A-Qing war ziemlich jung und war in der Provinz Wei aufgewachsen. Er war mit seinem jetzigen Leben zufrieden und hatte noch nie die Außenwelt gesehen, aber mit zwei zusätzlichen Personen im Haus wurde er natürlich ein wenig neugierig. Obwohl sein Onkel ihn immer wieder ermahnt hatte, die beiden nicht zu stören, wenn es nicht etwas Wichtiges gab, nutzte er die Gelegenheit, manchmal mit Shen Qiao zu unterhalten, wenn er ihnen das Essen brachte.
Natürlich wagte er es nicht, ein Gespräch mit Yan Wushi
anzufangen ‒ nicht einmal, wenn er zehnmal mutiger wäre. Jugendliche besaßen
einen tierähnlichen Instinkt: Er wusste sehr genau, mit wem er sprechen konnte
und wen er nicht provozieren sollte.
Heute klopfte er wie immer an die Tür von Shen Qiaos Zimmer
und brachte ihm eine warme Mahlzeit.
Es kam keine Antwort, aber daran war A-Qing gewöhnt.
Nachdem er im Morgengrauen aufgewacht war, verbrachte Shen Qiao die meiste Zeit
des Tages draußen im Hof und übte sich im Schwertkampf. A-Qing öffnete die Tür
und trat ein, dann legte er die Stäbchen auf den Tisch und nahm nacheinander
den Reisbrei und die Beilagen heraus.
Hinter ihm ertönten Schritte, und A-Qing sah sich grinsend
um. „Shen-Langjun, Ihr seid zurück! Gerade noch rechtzeitig..."
Auf halbem Weg blieb er jedoch plötzlich stehen und
erstickte fast an seinem eigenen Speichel. Schnell stand er auf, und sein
strahlendes Lächeln verwandelte sich augenblicklich in ein zurückhaltendes und
angestrengtes. „Hallo, Meister."
„Du siehst aus, als ob du mich nicht sehen wolltest",
sagte Yan Wushi mit hochgezogener Augenbraue. Er kam herein, so gelassen wie
immer.
Er trug nicht mehr das Frauenkleid, das er bei seiner
Ankunft trug. Sogar das Haar an seinen Schläfen hatte wieder seine
ursprüngliche Farbe angenommen. Er war dunkelblau gekleidet, der Schatten eines
Lächelns lag auf seinem Gesicht ‒ gelassen und charmant.
Doch A-Qing bekam auf unerklärliche Weise Angst, so dass er
Yan Wushi nicht in die Augen sehen konnte. Seine lässige Ausstrahlung
verschwand, als er sich schnell aufrichtete und die Hände zusammenlegte. „A-Qing
würde es nicht wagen. Onkel Wu hat A-Qing gesagt, dass er den Meister mit
größtem Respekt behandeln und ihn in keiner Weise beleidigen soll."
Yan Wushis schmale Lippen kräuselten sich leicht, und er
setzte sich an den Tisch, seine Haltung war entspannt. „Du bist mir gegenüber
so zurückhaltend, aber gegenüber Shen Qiao so zwanglos. Du musst ihn
offensichtlich sehr mögen?"
A-Qing stammelte: „Shen-Langjun... ist ein sehr
freundlicher Mensch!"
„Hm", sagte Yan Wushi. „Er ist in der Tat zu jedem
freundlich. Selbst wenn er genervt ist oder gestört wird, zeigt er das nie in
seinem Gesicht."
Für A-Qing besaß Shen Qiao praktisch alle Eigenschaften der
Perfektion, die er sich selbst wünschte: einen guten Charakter, gutes Aussehen,
großartige Kampfkünste und ein freundlicher Umgang mit anderen. Das galt nicht
nur für A-Qing: Jeder Jugendliche in seinem Alter würde so jemanden bewundern
und verehren. In diesem Haus hatte A-Qing nur Onkel Wu als Gesellschaft; er
hatte nicht einmal Spielkameraden in seinem Alter. Jetzt, da Shen Qiao hier
war, wollte er ihm natürlich näher kommen und mehr mit ihm sprechen. Das war
nur natürlich.
Aber als Yan Wushi das sagte, klang es doch ein wenig
seltsam. Als A-Qing diese Worte hörte, war er traurig und enttäuscht zugleich
und fragte sich, ob es ihn wirklich störte, dass er jeden Tag kam, um mit Shen
Qiao zu sprechen.
Der Junge ließ den Kopf hängen. Er sah aus wie ein deprimierter
Welpe.
