtenteils nicht mit den Fenglin-Schriften vereinbar war, weswegen er sie sich nicht eingeprägt hatte. Später, als seine Gefühle für Shen Qiao gewachsen waren, hatte er ihm grob alles erzählt, woran er sich erinnerte. Aber das war nichts im Vergleich dazu, dass ihm das komplette Original ausgehändigt wurde. Mit Ausnahme der Schriftrolle in der Tiantai-Sekte kannte Shen Qiao nun den Inhalt der Zhuyang Strategie vollständig.

Obwohl die Schriftrollen der Zhuyang Strategie wertvoll waren, war Yuwen Yun kein Kampfkünstler. Nachdem er seinen Vater vergiftet und getötet hatte, hatte der Hof eine große Flut von Veränderungen erlebt. Yuwen Yun hatte weder die Zeit gehabt, sich um solche Dinge zu kümmern, noch hatte er sich dafür interessiert. Puliuru Jian hatte seine Stellung ausgenutzt und seine Tochter beauftragt, die Schriftrolle während des Chaos aus dem Palast zu schmuggeln. Er hatte die Schriftrolle bis jetzt aufbewahrt und sie nun Shen Qiao geschenkt.

Nachdem er ein so wertvolles Geschenk erhalten hatte, musste Shen Qiao natürlich seine Gunst anerkennen, denn Puliuru Jian hatte sich glänzend verhalten. Er hatte nicht gewartet, bis die Aufgabe erfüllt war, um dieses Geschenk zu überreichen, sondern er hatte es im Voraus überreicht und damit sein Vertrauen in Shen Qiaos Charakter und seine Zuversicht zum Ausdruck gebracht, dass Shen Qiao seine Versprechen nicht brechen würde.

Egal, wie gefährlich der Palast sein würde, Shen Qiao würde gehen müssen, und er würde es freiwillig tun, ohne das geringste Zögern.

Deshalb hatte Yan Wushi gesagt, Puliuru Jian sei vernünftig und habe ein ausgezeichnetes Gespür dafür, wie man sich in der Gesellschaft verhalten sollte.

Shen Qiao wurde plötzlich etwas klar. „Vorhin sagtest du, dass ein Treffen mit Puliuru Jian große Vorteile bringen würde", sagte er. „Hast du das damit gemeint? Hast du erwartet, dass Puliuru Jian mir die Schriftrolle der Zhuyang Strategie gibt?"

Yan Wushi lächelte. „Ich bin weder ein Gott noch ein Unsterblicher. Wie könnte ich da die Zukunft vorhersagen? Aber die Schriftrolle war bei Puliuru Jian, und ich wusste, wenn er deine Hilfe will, muss er dir zumindest seine Aufrichtigkeit zeigen. Die vollständige Wiederherstellung deiner Kampfkünste scheint unmittelbar bevorzustehen, aber da die gesamte Zhuyang Strategie aus derselben Quelle stammt, wird sie, solange ein Teil fehlt, letztlich fehlerhaft bleiben. Vielleicht hast du einen wichtigen Punkt übersehen, der für die Kultivierung förderlich ist. Selbst wenn es diesen Vorfall nicht gegeben hätte, hätte ich ihm die Schriftrolle trotzdem abgenommen und sie dir gegeben."

Shen Qiao konnte nicht umhin, ihm einen Blick zuzuwerfen.

Wenn Yan Wushi jemandem etwas Gutes tun wollte, würde er nicht nur "gut" sein, sondern außergewöhnlich. Er würde ihnen die Schätze der ganzen Welt anbieten und ihnen offen sagen: „Ich bin bereit, das für dich zu tun“.

Als Yan Wushi den Blick von Shen Qiao bemerkte, lächelte er leicht und sagte: „A-Qiao, es gibt keinen Grund, sich so aufzuregen. Ich habe dir bereits vom Inhalt dieses Bandes erzählt. Die Geste von Puliuru Jian ist nur ein zusätzliches Merkmal, so wie man Blumen auf Brokat legt. Nächstes Mal werde ich dir etwas noch Besseres geben, und bis dahin kannst du dir deine Rührung sparen!"

