Kapitel 140 ~ Extra: Dritte Nebengeschichte

Es war die Nacht der Wintersonnenwende. Die Laternen waren aufgehängt worden. Winzige Flecken vom Feuerschein glitzerten unter den Dachvorsprüngen. Sie schimmerten durch dünne Blätter aus rotem Papier und bildeten zusammen eine purpurne Linie, die den ganzen Hof erhellte.

Der Schnee fiel weiterhin in kleinen und großen Strudeln. Dennoch reichte er aus, um die ganze Welt weiß zu machen: Er bedeckte die Dächer, den Boden und die Bäume gleichermaßen.

Die Kampfkünstler hatten keine Angst vor der Kälte. Die Tür des Hauses stand offen, aber es herrschte Windstille, so dass kein Schnee ins Innere wehte. Wenn sie im Haus saßen, konnten sie sich mit Bodendrachen wärmen und sogar die verschneite Landschaft genießen ‒ zwei Fliegen mit einer Klappe.

Dies war nicht das Xuandu-Kloster, sondern die ehemalige Residenz des Junior-Präzeptors in Chang'an, die jetzt als Herzog Wus Residenz bekannt ist.

Nachdem Yang Jian die Nachfolge angetreten hatte, hatte er es Yuwen Yong gleichgetan und Yan Wushi zum Junior-Präzeptor ernannt und ihn dann zum Herzog gemacht. In Wahrheit wusste jeder, dass es sich dabei nur um einen Titel handelte und nicht um mehr: Es spielte keine Rolle, wie Yan Wushi genannt wurde. Selbst wenn man ihn zum General oder Großherzog ernannt hätte, wäre Yan Wushi immer noch derselbe Yan Wushi und die Huanyue-Sekte die gleiche Huanyue-Sekte. Niemand konnte seine Stellung beeinträchtigen.

Im Vergleich zu Yuwen Yong hatte Yang Jian ein tieferes Verständnis dafür, dass der Kaiser allein nicht alles bestimmen konnte: Es gab viele reiche und mächtige Familien, die alle eine lange Geschichte und viel Einfluss hatten, was bedeutete, dass selbst Herrscher gezwungen waren, auf ihre Meinung zu hören. Um sich von der Macht dieser Familien zu befreien, verkündete er ein neues System der Beamtenprüfung, das sich völlig vom System der Neun Ränge unterschied, das seit der Wei- und Jin-Dynastie in Kraft war. Dies ermöglichte es zahlreichen Gelehrten aus bescheidenen Familien, sich durch das Bestehen der Prüfungen nach oben zu befördern.

Dies bedeutete jedoch, dass die Autorität, die ursprünglich den für die Auswahl neuer Minister zuständigen Beamten zustand, nicht mehr existierte, sondern vom Kaiser zurückerobert wurde. Gelehrte aus bescheidenen Verhältnissen waren natürlich erfreut, die Adelsfamilien jedoch nicht. Daher war es für Yang Jian lange Zeit unmöglich, die Huanyue-Sekte aus dem Weg zu räumen, wenn er sich mit ihrer immensen Macht messen wollte.

Was den Xuandu-Berg, den derzeitigen Eckpfeiler des Daoismus, betrifft, so war es besser, ihn für sich zu gewinnen, als ihn wegzuwerfen. Als Gründungskaiser einer Dynastie verstand Yang Jian dies natürlich. Er bevorzugte natürlich den Buddhismus, vergaß aber auch nicht, die Daoisten mit verschiedenen Gefälligkeiten zu verwöhnen, um ein Gleichgewicht zwischen den beiden Lehren zu wahren.

Gleichzeitig gab er sich große Mühe, den Konfuzianismus zu unterstützen, indem er die Sui als gleichwertigen Konkurrenten der Südlichen Chen-Dynastie etablierte und ihre Talente auf sich zog.

Das Kraftgefälle zwischen dem Norden und dem Süden wurde von Tag zu Tag deutlicher. Angesichts der Tatsache, dass ein Kampf zwischen den beiden unvermeidlich war, begannen die Herzen der Menschen allmählich zu schwanken, und tatsächlich reisten einige Gelehrte aus dem Süden in den Norden nach Chang'an, um die Beamtenprüfung der Nördlichen Dynastien abzulegen.

Angesichts der glänzenden Zukunft der Nördlichen Dynastien dachten alle dasselbe: Wenn die Dinge so liefen wie erwartet, würde die Zentralebene, die seit der Wei- und Jin-Dynastie zersplittert war, in der Zukunft wieder eine Vereinigung erleben.

