Natürlich war es nicht kriminell oder unmenschlich, von diesem Löffel zu essen, und es verstieß auch nicht gegen die Rechtschaffenheit. Aber da es sie vor aller Augen in eine peinliche Situation bringen würde, würde ein normaler Mensch lieber den Mund geschlossen halten.
In Wahrheit hatte Shen Qiao das vage Gefühl, dass sich Yan
Wushis Haltung ihm gegenüber seit ihrem Wiedersehen in der Huang-Residenz auf
seltsame und subtile Weise verändert hatte. War Yan Wushi früher voller Bosheit
und wollte ihn in den sicheren Tod treiben, so sah es diesmal eher so aus, als
ob Yan Wushi sich daran erfreute, dass Shen Qiao sich zum Narren machte, und
wollte, dass er sich auf verschiedene Weise blamierte.
Shen Qiao hatte jedoch keine Ahnung, was der Grund für Yan
Wushis veränderte Haltung war. Er konnte nur vermuten, dass Yan Wushi einen
neuen Weg gefunden hatte, sich zu amüsieren.
„Ich weiß noch, dass du Fisch magst, A-Qiao", sagte Yan
Wushi. „Dieser gehackte Fisch ist sehr frisch und zart, also bin ich sicher,
dass er dir schmecken wird."
Wie um Shen Qiao zu bestätigen, dass seine Vermutung richtig
war, zeigte sich auf Yan Wushis Gesicht ein Anflug von tiefer Belustigung.
Egal, wie er es betrachtete, es war ärgerlich.
Die beiden starrten sich eine ganze Weile an. Inzwischen
hatten alle Schaulustigen die bizarre Atmosphäre mitbekommen.
„Ich bin dankbar für die freundlichen Absichten von Yan-Zongzhu
", sagte Shen Qiao langsam. „Aber dieser bescheidene Daoist besitzt beide
Arme und Beine. Yan-Zongzhu sollte sein hart erkämpftes Versprechen hier nicht
verspielen."
Yan Wushi hob eine Augenbraue. „A-Qiao, du bist jemand, der
seine Versprechen immer hält, aber du brichst dein Wort für eine so triviale
Bitte?"
Plötzlich kam Shen Qiao ein Gedanke in den Sinn. „Das liegt
daran, dass Yan-Zongzhu der Erste war, der die Unwahrheit ausgesprochen hat",
sagte er.
„Wann habe ich die Unwahrheit ausgesprochen?"
„Du hast ein so schlechtes Gedächtnis, Yan-Zongzhu. Du hast
deutlich gesagt, dass du nur Gegner und keine Freunde brauchst. Wie kann es
sein, dass dieser bescheidene Daoist in einem Augenblick der engste Freund von
dir wird?"
„Ich habe nicht die Unwahrheit ausgesprochen", sagte
Yan Wushi mit einem Lächeln. „Es ist nur so, dass sich die Dinge geändert
haben. Damals habe ich wirklich so gedacht, aber die Meinung eines Menschen
ändert sich zwangsläufig mit der Zeit. Auch wenn du mit drei Jahren nicht ohne einen
Tangren laufen konntest, A-Qiao, heißt das, dass du es auch jetzt nicht kannst?"
Shen Qiao schnaubte leicht. „Ich kenne jemanden, der
tatsächlich ohne einen Tangren nicht laufen kann!"
Er sprach von dem Vorfall mit "Xie Ling".
Yan Wushi war überrascht, als er Shen Qiaos Worte
absichtlich falsch interpretierte. „Wahrhaftig? So ein sentimentaler Mensch! Bist
du dann nicht noch besser geeignet, der engste Freund zu werden?"
Dieser Mann war wirklich zu schamlos! Egal in welcher
Situation, alles, was er tat, war immer korrekt!
Shen Qiao wusste, dass er in einer verbalen
Auseinandersetzung niemals die Oberhand gewinnen würde. Als er sah, wie alle
sie beobachteten, fühlte er, wie sich sein Gesicht unwillkürlich erwärmte, und
er fand das alles plötzlich lächerlich kindisch. Schnell senkte er seine Stimme
und flüsterte: „Wir sind in der Öffentlichkeit, Yan-Zongzhu. Hab etwas mehr
Selbstachtung und spare dir deine Streitereien für den Rückweg auf!"