Doch Yan Wushi hatte nicht im Geringsten Mitleid mit ihm.
Stattdessen goss er mit einem letzten Schlag Öl ins Feuer: „Du musst also mehr
Selbstbewusstsein haben."
„Ja", sagte A-Qing. Seine Stimme war niedergeschlagen,
er schien fast den Tränen nahe zu sein.
In diesem Moment trat Shen Qiao mit seinem Schwert ein. Auf
seinem Gesicht glänzte ein leichter Schweißschimmer, aber das ließ seinen Teint
nur noch heller erscheinen und verlieh ihm ein leichtes Leuchten.
„Was ist los?" Er sah die beiden an: einer stand,
einer saß. Er hatte keine Ahnung, was vor sich ging.
„Warum seid Ihr in meinem Zimmer?" Die zweite Frage
richtete sich an Yan Wushi.
Yan Wushi lächelte. „Ich habe den Duft von Essen gerochen,
also bin ich gekommen, um etwas zu stehlen."
Shen Qiao runzelte die Stirn. „Hat A-Qing Euch nicht Euer
eigenes gebracht?"
„Das Essen schmeckt besser, wenn es von jemand anderem
ist", sagte Yan Wushi fröhlich. „Wenn man den guten Appetit eines anderen
sieht, schmeckt das Essen noch besser."
Shen Qiao glaubte kein Wort von dem, was er sagte. Er hatte
das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, als wäre etwas passiert, bevor er
eingetreten war.
„A-Qing?" Shen Qiao sah seinen gesenkten Kopf und
fragte sanft: „Was ist los?"
„Nichts ‒ gar nichts! Der Meister und Shen-Langjun sollten ihre
Mahlzeiten genießen. Wenn ihr fertig seid, komme ich und räume auf!" Damit
drehte er sich schnell um und stürmte aus dem Zimmer.
Aus den Augenwinkeln sah Shen Qiao, dass die Augen des
Jungen etwas rot waren. Er wurde noch misstrauischer, als er sah, wie A-Qing
sich zurückzog. Er wandte sich an Yan Wushi. „Was habt Ihr gerade zu ihm
gesagt?"
Yan Wushi lächelte nur. „A-Qiao, du klingst wie eine alte
Glucke, die ihre Küken beschützt! Vergiss nicht, dass A-Qing zu meinen Leuten
gehört. Ich kann ihn behandeln, wie ich will, und niemand würde mit der Wimper
zucken. Er hat sich dir nur ein wenig genähert, und das hat gereicht, dass du
ihm plötzlich Gunst erweist? Wir sind so lange zusammen gereist, warum hat sich
deine Einstellung mir gegenüber nie geändert?"
Wenn Shen Qiaos Gesichtsausdruck früher sehr einfach war,
so wirkte er jetzt völlig emotionslos. „Es ist ja nicht so, dass meine Haltung
dem Yan-Zongzhu etwas
bedeutet."
Jedes Mal, wenn sein Makel aufgedeckt wurde und sich seine
Persönlichkeit veränderte, konnte Yan Wushi das spüren. Es war, als wäre ihm
ein weiteres Paar Augen gewachsen und er beobachtete die Außenwelt, aber er
konnte nur zusehen und seinen Körper nicht kontrollieren.
So konnte er "sehen", wie Shen Qiao mit seinen
anderen Persönlichkeiten interagierte. Shen Qiao bewahrte sich sogar gegenüber
dem aufrichtig sanften A-Yan eine gewisse Vorsicht. Es gab nur eine Ausnahme.
Damals in Ruoqiang hatte Xie Ling, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht hätte
erwachen dürfen, seine ganze Kraft eingesetzt, um die Kontrolle über seinen
Körper zu erlangen und zu Shen Qiao zurückzukehren. Obwohl Yan Wushi damals in
einem tiefen Schlummer lag, hatte er kühl beobachtet, wie Shen Qiao Xie Ling angelächelt
hatte, und er hatte auch das Zittern in Shen Qiaos Herz gespürt.
Dieser Mann war von Natur aus weichherzig: Wenn ihm jemand
eine Sache gab, gab er ihm zehn zurück. Wenn ein anderer Mensch das Gleiche
durchmachte wie er mit Chen Gong und Yu Ai, würde er zwar nicht vor Hass
schäumen, aber zumindest entmutigt und leidenschaftslos werden. Aber Shen Qiao
schätzte die Freundlichkeit noch mehr, auch wenn diese Freundlichkeit in den
Augen der anderen trivial erschien.
Deshalb hatte Shen Qiao begonnen, Xie Ling Gefallen zu
erweisen.