Doch in diesem Moment sah der Mann, der in der Residenz des Junior-Präzeptors saß und auf den verschneiten Hof blickte, überhaupt nicht glücklich aus.

Der Grund dafür war folgender: Vor ihm stand eine Schüssel mit Knödelsuppe.

Genauer gesagt handelte es sich um eine Schüssel mit Knödelsuppe, die auf der Grundlage von Lammbrühe zubereitet und mit Tangyuan versetzt war. Shen Qiao runzelte leicht die Stirn. Beim Anblick dieser bizarren Mischung wusste Shen Qiao nicht, welchen Gesichtsausdruck er machen sollte.

Ein Mann trat hinter dem Paravent hervor, sah seinen Gesichtsausdruck und lächelte. „Die Wintersonnenwende ist genauso wichtig wie das Neujahrsfest. Im Norden isst man Knödel, im Süden Tangyuan, und in den Flusslanden trinkt man Lammsuppe. Jetzt sind alle drei versammelt, so dass du eine Zusammenkunft aller Länder erleben kannst. Warum bist du unglücklich?"

Shen Qiao schüttelte den Kopf. „Es macht mir keinen Spaß, sie auf diese Weise zu essen. Tangyuan sollte ein süßes Gericht sein, warum wird es dann mit Lammsuppe vermischt? Hat sich das jemand ausgedacht, um dem Kaiser zu gefallen?"

Yan Wushi klatschte leicht. „Du hast richtig geraten! Beim diesjährigen Bankett zur Wintersonnenwende hat sich der Prinz Jin diese Methode einfallen lassen, um den Kaiser zu erfreuen. Er nannte sie sogar die 'Suppe der Einheit', was bedeutet, dass die ganze Welt zu einer Einheit wird. Yang Jian war hocherfreut und belohnte ihn auf der Stelle großzügig. Der Kronprinz war ebenfalls anwesend, und sein Gesichtsausdruck war spektakulär!"

Das Bankett zur Wintersonnenwende hatte gestern stattgefunden, als Shen Qiao nicht in der Hauptstadt war. Er hatte nicht teilnehmen müssen, aber Yan Wushi war hingegangen. Für ihn war es dasselbe, als würde er sich ein gutes Theaterstück anschauen.

Shen Qiao atmete leicht aus und stieß einen weißen Hauch aus: „Wenn jemand erwachsen wird, werden auch seine Gedanken komplexer. Prinz Jin ist viel wortgewandter als der Kronprinz, deshalb verwöhnen ihn seine Eltern mehr; das ist vernünftig. Aber ich habe gesehen, dass in seinem Gesichtsausdruck Dunkelheit lauert, und in seinen Augen liegt eine gewisse Bosheit. Ich fürchte, er wird nicht lange damit zufrieden sein, Prinz Jin zu bleiben.

Yan Wushi grinste leicht. „Waren seine Gedanken nicht schon als Kind kompliziert?"

Als Shen Qiao dies hörte, musste er an die Zeit zurückdenken, als Yang Guang Chen Gong brutal niedergestochen hatte.

„Beabsichtigt der Kaiser, einen neuen Kronprinzen zu ernennen?", fragte er.

Andere wären über dieses Thema entsetzt gewesen, aber für sie war es etwas Triviales und Gewöhnliches, nichts, was man ernst nehmen musste.

„Jetzt vielleicht nicht, aber in der Zukunft ist das schwer zu sagen", antwortete Yan Wushi; „Wenn alles wie erwartet verläuft, wird es nächstes Jahr einen Feldzug nach Süden zu Chen geben. Wenn Yang Jian und Herrin Dugu Yang Guang wirklich bevorzugen, werden sie ihn bestimmt zum Marschall machen, um ihm einige militärische Erfolge zu ermöglichen."

Er setzte sich neben Shen Qiao und schlang die Arme um seine Taille, dann senkte er den Kopf und nahm einen Bissen, während er einen Knödel löffelte. „Der Geschmack ist gar nicht so schlecht. Hier soll dieser Ehrwürdige dich füttern?" Yan Wushi wollte Shen Qiao den Holzlöffel hinhalten, doch er wurde für seine Mühe mit einem bösen Blick bedacht.

„Yan-Zongzhu, ich bitte dich um etwas Würde."