Yan Wushi lachte. „Ich habe dich nur gebeten, diesen Löffel
Fisch zu essen. Wie kann es mir da an Selbstachtung mangeln?"
Nachdem er dies gesagt hatte, stieß er den Löffel weiter auf
Shen Qiao zu, und Shen Qiao wich zurück und hob sogar die Hand, um den Löffel
wegzuschieben, aber mit einer kaum merklichen Bewegung drehte Yan Wushi sein
Handgelenk, und der Löffel verschwand irgendwie, bevor er in seiner anderen
Hand wieder auftauchte, die er Shen Qiao hinhielt. Seine Entschlossenheit war
klar.
Keiner der beiden schien sich zu bewegen, aber ihre Ärmel
flatterten, und sie tauschten in einem Augenblick mehrere Schläge aus. Alle
anderen starrten verblüfft.
Viele von ihnen wussten immer noch nicht, was vor sich ging.
Zhao Chiying zögerte, ob sie eingreifen und den Kampf beenden sollte, aber
einige Schüler der Bixia-Sekte sahen darin eine wertvolle Lernmöglichkeit ‒ sie verfolgten die Bewegungen der
beiden Männer mit großer Aufmerksamkeit und hatten Angst, auch nur eine Sekunde
zu verpassen.
In dem Moment, als sie zu kämpfen begannen, wollte Shiwu
aufstehen und sie aufhalten, aber Yuwen Song hielt ihn fest.
„Wenn Shixiong kann, sollte er genau zusehen", sagte
Yuwen Song. „Shizun und Yan-Zongzhu machen nur einen Übungskampf. Es ist kein
richtiger Kampf, sonst hätten sie schon alles hier auf den Kopf gestellt. Wie
könnten sie sonst auf ihren Plätzen sitzen bleiben?"
Aber Shiwu war immer noch beunruhigt. „Eben noch war alles
in Ordnung. Warum haben sie auf einmal angefangen zu kämpfen?"
Yuwen Song beobachtete ihre Bewegungen mit gespannter
Aufmerksamkeit, sein Tonfall war unbesorgt. „Vielleicht war Yan-Zongzhu etwas mit
Shizun unzufrieden, so dass er absichtlich einen Kampf angefangen hat?"
Shiwu war schockiert. „Warum sollte Yan-Zongzhu mit Shizun
unzufrieden sein?"
Yuwen Song hatte sich immer über sein Alter hinaus reif
verhalten, aber er wusste nicht alles ‒
mit seinem begrenzten Verständnis konnte er es nicht erklären. Auf Shiwus Frage
hin schüttelte er nur den Kopf. „Es scheint, dass Shizun ihm vorhin die kalte
Schulter gezeigt hat, was ihn unglücklich gemacht hat.“
Nachdem er diese neue Erkenntnis gewonnen hatte, dachte Shiwu
sorgfältig über diese Worte nach. Doch er hatte immer noch das Gefühl, dass
etwas nicht stimmte.
Die beiden Männer kämpften weiter. Jeder Schlag, den sie
austauschten, war exquisit, und die Zuschauer konnten ihren Blick nicht
abwenden. Sie hatten sogar vergessen, warum der Kampf überhaupt begonnen hatte.
Yan Wushi hielt einen Löffel in der einen Hand und benutzte nur sein Handgelenk
und seinen Arm, um Shen Qiaos Schlägen zu begegnen. Mit der anderen Hand nutzte
er die Gelegenheit, um einige der Erdnüsse auf dem Tisch in Shiwus Richtung zu
schnippen.
Als Shen Qiao dies sah, musste er seinen Schüler natürlich beschützen.
Sein Ärmel flatterte erst und rollte sich dann zusammen. Es war ein schöner
Anblick, begleitet von einem Gefühl der mühelosen Freiheit, das für den
Daoismus charakteristisch ist, und die Zuschauer spürten, wie sich ihr Geist
und ihr Körper entspannten. Nicht nur die Schüler der Bixia-Sekte, sondern auch
Zhao Chiying und Yue Kunchi zeigten einen Ausdruck der Ehrfurcht.