Vielleicht hatte Shen Qiao von diesem Moment an wirklich
begonnen, Xie Ling wie eine eigene Person zu behandeln. Nur wenn er Xie Ling
gegenüberstand, unterschied Shen Qiao ihn von Yan Wushi: So freundlich er zu
ersterem war, so kalt war er zu letzterem.
Doch je mehr er dies tat, desto mehr wurde Yan Wushi
neugierig.
In der Vergangenheit hatte er Shen Qiao aus zwei Gründen
geärgert. Der erste Grund war, dass er diese Person für lächerlich hielt, weil
er nach wiederholtem Verrat nie seine Lektion gelernt hatte ‒ dass jeder das
Böse in seinem Herzen trug und der einzige Unterschied darin bestand, wie tief
er es verbarg. Shen Qiao selbst konnte da keine Ausnahme sein. Er hatte alles
versucht, um diese Bosheit in den Tiefen seines Herzens hervorzulocken.
Zweitens wollte er den dämonischen Kern in Shen Qiao implantieren, um zu sehen,
was passieren würde, wenn man einen dämonischen und einen daoistischen Kern
miteinander verschmelzen würde. Shen Qiao war also sein Versuchskaninchen
gewesen.
Aber das Leben ist unberechenbar. Shen Qiao ging nicht in
die Richtung, die Yan Wushi ihm vorgegeben hatte, sondern schlug einen völlig
anderen Weg ein. Obwohl er eine Prüfung nach der anderen erlebt hatte und immer
wieder mit den Tücken des menschlichen Herzens konfrontiert worden war, hatte
sich dieser Mensch geweigert, sich zu ändern. Er war sogar bereit, Xie Ling,
der selbst aus Yan Wushi stammte, mit so viel Freundlichkeit und Aufrichtigkeit
zu behandeln.
Sollte er diese Art von Person als töricht oder stur
bezeichnen?
Aber in Yan Wushis Augen spielte es keine Rolle, ob es Xie
Ling oder Yan Wushi war. Gut oder böse, schmerzhaft oder wunderbar ‒ er allein
sollte für Shen Qiao etwas Besonderes sein. Es war nicht nötig, dass eine
andere beliebige Person an dieser besonderen Wertschätzung teilhatte.
Als er Shen Qiaos Worte hörte, lachte Yan Wushi. „Wer sagt
denn, dass es mir nichts bedeutet? Es bedeutet mir sehr viel! Wenn du bereit
wärst, auch nur ein Zwölftel von dem, was du Xie Ling gibst, mit mir zu teilen,
wer weiß, wie glücklich ich dann wäre."
Shen Qiao stellte sich taub. Er senkte den Kopf und
konzentrierte sich darauf, seinen Reisbrei zu essen.
Solange es nicht um Xie Ling ging, hörte Shen Qiao nur
einen Bruchteil von dem, was Yan Wushi sagte. Und diesen winzigen Bruchteil
würde er aufbrechen, darüber nachdenken und analysieren, um nicht dieselben
Fehler zu begehen. Es war wirklich ziemlich erbärmlich, zweimal in die gleiche
Grube zu fallen, obwohl man eigentlich hätte lernen müssen, sie zu vermeiden.
Obwohl Shen Qiao zugab, dass er kein clevererer Mensch war, war er auch nicht
so dumm.
Als er sah, dass Shen Qiao nicht reagierte, lächelte Yan
Wushi und sprach nicht weiter. Er nahm seine Schüssel Reisbrei in die Hand und
begann zu essen.
Für die beiden waren die letzten Tage die ruhigsten und
friedlichsten, die sie bisher erlebt hatten. Ganz sicher nichts im Vergleich zu
den haarsträubenden Ereignissen, die sie in Ruoqiang erlebt hatten. Seit sie
Tuyuhun verlassen hatten, musste sich Shen Qiao mit seinen ständig wechselnden
Persönlichkeiten auseinandersetzen ‒ Yan Wushis Makel war ja noch nicht
beseitigt worden ‒ und gleichzeitig seine Umgebung Auge behalten. Yan Wushi
hatte Feinde auf der ganzen Welt, so dass sich Shen Qiao nicht einmal einen
Moment lang entspannen konnte. Erst als er diesen Ort betrat, begann er sich
wohl zu fühlen und konnte sich auf die Kultivierung des wahren Qi der Zhuyang-Strategie
konzentrieren.