Shen Qiao wollte wirklich vor Lachen über die Schamlosigkeit dieses Mannes zusammenbrechen. Schnell wich er seinem Blick aus, weil er befürchtete, dass Yan Wushi etwas noch Schrecklicheres zu sagen hätte.

Am siebten April kamen Yan Wushi, Shen Qiao und Bian Yanmei wie vereinbart in der Residenz des Herzogs von Sui an.

Puliuru Jian hatte bereits einen Antrag gestellt, Herrin Dugu den Besuch ihrer Tochter im Palast zu gestatten, der vom Kaiser tatsächlich abgelehnt wurde. Puliuru Jian schrieb daraufhin ein weiteres Memorandum, in dem er erklärte, dass Herrin Dugu zwar nicht in der Lage sei, die Kaiserin im Palast zu besuchen, dass aber die Liebe zwischen Mutter und Kind sehr stark sei und sie deshalb hoffe, der Kaiserin einige Lebensmittel und Briefe aus der Heimat als Zeichen der Sehnsucht einer Mutter nach ihren Kindern zu schenken.

Vielleicht wollte der Kaiser seine Meinungsverschiedenheit mit dem Herzog von Sui nicht öffentlich machen, denn dieses Mal willigte er ein.

Puliuru Jian wählte zwei intelligente und fähige Dienstmädchen aus und bereitete sie darauf vor, Shen Qiao und Bian Yanmei in den Palast zu begleiten.

Als Shen Qiao die Kleidung sah, in der er den Palast betreten sollte, verfinsterte sich seine Miene. Er wandte sich an Yan Wushi und fragte: „Warum hast du mir nicht gesagt, dass ich mich als Frau verkleiden soll?"

Yan Wushi schaute überrascht und stellte ihm seine eigene Frage.

„Wie kann ein Außenstehender einfach so den Palast betreten, geschweige denn den kaiserlichen Harem? Ich dachte, das wüsstest du bereits!"

Shen Qiao fand keine Worte mehr.

Er spürte, dass Yan Wushi wahrscheinlich immer noch einen Groll gegen ihn hegte, weil Shen Qiao ihn als Frau verkleidet hatte, aber Yan Wushis Argumentation klang so großartig und würdevoll, dass er sie nicht widerlegen konnte.

„Es ist in Ordnung", tröstete ihn Bian Yanmei. „Ich werde auch Frauenkleider tragen."

Sie waren bereits an diesem Punkt angelangt. Da Shen Qiao zugestimmt hatte, zu helfen, konnte er natürlich nicht widersprechen. Er konnte sich nur mit seinem Schicksal abfinden und sich von den Dienstmädchen umziehen lassen, um sich dann zu schminken.

Das Dienstmädchen, das ihn schminkte, war kein gewöhnliches Dienstmädchen, sondern eine Schülerin der Huanyue-Sekte, die von Bian Yanmei hierher gebracht worden war. Sie wusste, wie man sich verkleidet und sein Aussehen verändert.

Bisher hatte Shen Qiao geglaubt, dass alle Verkleidungstechniken so waren wie die von Huo Xijing, bei der man sein Gesicht direkt mit einer Maske aus Menschenhaut bedeckt und dann eine geheime Technik anwendet, aber Bian Yanmei sagte ihm, dass dies nicht der Fall sei.

„Huo Xijings Technik der Gesichtsveränderung erfordert die Verwendung von unzähligen Heilkräutern, um die menschliche Haut zu bearbeiten, und dann weitere geheime Techniken, um sie zu verfeinern", erklärte er. „Es würde mehr als ein halbes Jahr dauern, um sie zu vollenden. Erstens haben wir nicht die Zeit, und zweitens weiß ich nicht, um welche Art von Geheimtechnik es sich handelt. Drittens muss die Maske dem Träger gut passen die Konturen müssen übereinstimmen. Es gibt viele Anforderungen. Wenn es auch nur eine kleine Abweichung gibt, werden andere die Fehler leicht bemerken, und es wird überhaupt nicht überzeugend aussehen. Es ist also besser, andere Methoden anzuwenden."