Doch genau in diesem Moment streckte Yan Wushi seine Hand
aus, legte seinen Arm um Shen Qiaos Taille und führte den Löffel direkt zu Shen
Qiaos Mund. Mit der Hand auf Shen Qiaos Rücken schlug er auf einen
Akupunkturpunkt, und als Shen Qiao instinktiv versuchte, auszuweichen, fiel
seine Wachsamkeit vor dem Löffel. So glitt die Fischsuppe direkt hinein.
Diese Aktionen geschahen in einem einzigen Atemzug; Shen
Qiao hatte keine Zeit zu reagieren. Als er fertig war, zog sich Yan Wushi
sofort zurück. Er lächelte und sagte: „Daozhang Shen ist so unehrlich; deine
Worte entsprechen nicht deinem Herzen. Wenn du es essen willst, warum hast du
ihr so lange gezögert und meine Energie verschwendet? Hättest du doch nur
früher den Mund aufgemacht."
Das war wirklich ...!
Shen Qiao schluckte den Fisch mühsam hinunter. Er war hin-
und hergerissen, ob er das Bankett wütend verlassen oder Yan Wushi einfach
verprügeln sollte.
Aber Ersteres wäre furchtbar unhöflich gegenüber der
Gastgeberin, und Letzteres würde so aussehen, als würde er aus einer Mücke
einen Elefanten machen.
Aber das war wirklich ... zu schamlos! Wenn er selbst das
durchgehen ließ, konnte er auch gleich alles hinschmeißen!
Sehe ich, Shen Qiao, wirklich wie ein solcher Schwächling
aus, dass du mich wie einen Spielball behandeln könntest, der in deiner
Handfläche gefangen ist?
Shen Qiaos Gesicht verfinsterte sich. Diesmal war er
wirklich wütend.
Aber er verlor nicht die Beherrschung, denn das hätte Zhao
Chiying und die anderen in eine schwierige Lage gebracht. Stattdessen nickte er
einfach und sagte gleichgültig: „Yan-Zongzhu, deine Fähigkeiten übertreffen
meine. Ich bin dir wahrlich nicht ebenbürtig und muss dir daher für die Führung
danken."
Dann hob er seine Tasse in Richtung Zhao Chiying. „Ich bin
der Zhao-Zhangjao dankbar, dass er sich um Shiwu gekümmert hat, während ich weg
war. Da ich keinen Wein vertrage, trinke ich stattdessen einen Tee auf Zhao-Zhangjao."
Zhao Chiying warf einen Blick auf Yan Wushi. Er lächelte
immer noch, aber sie konnte nicht erkennen, welche Gefühle dahinter steckten ‒ sie waren schwer zu erfassen.
Sie sprach ganz offen. „Shen-Daoxiong muss nicht so höflich
sein. Du hast unserer Bixia-Sekte einen großen Gefallen getan, und uns
verbindet eine tiefe Freundschaft. Bitte nimm eine solche Kleinigkeit nicht so
ernst! Selbst wenn es zehn Shiwus gäbe, wäre die Bixia-Sekte in der Lage, sich
um sie alle zu kümmern. Wenn es um die Menge des Essens geht, isst Shiwu sogar
weniger als Yexue!"
Shiwu errötete. „So einen Vergleich kannst du nicht
anstellen. Zhou-Jiejie ist älter!"
Alle konnten sich ein Lachen nicht verkneifen, als sie sein
Gesicht sahen, und die Spannung von vorhin löste sich wie Rauch auf.
Nach dem Bankett verabschiedete sich Shen Qiao von Zhao
Chiying und den anderen und brachte Shiwu und Yuwen Yong zurück in ihre Zimmer,
wo sie sich ausruhen konnten.
Nachdem er sich um sie gekümmert hatte, kehrte Shen Qiao zu
seinem eigenen Haus zurück, fand aber jemanden vor seiner Tür stehen. Die
Gesichtszüge des Mannes waren im hellen Schein des Mondes und der von der
Dachtraufe hängenden Laternen kristallklar.