Was Yan Wushi betraf, so stellte Shen Qiao zwar keine
detaillierten Nachforschungen an, aber er konnte an seinem Verhalten erkennen,
dass sich die Persönlichkeit des Mannes allmählich stabilisierte. Es war
selten, dass sich seine Persönlichkeit direkt nach dem Aufwachen so stark
veränderte. Höchstwahrscheinlich hatte der Inhalt des Seidenstücks Yan Wushi
etwas erleuchtet. Mit seinen Fähigkeiten wäre es nur eine Frage der Zeit, bis
er den Fehler in seinem dämonischen Kern ausbessern könnte, und sobald das geschah,
würde er mit den Fenglin-Schriften auf die nächste Stufe aufsteigen. Es
war möglich, dass seine Kampfkünste so weit fortgeschritten waren, dass er in
der ganzen Welt unvergleichlich sein würde. Selbst wenn er das nicht erreichen
würde, wäre er nicht weit davon entfernt. Selbst wenn sich die fünf
Kampfexperten wieder zusammentun würden, könnten sie Yan Wushi kein zweites Mal
besiegen.
Es war nur schade, dass Xie Ling... Eine schwache
Melancholie durchzuckte Shen Qiaos Herz. Er seufzte vor sich hin.
Yan Wushi fragte plötzlich: „Warum erweist du A-Qing eine
solche Gunst? Liegt es daran, dass er Xie Ling ähnelt und du deshalb Xie Ling
auf ihn projizierst?"
In seiner Gegenwart war Shen Qiao noch zurückhaltender als
sonst. Wenn er nicht mit ihm zu sprechen brauchte, würde er es nicht tun. Aber
Yan Wushi schien seine Stimmung erraten zu haben, denn er lächelte. „Du magst
ihn, aber ich finde ihn lästig. Wenn du mir nicht den Grund dafür nennst, werde
ich Onkel Wu bitten, ihn zu vertreiben, nachdem du gegangen bist."
Shen Qiao weigerte sich, mitzuspielen. „Yan-Zongzhu, Ihr habt immer
getan, was Ihr wolltet. Warum sollte ich ein Mitspracherecht bei Euren
Entscheidungen haben?"
Yan Wushi lachte. „Na gut, dann werde ich ihn nicht
vertreiben. Kannst du mir es bitte sagen? Ich flehe dich an."
Ein wahrer Mann wusste, wann er sich beugen musste. Yan-Zongzhu war skrupellos,
wenn es darum ging, seine Ziele zu erreichen, und er hatte sich nie um so etwas
wie "moralische Integrität" gekümmert. Er war ein mächtiger
Kampfkünstler, ein Großmeister, aber er konnte sogar Worte wie ‘Ich flehe‘
sagen. Ihn störte das nicht, aber als Zuhörer konnte Shen Qiao es nicht
ertragen.
Shen Qiao konnte überredet, aber nicht eingeschüchtert
werden. Yan Wushi hatte das vor langer Zeit gelernt. Auf jeden Fall würde es
nicht schaden, ihm ein wenig zu schmeicheln. Andere Menschen würden vielleicht
denken, dass es ihre Würde oder Integrität verletzen würde, so zu handeln, aber
dämonische Praktizierende legten auf solche Dinge wenig Wert.
Es war keine Überraschung, dass Shen Qiao, obwohl er sich
etwas unwohl fühlte, trotzdem sagte: „A-Qing ist ein wenig wie der Schüler, den
ich aufgenommen habe."
Yan Wushi lächelte. „Warum habe ich nicht gewusst, dass du
einen Schüler aufgenommen hast?"
„Ihr kennt ihn doch auch", sagte Shen Qiao schlicht
und einfach. „Es ist Shiwu aus dem Bailong-Kloster."
In dem Moment, in dem er dies sagte, erinnerte er sich
unweigerlich an den Abt und Chuyi und wie sie gestorben waren. Da er sich
selbst die Schuld gab, verschwand auch jede gute Laune, die er für Yan Wushi
hatte.
Nun gut, er hat also an Shen Qiaos Schorf herumgepfuscht.
Yan Wushi war hochintelligent, und er war jetzt nicht verrückt. Natürlich
konnte er herausfinden, was passiert war.
Aber er tat so, als hätte er die Ablehnung auf Shen Qiaos
Gesicht nicht gesehen, die praktisch schrie: ‘Ich will nicht mehr mit Euch reden.‘
Stattdessen lächelte er weiter und redete. „Ich habe Shiwu tatsächlich schon
einmal gesehen. Es stimmt, dass seine Grundlagen und seine Begabung ziemlich
gut sind. Wenn er auf einen weisen Meister trifft, könnte er in der Zukunft
große Leistungen erbringen."