Das Dienstmädchen lächelte, als sie Shen Qiaos Gesicht mit Schminke versah. „Dieser Daozhang ist schon so gutaussehend und schön. Mit ein paar kleinen Verschönerungen wird er zu einer Schönheit, die Nationen stürzen kann!" 

Shen Qiao war verblüfft. „Im Gegensatz zu Frauen haben Männer eine Ausbuchtung im Hals, die sich nicht verbergen lässt, egal wie hoch der Kragen ist. Jeder, der aufpasst, würde es sofort sehen. Wie wollt Ihr ihn verstecken?"

Das Dienstmädchen lächelte strahlend. „Überlasst die Dinge einfach uns, Daozhang!"

Neben ihm ermahnte Bian Yanmei die beiden. „Macht Daozhang Shen nicht zu schön. Es wäre schrecklich, wenn der Kaiser Gefallen an ihm finden würde."

Shen Qiao war sprachlos.

Das Dienstmädchen stieß ein Lachen aus. „Daran können wir nichts ändern", sagte sie. „Egal, wie sehr wir uns bemühen, wir können die Haltung des Daozhangs selbst nicht verbergen. Bestenfalls können wir sein Gesicht ein wenig gewöhnlicher aussehen lassen!"

Nachdem sie ihre Gesichter und Hälse verschönert hatten, brachten sie Shen Qiao und Bian Yanmei zwei Garnituren von Dienstmädchenroben aus der Residenz des Herzogs von Sui, damit sie sich umziehen konnten.

Die Vorbereitungen waren abgeschlossen, aber Shen Qiaos Gesichtsausdruck war unruhig. Bian Yanmei hingegen war zuversichtlich und unbeirrt. Er ahmte sogar spielerisch die Art und Weise nach, wie Dienstmädchen sich den Mund zuhalten, wobei sich Daumen und Mittelfinger in einer Orchideengeste berührten, während er kicherte. „Shen-Jiejie, sieh mal, bin ich nicht hübsch?" 

Die Mundwinkel von Shen Qiao zuckten.

 

 

 

Erklärungen:

… um eine Tasse Fleisch von seinem Vater: Dieses Zitat stammt aus „Die Aufzeichnungen des großen Historikers - Die Chroniken des Xiang Yu". Zur Zeit des Chu-Han-Streits befürchtete Xiang Yu, dass eine längere Konfrontation für ihn ungünstig wäre, also nahm er Liu Bangs Vater gefangen und drohte, ihn zu töten, wenn er sich nicht ergebe, und dann würde er seinen Vater schmoren und als Bouillon verspeisen. Als Liu Bang davon hörte, sagte er: „Wir beide sind geschworene Brüder und mein Vater ist auch dein Vater, wenn wir ihn also töten, werden wir ein Stück des Eintopfs mit ihm teilen." Xiang Yu hörte auf den Rat von Xiang Bo und tötete ihn nicht. Diese Redewendung bezieht sich später auf den Prozess der Teilhabe an der Verwirklichung eines gemeinsamen Nutzens.




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6 Kommentare:

  1. Es ist schon hart, wenn indirekt im Raum steht, dass man seine Kinder aufgeben soll~ Ist ja nicht so, als sei er nicht fähig, nicht weitere zu zeugen. Aber es sind dennoch seine Kinder und diese will er natürlich retten. Yan Wushi hilft ihm, so wie die anderen. Da ahnte Shen Qiao nicht, was noch auf ihn zukommen würde XD
    Bian Yanmei merkt, dass es eine Änderung zwischen Yan Wushi und Sehn Qiao gibt, nur kommt er nicht drauf. Er sollte es am besten lassen, weiter darüber nachzudenken. Das Ergebnis würde ihm nur Kopfschmerzen bereiten XD
    Puliuru Jian schenkt Shen Qiao die Schriftrollen der Zhuyang Strategie. Ein wahrlich kostbares Geschenk und was Shen Qiao helfen wird.
    Aber fürs erste muss er sich verkleiden und allein wie er wieder beschrieben wird. Mal sehen wie Yan Wushi reagieren wird, wenn er ihn so sieht.