Shen Qiaos Wut hatte sich noch nicht gelegt, und er traute
sich nicht, ihm etwas zu sagen. Auch wenn ich es mir nicht leisten kann, ihn
zu provozieren, dachte er, so kann ich ihm doch aus dem Weg gehen.
Also drehte er sich leise um, um zu gehen.
Aber Yan Wushi war schneller als er. Shen Qiao schaffte nur
einen einzigen Schritt, bevor sein Arm eingeklemmt wurde.
Shen Qiao riss seinen Arm weg und blieb mit ausdruckslosem
Gesicht stehen. „Yan-Zongzhu, bitte hab etwas Selbstachtung."
Yan Wushi lächelte nur. „Was, bist du verärgert?"
Shen Qiao sagte nichts.
„Ich habe dich nur auf den Arm genommen. Das war nicht böse
gemeint. Wenn ich dich verärgert habe, lasse mich das wiedergutmachen."
„Ich kann es mir wirklich nicht leisten, von Yan-Zongzhu eine
Wiedergutmachung zu erhalten", sagte Shen Qiao spießig. „Früher sagtest du,
du bräuchtest keine Freunde und dieser bescheidene Daoist ist nicht
qualifiziert, dein Freund zu sein. Das habe ich akzeptiert. Später habe ich
dich gerettet, aber nur, weil dein Leben mit dem von Yuwen Yong verbunden war,
und der Norden kann nur stabil sein, wenn auch die Zhou-Dynastie stabil ist. Es
waren keine persönlichen Gefühle im Spiel, und ich habe nie erwartet, dass du
dich bei mir bedankst oder mir etwas zurückzahlst. Jetzt, da du dich von deinen
Verletzungen erholt hast, sollten wir getrennte Wege gehen. Yan-Zongzhu hat
seinen glorreichen Weg, während dieser bescheidene Daoist auf seinem einsamen
Holzbrett gehen wird. Ich bin ein armer Mann mit nichts in meinem Namen Ich
weiß nicht, womit ich deine Gunst verdient habe, so sehr, dass du ständig
versuchen musst, mich zu demütigen. Dieser bescheidene Daoist bittet den Yan-Zongzhu
um Gnade: Bitte teile mir mit, warum, und ich werde die entsprechenden
Änderungen vornehmen!"
Qi Fengge hatte großen Einfluss auf Shen Qiao, und auch Shen
Qiao selbst war von Natur aus gnädig und großherzig. Im Umgang mit anderen war
er immer großzügig und freundlich, selbst wenn er einen tief sitzenden Groll
hegte. Sogar nachdem Yu Ai ihn verletzt hatte, war Shen Qiao untröstlich und
wütend gewesen, aber als es vorbei war, verbrachte er nicht Tag und Nacht
damit, mit den Zähnen zu knirschen und davon zu träumen, wie er seinem Shidi
Unglück bringen könnte.
Yan Wushi war die einzige Ausnahme. Seit er von der Klippe
gestürzt war, waren ihre Schicksale miteinander verwoben. Die alten Rechnungen
zwischen ihnen, sowohl Dankbarkeit als auch Groll, ließen sich nicht einfach
danach aufschlüsseln, wer wem mehr schuldete, aber wie das Sprichwort sagte, wenn ein Mann einmal von einer Schlange gebissen wurde, wird
er zehn Jahre lang beim Anblick eines Seils springen. Im Moment wollte
Shen Qiao ihm wirklich aus dem Weg gehen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Aber die
Dinge waren nicht so gelaufen, wie er gehofft oder erwartet hatte. Selbst jetzt
verstand er es nicht ‒ in
dieser Welt gab es Tausende von Menschen, die herausragender und schöner waren
als Shen Qiao, aber auch Tausende von Menschen, die unterdrückter und
unglücklicher waren als er. Warum genau bestand Yan Wushi darauf, an Shen Qiao
und nur an Shen Qiao festzuhalten, und warum war er nicht bereit, loszulassen?
Verschiedene unglückliche Erfahrungen hatten sich seit
einiger Zeit angehäuft, und ein Gefühl der Trauer und Frustration stieg
plötzlich in seinem Herzen auf. Aber es war schwer, zu artikulieren.