Dieses schamlose Verhalten... Shen Qiao musste es ihm
wirklich lassen.
Er wollte seinen Gast gerade hinauswerfen, als von draußen
ein leises Klopfen zu hören war.
Zwischen ihnen und dem Eingangstor lagen zwei Flure und ein
Hof, aber Kampfkünstler hatten ein fantastisches Gehör, und so hörten sie beide
A-Qings „Ich komme", als er hinüberlief, um das Tor zu öffnen.
In der Xie-Residenz war es immer ruhig gewesen; sie hatte
nur wenige Besucher. Wenn Onkel Wu zum Einkaufen ging, nahm er gewöhnlich den
Hintereingang. Er ging fast nie durch das Haupttor.
Shen Qiao und Yan Wushi spürten sofort, dass etwas nicht
stimmte ‒ es war ein unbeschreiblich mysteriöses Gefühl, fast so, als hätten
sie die Gedanken des anderen gelesen. Nur Kampfkünstler, die eine bestimmte
Stufe erreicht hatten, konnten diese Reaktion zeigen.
Shanhe Tongbei war ganz in der Nähe. Als A-Qing die Tür
öffnete, befand sich Shen Qiaos Hand bereits auf der Scheide.
„Wer ist da?" A-Qings Stimme drang aus der Ferne
herüber.
„Ich hoffe, es geht Euch gut, junger Wohltäter. Darf ich
fragen, ob dies die Xie- Residenz ist?"
In dem Moment, als er diese Stimme hörte, veränderte sich
Shen Qiaos Gesichtsausdruck.
Obwohl er nicht viel mit diesem Mann zu tun hatte, wie hätte
er ihn nicht erkennen können?
Aber sie waren auf der ganzen Reise so vorsichtig gewesen ‒
natürlich konnten sie nicht völlig fehlerfrei sein, aber sie hatten ihr Bestes
getan, um keine Spuren zu hinterlassen. Wie konnte Zenmeister Xueting sie so
schnell finden?
Könnte es das Werk von Chen Gong sein...?
Die beiden tauschten einen Blick aus. Yan Wushis Gesicht
war erstaunlich ruhig. Tatsächlich hatte sich sein Gesichtsausdruck kaum
verändert.
„Versteckt Euch zuerst", sagte Shen Qiao streng. „Ich
werde mich mit ihm treffen."
Mit ihrer gegenwärtigen Kultivierung waren sie beide nicht
in der Lage, Xueting zu besiegen. Aber Xuetings Ziel war nicht Shen Qiao, und
selbst wenn er ihn nicht besiegen konnte, konnte Shen Qiao immer noch
entkommen.
Yan Wushi hob eine Augenbraue. „Ich fürchte, es ist zu
spät.
Kaum hatten diese Worte seinen Mund verlassen, ertönte
Xuetings Stimme aus dem Innenhof. „Yan-Zongzhu ist wirklich bemerkenswert. Dieser bescheidene
Mönch bewundert ihn sehr."
Im Handumdrehen war der Mann von den Toren in den Hof vor
ihrem Zimmer gegangen. A-Qing brüllte immer noch wie am Spieß und hechelte ihm
hinterher. Aber er konnte nicht einmal mit Xuetings Schatten mithalten,
geschweige denn mit dem Saum seiner Robe.
Nur wenige Menschen in der ganzen Jianghu konnten diese
Geschwindigkeit erreichen, bei der ‘das Land auf wenige Zentimeter zu
schrumpfen schien und der Staub sich nicht einmal an ihren Füßen festhalten
konnte‘.
Die Tür zu ihrem Zimmer war gar nicht verschlossen. Wo Shen
Qiao und Yan Wushi standen, konnten sie sehen, dass ein schwarz gekleideter
Mönch erschienen war.
Yan Wushi grinste. „Ihr seid so hartnäckig, kahlköpfiger
alter Esel! Ihr seid wie ein böser Geist! Ich habe mich noch nicht einmal dafür
revanchiert, dass Ihr an diesem Tag einen Haufen herumtollender Clowns mitgebracht
habt, die sich gegen mich verschworen haben! Ihr besitzt wirklich eine
Unverschämtheit, hier aufzutauchen!"
Zenmeister Xueting schlug die Hände zum Gruß zusammen und
sagte: „Auch dieser bescheidene Mönch hat nicht erwartet, dass Yan-Zongzhu so mächtig ist. Ihr
wurdet von fünf großen Kampfexperten überfallen und habt es dennoch geschafft,
alle zu täuschen und heil herauszukommen."