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    1. Yan Wushi hat bei solchen Situationen eigentlich generell herzlich wenig Empathie. Ich frage mich, wenn er Kinder mich Shen Qiao kriegen könnte, ob er dann anders denken würde. Wahrscheinlich würde er jeden der so etwas zu ihm, als Vater sagt, komplett ruinieren, oder so.
      Bian Yanmei ist, glaube ich der festen Überzeugung, dass sein Shizun auf ewig Single bleiben wird, oder es ist für ihn utopisch, dass Yan Wushi eine ernste romantische Beziehung mit irgendjemanden eingehen würde.
      Jetzt hat Shen Qiao vier der fünf Schriftrollen der Zhuyang Strategie gesehen und bald wird er auch diesen Band lesen. Wow, damit ist er gleichauf mit Yan Wushi und hat bald die ganze Zhuyang Strategie gelesen, was wohl seit Tao Hongjing dem Autor der Zhuyang Strategie niemand mehr geschafft hat und schaffen wird. Da Yan Wushi schon einen Band zerstört hat.
      Aber eines wird feststehen, Yan Wushi hat endlich seine Rache fürs Verkleiden als Frau bekommen.

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  2. Das nenne ich mal Karma für unsern lieber A Qiao. Aber entgegen Yan Wushi, könnte ich mir Shen Qiao eher in Frauenkleidern vorstellen und mal sehen wie Yan Wushi darauf reagieren wird.
    Danke fürs Übersetzen!❤️

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    1. Immerhin muss Shen Qiao maximal ein Tag in Frauenkleidern rumlaufen, Yan Wushi musste es etwas länger mitmachen. Aber dafür ist Shen Qiaos in Frauenkleidern bestimmt bedeutend ansehnlicher als das von Yan Wushi. XD
      Yan Wushi wird sich freuen, dass er endlich mal seinen A-Qiao in Frauenkleider gekriegt hat und den Anblick etwas genießen kann.
      Danke für deinen Kommentar.

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  3. ok das yan so antwortet weil der hatte nie kinder und so weis er sicher auch nichts damit anzufangen. shen ist als frau genau so schön wenn nicht schöner also das wird yan sicher sehr geniesen. aber der satz von den einen "macht in nicht zu schön sonst wird der kaiser in haben wollen" ist schon eine sehr deutliche ansage das shen wenn er dort ist aufpassen muss. würde direkt die kamera zücken und ein bild davon machen wenn ich könnte. aber bian yanmei ist schon ein kleiner spaßvogel wie er da sich wie ein mädchen hinstellt und auch noch nebenbei sagt bin ich nicht hübsch . ich musste voll lachen als ich das las.

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    1. Ich frage mich, on Yan Wushi jemals anders antworten würde, wenn er Kinder von Shen Qiao und ihm hätte. Also voraus gesetzt Yan Wushi könnte Shen Qiao schwängern?
      Shen Qiao gehört zu den Personen die wenig für ihr Aussehen tun und trotzdem immer schön aussehen, irgendwie gemein. Aber was soll man machen, Shen Qiao hat einfach die richtigen Gene abbekommen.
      Leider müssen Frauen bei Tyrannen immer besonders vorsichtig sein, doch wenigstens wird Shen Qiao sich zu wehren wissen und sollte der Kaiser zu viel wagen, wird Yan Wushi ihm schon die Leviten lesen.
      Bian Yanmei ist fast genauso schamlos wie sein Shizun, anscheinend hat er von ihm mehr als nur die Kampfkünste gelernt und verinnerlicht.

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