Obwohl einige Jahre vergangen waren, war das Gesicht dieses Mannes immer noch so dünn wie Papier, unfähig, auch nur die kleinste Stichelei zu ertragen. Aber je mehr er das sah, desto mehr liebte es Yan Wushi, ihn zu ärgern.

„Würde? Aber gestern Abend schienst du nicht so besorgt, um meine Würde zu sein?"

Bevor Shen Qiao etwas sagen konnte, um ihm den Spaß zu verderben, packte Yan Wushi sein Kinn und verabreichte ihm einen Schluck Suppe. Einen Moment lang war alles still. Draußen hörte man nur das leise Rascheln des fallenden Schnees, unterbrochen von den leisen Klängen der Lippen und Zungen, die sich im Haus trafen.

Es dauerte eine Weile, bis Shen Qiao den Mann, der an ihm klebte, endlich wegschob. „Wir reden hier über ernste Dinge", keuchte er, „Fang nicht einfach an, herumzualbern!"

„Das nennt man 'Leidenschaft'!"

Es war offensichtlich, dass Shen Qiao diese Art von "Leidenschaft" nicht guthieß. Und was seinen Gesichtsausdruck noch mehr verzerrte, war der nachklingende Geschmack von Lammsuppe in seinem Mund.

Diese Art von Lammsuppe, gemischt mit Tangyuan und Knödeln ... Sie war wirklich unappetitlich.

Er dachte an das Festmahl zur Wintersonnenwende, bei dem es sicher einigen Leuten schwergefallen sein musste, diese "Suppe der Einheit" zu schätzen ‒ aber wer hätte angesichts der Begeisterung des Kaisers den Mut, das zu sagen?

Shen Qiao seufzte: „Als Kaiser ist Yang Jian in der Tat weise, und ich habe das Gefühl, dass meine Wahl richtig war. Nur wenn es um seine Kinder geht, wird er etwas töricht. Jetzt, wo bereits feststeht, welcher Sohn Kaiser und Untergebener sein wird, sollte er seine Vorliebe für den zweiten Sohn nicht so öffentlich zur Schau stellen. In was für eine Position bringt das seinen Ältesten?"

Yan Wushi wollte ihn packen, aber dann sah er, wie Shen Qiao seine Hand flink in den Ärmel zurücksteckte, und ein gewisses Bedauern überkam seinen Ausdruck. „Das ist nicht schwer zu verstehen", sagte er, „Viele brillante Menschen haben einen blinden Fleck, wenn es um ein bestimmtes Thema geht. Yang Jian und Herrin Dugu sind genauso. Wenn das so weitergeht, wird es früher oder später zu einer Geschichte von Zwietracht zwischen Brüdern kommen. Innerhalb der Kaiserfamilie gibt es keine Geschwister. Das war in der Geschichte schon immer so, das ist nichts Ungewöhnliches.

„Der Kronprinz ist von seiner Persönlichkeit her ein wenig schwach, aber sollte er den Thron besteigen, vertraue ich darauf, dass er in die Fußstapfen seines Vaters treten kann", sagte Shen Qiao. „Bei Yang Guang ist das allerdings schwer zu sagen. Wenn ich versuche, seine Gesichtszüge zu lesen ..."

Er schüttelte den Kopf und fuhr nicht fort. Stattdessen sagte er: „Manchmal ist es nicht gut, zu schlau zu sein. Diejenigen, die klug sind, glauben, dass sie die einzige Person auf der Welt sind, die zählt. Das macht sie noch isolierter und einsamer, was schließlich zu einer Menge Ärger und Schwierigkeiten führt. Am Ende werden sie sich selbst und anderen zur Last fallen. Ein Wechsel des Kronprinzen würde sowohl für die Familie Yang als auch für die Welt selbst ein schlechtes Zeichen setzen."

Yan Wushi brach in Gelächter aus: „A-Qiao, sprichst du von mir?"

Shen Qiao warf ihm einen Blick zu: „Bist du auch so, Yan-Zongzhu?"

„Ganz und gar nicht", sagte Yan Wushi, „Schließlich bin ich viel klüger als Yang Guang."

Shen Qiao konnte kein ernstes Gesicht machen. Er lachte, und seine Augen wölbten sich zu Halbmonden ‒ ein Anblick, der das Herz zum Schmelzen brachte. Selbst wenn um sie herum ein Sturm tobte, solange jemand dieses Lächeln sah, würde sich keine Herausforderung zu groß anfühlen, und die Welt um sie herum würde warm werden. Das war es, was Yan Wushi dachte.