Dann grüßte er auch Shen Qiao. „Daozhang Shen ist auch
hier. Was für ein Zufall."
Zenmeister Xuetings Stimme war ruhig, ohne auch nur einen
Hauch von Ärger. Ob in diesem ‘welch ein Zufall‘ auch Sarkasmus steckte, konnte
nur er selbst wissen.
Yan Wushi brach in Gelächter aus. „Außer Euch, kahlköpfiger
Esel Xueting, waren alle anderen nur mittelmäßig. Ihr konntet mich nicht einmal
im Fünf-gegen-Eins-Kampf töten! Ein Haufen Abschaum! Und die haben die
Frechheit, sich Experten zu nennen? Xueting, dass Ihr Euch so weit herablassen
konntet, Euch mit denen in einen Topf zu werfen! Wirklich, je länger Ihr lebt,
desto mehr fallt Ihr zurück!"
Zenmeister Xueting wurde nicht im Geringsten wütend. Er sah
Yan Wushi mit ruhiger Miene an ‒ selbst sein Blick enthielt keine
Feindseligkeit. „Die neue Generation wird die alte ablösen. Dieser bescheidene
Mönch ist schon in die Jahre gekommen; früher oder später wird er seinen Platz
an talentiertere Nachfolger abgeben. Mit der Zeit werden Wohltäter Duan und
Wohltäter Dou diesem bescheidenen Mönch vielleicht nicht mehr unterlegen sein.
Yan-Zongzhu ist
wieder zum Leben erwacht und ist derselbe wie immer. Dieser bescheidene Mönch
muss zugeben, dass dies höchst bewundernswert ist. Yan-Zongzhu muss auch
wissen: Je weiter man auf dem Pfad der Kampfkunst voranschreitet, desto
schwieriger ist es, einen Gegner zu treffen, der einem ebenbürtig ist. Wenn es
eine Wahl gäbe, würde auch dieser bescheidene Mönch lieber mit Yan-Zongzhu Tee
trinken und Weiqi spielen, trainieren und Tipps austauschen. Sowohl Freunde als
auch Konkurrenten zu sein.
Aber außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche
Methoden. An jedem Tag, an dem Yan-Zongzhu hier ist, wird Yuwen Yong ohne Skrupel handeln und den
Buddhismus weiter unterdrücken. Damit der Buddhismus gedeihen kann, kann dieser
bescheidene Mönch nur zu solchen Maßnahmen greifen. Er ist nicht aus
persönlichem Groll hier und bittet daher den Yan-Zongzhu um Vergebung."
In seinen Worten lag eine Andeutung. Da er heute hierher
gekommen war, würde er nicht mit leeren Händen gehen ‒ es musste einen
angemessenen Abschluss geben.
„Darf ich den Großen Meister fragen", sagte Shen Qiao,
„woher Sie wussten, dass Yan Wushi hier ist?"
„Mönche lügen nicht", sagte Xueting. „Um die Wahrheit
zu sagen, traf dieser bescheidene Mönch Chen Gong in Chang'an. Da Yan Shou von
der Hehuan-Sekte einmal meinen Schüler verletzt hatte und Chen Gong auch der
Hehuan-Sekte nahe steht, wollte ich von ihm wissen, wo sich Yan Shou aufhält.
Chen Gong sagte, er wisse es nicht, und um sich herauszureden, erzählte er mir,
dass Yan-Zongzhu noch am
Leben sei und dass er sogar eine Schriftrolle der Zhuyang-Strategie
erhalten habe."
Bevor er gegangen war, hatte Chen Gong Shen Qiao
versprochen, den Aufenthaltsort von Yan Wushi nicht preiszugeben, aber Shen
Qiao hatte diesem Versprechen nie viel Glauben geschenkt. Als er dies von
Xueting hörte, hatte er tatsächlich das Gefühl, dass dies erwartet wurde.
„Aber zwischen Chang'an und Tuyuhun liegen viele andere
Provinzstädte. Chen Gong kann unmöglich wissen, wohin wir gehen oder wo wir
anhalten werden."
„Richtig", sagte Xueting. „Dieser bescheidene Mönch
suchte die ganze Reise von Chang'an nach ihm. Ich habe in der Provinz Wei Halt
gemacht und wollte morgen aufbrechen. Doch dann belauschte ich unerwartet ein
Gespräch zwischen zwei Leuten; der eine behauptete, ein Händler zu sein, der
jeden Tag Gemüse an jeden Haushalt verkauft. Es gab einen Haushalt, der auf
unerklärliche Weise seine Nachfrage verdoppelt hatte, also war er sehr
glücklich."