Shen Qiao fühlte sich nur völlig erschöpft, sowohl
körperlich als auch geistig.
In Yan Wushis Augen war sein niedergeschlagener, trauriger
Gesichtsausdruck furchtbar liebenswert. Und in diesem Moment färbten sich Yan
Wushis Lippen, die ursprünglich vor Belustigung geschwungen waren, mit der
Sanftheit des Mondlichts.
Aber diese Sanftheit war so subtil, dass sie nicht
wahrnehmbar war, und Shen Qiao bemerkte sie natürlich nicht.
„Wann hat dieser Ehrwürdige dich gedemütigt?", fragte
Yan Wushi. „Wenn ich dich wirklich in Verlegenheit bringen wollte, hätte ich
weitaus rücksichtslosere Tricks in petto. Warum also sollte ich so einen
harmlosen Streich spielen?"
Shen Qiao war wütend. „Das nennst du harmlos? Vor den Augen aller
hast du ... du ..." Als die Wut in ihm hochkochte, stolperte er kurzzeitig
über seine Worte und hatte Mühe, weiterzusprechen.
Yan Wushi stieß ein Lachen aus. „In Ordnung, ich möchte mich
entschuldigen. Beruhige dich. Mein ehrwürdiges Ich wird dir persönlich eine
Schüssel Suppe als Wiedergutmachung kochen, wie wäre das?"
Shen Qiao wandte seinen Kopf ab. „Nicht nötig!"
Yan Wushi zerrte ihn weiter. „Selbst wenn die Worte, die ich
in der Vergangenheit gesagt habe, deine Gefühle verletzt haben, kann ich nichts
dagegen tun. Wenn sie einmal aus deinem Mund kommen, sind sie wie Wasser, das
auf dem Boden verschüttet wird ‒
unmöglich, sie zurückzunehmen. Mein ehrwürdiges Ich wird niemals so etwas
Kindisches tun, wie zu bedauern, was bereits geschehen ist. Willst du als
erleuchteter Meister des Daoismus so handeln wie die talentlose Masse, die sich
an die Vergangenheit klammert und nicht bereit ist, zu vergeben? Alle sagen,
dass Daozhang Shen ein großzügiger und großherziger Mann ist, der die
Vergangenheit ruhen lässt. Warum behandelst du diesen Ehrwürdigen dann so
besonders? Oder ist das ein Zeichen dafür, dass wir füreinander bestimmt sind?"
Shen Qiao war so wütend, dass er lachte. „Wenn es zum
Unglück bestimmt ist, ja!"
Yan Wushi war unbesorgt. „Zum Unglück bestimmt oder zum
Glück bestimmt, beides ist immer noch Schicksal. Der Daoismus spricht oft
davon, im Einklang mit dem Fluss des Schicksals zu arbeiten, warum also bist du
nicht in der Lage, der Natur ihren Lauf zu lassen, wenn es um dich selbst geht?"
„So wie ich das sehe, solltest du nicht 'Yan Wushi' genannt
werden", sagte Shen Qiao.
„Wie soll ich dann heißen?"
Shen Qiao lachte eisig. „Zong
Youli. Denn du hast immer recht, egal was du
sagst!"
Yan Wushi brach in Gelächter aus.
Er zerrte Shen Qiao in die Küche. Der Koch hatte am
Nachmittag hier gearbeitet, so dass noch einige frische Zutaten vorhanden
waren.
„Gib mir fünfzehn Minuten", sagte Yan Wushi.
Shen Qiao runzelte die Stirn. „Ich bin nicht hungrig."
Yan Wushi drehte sich nicht einmal um. „Stimmt. Du bist voll
mit Wut."
Shen Qiao verschluckte sich an seinen Worten.
Yan Wushi bewegte sich in der Tat schnell ‒ er nutzte seine innere Energie, um
die Flammen zu schüren, und steigerte so seine Effizienz. Schnell wurde heißes
Wasser gekocht, dann wurden Fisch und mit Stärke verrührte Eier gemischt und zu
Bällchen geformt. Er kochte sie in dem dampfenden Wasser, streute etwas grüne
Zwiebel und Salz darüber, und frisch vom Herd kamen zwei Schalen mit kochend
heißer Fischbällchensuppe.