„Dieser Yuxiu ist nicht so ein einfacher Charakter, wie er aussieht", sagte Shen Qiao.

Mit diesem Schönling im Arm überlegte Yan Wushi bereits, was er heute Abend vorhatte: Welchen Ort sollten sie wählen, um ihre Leidenschaft zu vertiefen? „Natürlich ist er das nicht", sagte er achtlos. „Ich habe Bian Yanmei bereits beauftragt, Nachforschungen über ihn anzustellen. Die Nachrichten, die ich erhalten habe, besagen, dass er dasselbe ist wie Duan Wenyang: ein Kind mit Kök-Türken- und Han-Blut."

„Er hat kök-türkische Abstammung?"

Yan Wushi nickte. „Diese Sache ist äußerst interessant. Jemand mit kök-türkischer Abstammung tritt in eine buddhistische Sekte ein und wird ein Schüler des Buddhismus, aber er begleitet auch Prinz Jin, wobei ihre Beziehung undurchsichtig und zweideutig ist. Die Beziehung zwischen der Sui-Dynastie und dem Khaghanat ist ebenfalls schwierig, aber Prinz Jin hat einen halb-kök-türkischen Mönch an seiner Seite.

Was denkst du, was er vorhat? Ist das nicht unglaublich faszinierend?"

Das war ein ziemlicher Schock für Shen Qiao: „Du sagst ... dass Yuxiu und Prinz Jin ... diese Art von Beziehung haben?"

Yan Wushi entgegnete: „Ist dir das wirklich entgangen?"

Shen Qiao war noch dabei, diese Information zu verdauen: „Daran habe ich wirklich nicht gedacht ..."

Yan Wushi stieß ein Lachen aus. „Wenn du das nicht bemerkt hast, fehlt es dir eindeutig an Erfahrung."

Shen Qiao starrte ihn an.

„Da ist nichts zu machen ‒ dieser Ehrwürdige hat keine andere Wahl, als sich wieder einmal zu verausgaben. Ich werde meinen Körper benutzen, um dich richtig zu unterrichten."

Shen Qiao konnte nichts sagen.

 

 

Erklärungen:

Mit Bodendrachen ist eine Fußbodenheizung gemeint.

Das System der neun Ränge, 九品中正制 oder 九品官人法, auch bekannt als das System der neun Dienstgrade, wurde im kaiserlichen China zur Kategorisierung und Klassifizierung von Regierungsbeamten verwendet. Es wurde im Reich Cao Wei während der Drei Reiche eingeführt und bis zur Song-Dynastie verwendet.

Tangyuan sind eine traditionelle chinesische Nachspeise aus Klebreis, die zu Kugeln geformt und in einer heißen Brühe oder Sirup serviert werden. Es gibt sie in verschiedenen Größen, von einer Murmel bis zu einem Tischtennisball, und manchmal sind sie mit einer Füllung versehen. Aber da der Name ein Homofon für Vereinigung ist und Zusammengehörigkeit und Vollständigkeit symbolisiert, wird dieses Gericht beim Laternenfest, Hochzeiten, Familientreffen, dem chinesischen Neujahrsfest und dem Dōngzhì-Fest (Wintersonnenwenden-Fest) serviert. (Quelle: Wikipedia)




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4 Kommentare:

  1. Diese Suppe hört sich wahrlich nicht gut an. Da kann man Shen Qiao gut verstehen. Und dann haben wir hier wieder Yan Wushi, wo wieder Unfug im Kopf hat XD Aber ich liebe es dennoch, wie die beiden miteinander umgehen. Aber diese Sticheleien wieder und vor allem der Schluss XDD Da können die Themen noch so ernst sein XD

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    1. Ich fände es auch schwierig, eine solche Suppe zu essen, vor allem vor dem Kaiser höchstpersönlich und dann auch noch verhindern seine Abneigung ihr gegenüber offen zu zeigen. Ich finde es witzig, wie Yan Wushi es einfach schafft, Shen Qiao die Worte im Mund umzudrehen, sodass er einfach immer und irgendwie an sein Ziel kommt, mit Shen Qiao eine weitere schlaflose Nacht zu erleben.

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  2. Sie streiten sich wie ein Ehepaar. Zu goldig und so süß..

    Danke für die Kapitel!

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    1. Dass die beiden so gut harmonieren konnte man schon im Laufe der Geschichte erahnen, aber es ist schön, zu sehen, wie die beiden sich verhalten und miteinander agieren. Ich liebe diese Miteinander auch.

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