Shen Qiao seufzte. „Der Große Meister ist wirklich
akribisch und aufmerksam. Wenn er diese Fähigkeit nutzen könnte, um Diebe
festzunehmen und Streitigkeiten zu schlichten, würde das ausreichen, um die
Welt von Ungerechtigkeiten zu befreien."
„Ich danke Euch für Euer Lob, Daozhang Shen. Heute hat sich
dieser bescheidene Mönch die Freiheit genommen, Yan-Zongzhu zu besuchen. Daozhang Shen ist ein
Außenstehender, deshalb bitte ich Sie, sich nicht einzumischen, damit Sie nicht
versehentlich verletzt werden."
„Was für ein Zufall", sagte Shen Qiao. „Der Große
Meister will ihn töten, aber ich will ihn beschützen."
Zenmeister Xuetings Gesicht verriet eine Spur des
Erstaunens. „Soweit dieser bescheidene Mönch weiß, haben sich die dämonische
und die daoistische Sekte nie nahe gestanden. Und Yan-Zongzhu hat Daozhang Shen immer wieder viel
Undankbarkeit entgegengebracht und seine Freundlichkeit mit Bösem vergolten.
Warum sollte Daozhang Shen trotzdem versuchen, ihn zu schützen?"
„Es ist so, wie der Große Meister sagt", sagte Shen
Qiao. „An jedem Tag, an dem er dort ist, wird Yuwen Yong sicher und gesund
bleiben. Wenn ich mir alle Nationen ansehe, ist Qi bereits verschwunden. Nur
die beiden Königreiche von Zhou und Chen können als stark bezeichnet werden.
Aber die Südliche Chen-Dynastie wird von den Konfuzianern beschützt, so dass
dort kein Platz für den Buddhismus ist. Die ständigen Versuche des Großen
Meisters, Yan Wushi zu töten, ebnen den Kök-Türken den Weg, in die Zentralebene
vorzudringen, nicht wahr?"
Xueting stieß einen Singsang aus. „Sagt Daozhang Shen, dass
er auch auf der Seite des Herrn von Zhou steht?"
„Richtig", sagte Shen Qiao.
Xueting stieß einen leichten Seufzer aus. „Dann scheint es,
dass dieser bescheidene Mönch heute zuerst Daozhang Shen passieren muss."
Als sein letztes Wort gefallen war, schlug sein goldener
Stab leicht auf die dunklen Steinplatten unter ihnen, und ein schweres Geräusch
schien in Shen Qiaos Ohren zu explodieren.
Gleichzeitig verließ das Shanhe Tongbei mit einem Klirren
seine Scheide. Shen Qiao sprang auf, und Schwert und Stab trafen sich in der
Luft. In einem Augenblick vermischten sich eine unendliche Anzahl von Lichtern
und Schatten, während sich innere Energie von den Berührungspunkten
ausbreitete. Jemand wie A-Qing, der über keinerlei Kampfkunstkenntnisse
verfügte, wurde sofort von den Schockwellen getroffen. Er schrie auf, seine
Ohren klingelten vor Schmerz, und er war gezwungen, zurück zu stolpern. Erst
nachdem er sich hinter der Mauer versteckt hatte, ging es ihm etwas besser.
Shen Qiao war davon ausgegangen, dass Yan Wushi, der
Situationen gut einschätzen konnte und wenig von der Last eines Großmeisters
trug, keinen Grund sehen würde, sich einzumischen. Als er sah, dass Shen Qiao
Xueting behinderte, hätte er sich sicherlich umgedreht und wäre zuerst
gegangen. Doch stattdessen sah er, nachdem Shen Qiao mehrere Schläge mit
Xueting ausgetauscht hatte, aus dem Augenwinkel, dass Yan Wushi immer noch
regungslos auf seinem Platz stand.
„Warum geht Ihr nicht?!", rief Shen Qiao wütend. „Steht
nicht einfach so herum!"
„A-Qiao, beruhige dich. Ich will ja gehen, aber du solltest
den kahlköpfigen alten Esel fragen, ob er mich gehen lässt." Yan Wushis
Lippenwinkel kräuselten sich ein wenig, aber seine Augen lächelten nicht im
Geringsten.
Wie als Antwort auf seine Worte erschienen im Osten und im
Westen zwei junge Mönche, beide barhäuptig und in schwarze Mönchsroben
gekleidet, die auf den Dachziegeln standen.