Auch Kampfkünstler müssen essen und schlafen. So angesehen
Yan Wushi auch sein mochte, er konnte nicht immer einen Diener mitnehmen, wenn
er unterwegs war, also musste er manchmal selbst kochen. Shen Qiao hatte sich
bereits von seinen Kochkünsten überzeugen können, als sich die beiden damals
vor dem Unglück versteckten, und so war er auch dieses Mal nicht sonderlich
überrascht.
Shen Qiao löffelte ein Fischbällchen und steckte es in den
Mund. Es war, wie er fand, ziemlich lecker. Obwohl seine Wut noch nicht
abgeklungen war, konnte er nicht gegen sein Gewissen sagen, dass es schlecht
schmeckte, also duckte er sich und begann schweigend zu essen.
Yan Wushi hielt ihm seinen eigenen Löffel hin. „Was?",
fragte Shen Qiao.
„Sollte ich nicht etwas wiedergutmachen?", sagte Yan
Wushi.
Shen Qiao war verblüfft. „Warum gibst du mir dann einen
Löffel?"
Yan Wushi lachte. „Es hat dich verärgert, als ich dich
vorhin gefüttert habe. Also kannst du mich jetzt füttern ‒ so sind wir beide an der Reihe
gewesen. Ist das nicht fair?"
Shen Qiao war sprachlos.
Am liebsten hätte er Yan Wushi diese Schüssel mit der Fischbällchensuppe
über den Kopf gestülpt.
______________________________
Die Tage in der Bixia-Sekte waren angenehm und eintönig, und
doch verging die Zeit schnell.
Im Beisein von Zhao Chiying und den anderen unterzog sich
Yuwen Song offiziell der Ausbildungszeremonie bei Shen Qiao. Während Shen Qiao
seine Schüler unterrichtete, trainierte er sich auch weiterhin in seinen
eigenen Kampfkünsten. Im Laufe der Tage näherte sich seine innere Energie
allmählich seinem früheren Niveau an, und es gab sogar vage Anzeichen dafür,
dass er kurz vor einem Durchbruch stand.
Zhao Chiying war zwar besorgt über den Mangel an neuen
Talenten in der Bixia-Sekte, aber sie wusste auch, dass es am wichtigsten war,
Fan Yuanbai, Zhou Yexue und die anderen derzeitigen Schüler richtig zu
unterrichten. Andernfalls würden sie ihre jetzigen Sprösslinge vergeuden, bevor
sie überhaupt schöne Jade zum Arbeiten finden würden.
Da Meister wie Yan Wushi und Shen Qiao anwesend waren, war
es unvermeidlich, dass Zhao Chiying ihre Erwartungen an die Sektenschüler
erhöhte ‒ ihre Forderungen
wurden strenger, so dass alle stöhnten, und ächzten und Yue Kunchi um Hilfe
baten. Yue Kunchi, das blutende Herz, war zwischen seiner Shimei und ihren
Schülern gefangen und fand sich in dem täglichen Chaos zerrieben.
Auch Yan Wushi schien in der Bixia-Sekte verwurzelt zu sein ‒ er sagte nichts davon, sie zu
verlassen, und die Bixia-Sekte konnte ihn auch nicht zwingen zu gehen. Außerdem
gab Yan Wushi ihnen manchmal einige kämpferische Ratschläge, auch wenn diese
Ratschläge von einem Hohn begleitet wurden, der schlimmer war als ein Messer. Die
Bixia-Sekte konnte das nur ertragen, gleichermaßen leidend und dankbar.
Der Lauf der Zeit bedeutete innerhalb der Berge wenig, aber
außerhalb der Berge hatte sich die Welt stark verändert.
Nachdem Yuwen Yun den Thron bestiegen hatte, verlieh er dem Zenmeister
Xueting den Titel eines Staatspräzeptors und unterstützte den Buddhismus. Unter
dem Vorwand, um Segen für seine Mutter zu beten, begann er, buddhistische
Tempel in großem Umfang zu renovieren. Der Einfluss des Buddhismus hatte
während der Herrschaft von Yuwen Yun einen schweren Schlag erlitten, aber nun
begann er, Anzeichen für einen weiteren großen Aufstieg zu zeigen.