„Dieser bescheidene Mönch ist Liansheng."
„Dieser bescheidene Mönch ist Lianmie."
Die beiden sagten unisono: „Wir grüßen Yan-Zongzhu!"
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Jetzt habe ich es geschafft und bin nun ebenfalls hier auf den neusten Stand. Nun zu "Stars of Chaos" rüber schiel. Das werde ich auch noch in Angriff nehmen, aber das wird noch etwas dauern. Aber es kommt auf jeden Fall noch dran!
AntwortenLöschenAber nun zum eigentlichen. Ich muss sagen, es war von der Story etwas zäh. Man hatte das Gefühl, dass Shen Qiao das Pech förmlich anzog. Auch wenn Yan Wushi dabei nicht gerade unschuldig war. Ich mag die Szenen zwischen den beiden. Sie kommen mir manchmal vor wie Hund und Katz. Shen Qiao hatte es ja schwer, sehr schwer. So hintergangen worden zu sein, von jemandem den man vertraute, ist nicht schön. Selber erst durchgemacht und noch immer hat man die Wut und den Hass auf diese Person. Dieses Gefühl verschwindet nur sehr langsam.
Und Shen Qiao ist so eine gute Person, das geht schon fast auf keine Kuhhaut mehr und Yan Wushi weiß das auszunützen. Bis er selbst sehr schlecht dran ist und er kann froh sein, das Shen Qiao ihm geholfen hat. Jetzt wo er wegen der schweren Verletzungen mehrere Persönlichkeiten hat, wird es sehr interessant zwischen den beiden. Mein Mitleid was Yan Wushi deswegen durchmacht, hält sich sehr in Grenzen. Dafür sind seine anderen Persönlichkeiten zu interessant XD
Der Ärger lässt ja wieder nicht lange auf sich warten. Beide kommen kaum dazu ihre Verletzungen richtig und ordentlich mal zu verheilen.
Mal sehen wie es da jetzt weitergeht.
Ich muss ehrlich zugeben, dass die Geschichte erst dann so richtig gut wurde, als Yan Wushi regelmäßiger bis hin zu dauerhaft seinen Auftritt hatte.
LöschenShen Qiao war auch in vielen Dingen zu gutmütig und naiv, er hat in allen Menschen immer nur das Gute gesehen, ohne zu erkennen, dass diese Menschen gerade eben die nur Böses wollen und das hat zu ziemlich vielen Problemen geführt.
Shen Qiao wurde ja innerhalb eines Jahres - glaube ich zumindest - dreimal hintergangen.
Einmal von Yu Ai, dann von Chen Gong und zum Schluss von Yan Wushi, das ist eigentlich schon ein ziemlicher Rekord.
Yan Wushi nutzt Shen Qiaos Gutmütigkeit, aber so was von aus. Warte nur später führt das zu sehr lustigen und amüsanten Szenen zwischen den beiden.
Ich hatte beim Lesen nicht ein einziges Mal Mitleid mit ihm, immerhin hat es selbst so gewählt und teilweise auch so gewollt.
Ich wünsche dir dann noch viel Spaß bei Stars of Chaos. Ich muss da ehrlich sagen, ich bin bei den Kapitelvorschau immer total raus. Ich muss immer gefühlt das halbe Kapitel zu lesen, um zu wissen, was da passiert. Bei Husky und Thousand Autumns habe ich dieses Problem nicht.
oh da will einer nicht das wer mit shen redet. gerade essen zusammen und jetzt werden sie auch noch gestört. leider ist etwas eingetretten was sie vermeiden wollten. ausgerechnet der mönch hat sie gefunden und wer hat sie verraten natürlich cheng wer den sonst. shen hält in auf doch yan kann nicht weg weil andere seinen weg versperren. was wird woll nun geschehen. freu mich wenns weiter geht.
AntwortenLöschenJa, ja, Yan Wushi mag es nicht, wenn Shen Qiao jemand anderem als ihm eine besondere Aufmerksamkeit gibt.
LöschenXueting hat es aber auch sehr klug angestellt, sie zu finden und hatte Erfolg. Auch wenn Chen Gong seinen Teil dazu beigetragen - um ehrlich zu sein, ich hätte eh nicht geglaubt, dass er sein Wort hält, der verrät doch alles und jeden, wenn er seinen Vorteil daraus ziehen kann.
Die Kapitel nach diesem werden auch recht süß und amüsant werden vor allem da Yan Wushi einiges ausprobiert, um Shen Qiao aus der Deckung zu locken.