In der Zwischenzeit erhob Yuwen Yun auch die Hehuan-Sekte
und ahmte damit nach, was der vorherige Kaiser mit der Huanyue-Sekte getan
hatte. Er erlaubte ihrem Einfluss, den Hof zu durchdringen und die Beamten zu
kontrollieren, und er ließ sowohl die Hehuan-Sekte als auch die buddhistische
Disziplin ihre Autorität in ganz Jianghu zu seinem eigenen Nutzen ausbauen.
Unter diesen Umständen nutzten sowohl die buddhistische
Disziplin als auch die Hehuan-Sekte die Gelegenheit zu einer explosionsartigen
Expansion, die von Chang'an ausging und sich nach Norden ausbreitete.
Angesichts dieses Drucks unterwarfen sich viele kleinere Sekten entweder dem
Buddhismus oder wurden von der Hehuan-Sekte assimiliert.
Was den Lingyin-Tempel und das Duyuan-Haus sowie andere
buddhistische Sekten anbelangt, die in der Jianghu relativ unbekannt waren, so
ergriff der kaiserliche Hof geräuschlos die Kontrolle über sie und unterstellte
sie der direkten Gerichtsbarkeit des Staatspräzeptors.
Und wenn es um kleine Sekten wie den Taohua-Pfeiler oder die
Pingshan-Halle ging, löschte die Hehuan-Sekte sie alle aus.
Selbst die recht bekannte Zhongnan-Sekte fiel mit dem Tod
ihres Sektenanführers auseinander und wurde schließlich gezwungen, sich der
Hehuan-Sekte zu unterwerfen.
Beinahe über Nacht breiteten sich die Hehuan-Sekte und die
buddhistische Disziplin aus und zermalmten alles, was sich ihnen in den Weg
stellte, wie welke Blätter oder Zweige, weiteten ihre Macht und ihren Einfluss
rasch aus und verwandelten sich in Leviathane.
Etwas mehr als ein halbes Jahr später trafen die Vorhersagen
von Yan Wushi ein.
Erklärungen:
Jiejie ist eine ältere Schwester oder eine nicht verwandte ältere Freundin. Zwanglos.
Wenn ein Mann einmal von einer
Schlange gebissen wurde, wird er zehn Jahre lang beim Anblick eines Seils
springen, ist ein chinesisches Sprichwort. Es verdeutlicht im wesentlichen,
wie vergangene Ereignisse unsere Reaktionen und unser Verhalten noch lange nach
dem ersten Vorfall beeinflussen. Es erinnert uns daran, dass unser Geist von
unseren Erfahrungen tief beeinflusst werden kann, auch wenn sie auf den ersten
Blick nichts miteinander zu tun haben.
Zong Youli, 总有理, heißt wörtlich übersetzt ‚immer gerechtfertigt‘.
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Das Kapitel war einfach herrlich XDD Man wäre am liebsten mit dabei gewesen und hätte den beiden zugeschaut. XDD Für Shen Qiao war die Situation mehr als unangenehm, während es für Yan Wushi nicht hätte besser laufen können XDD Und er ist sich wie immer keiner Schuld bewusst XD Das er später noch eine Suppe kochte und Shen Qiao seinen Löffel anbot, damit dieser ihn füttern kann... Shen Qiao ist fertig mit den Nerven und sowas von fertig mit Yan Wushi XDD
AntwortenLöschenAußerhalb der Bixia Sekte dagegen, ist es nicht so witzig. Da geht es mehr als ernst zu.
Yan Wushi Neckereien sind wahrlich ein Augenschmaus und bestimmt SEHR sehenswert.
LöschenFür mich wäre auch so was extrem unangenehm und ich würde solche Situationen auch lieber vermeiden. Um ehrlich zu sein, wenn du nicht der Verursacher solcher Situationen bist, gibt es doch (fast) niemanden der solche Situationen gerne hat.