Kapitel 27

Die Reise von Chang'an in die Provinz Ying war ungefähr die gleiche Entfernung wie die Entfernung, die man brauchte, um durch halb die Nördliche Zhou-Dynastie zu reisen. Aber mit Yan Wushis Qinggong war es möglich, in nur zwei Tage anzukommen. In diesem Wissen sollte Yan Wushis erste Residenz in der Hauptstadt fertiggemacht werden, damit Yan Wushi bei seiner Ankunft einziehen konnte.

Yan Wushi hatte keine wirkliche Position am Hof inne, aber er war ein enger Vertrauter des Kaisers von Zhou, weshalb ihm der Titel eines Junior-Präzeptors des Kronprinzen verliehen wurde. Angeblich diente diese Position dem Kronprinzen, aber die betreffende Person, Yuwen Yun, hatte seine eigenen gelehrten Ratsherren und seine eigenen Beamten aus dem Ostpalast. Er brauchte Yan Wushi nicht zu belästigen.

Um zu zeigen, wie sehr er ihn schätzte, hatte der Kaiser von Zhou Yan Wushi sogar eine Residenz geschenkt, in der er, während seiner Besuche in der Hauptstadt, leben konnte.

Der Huanyue Sekte mangelte es nicht an Geld, also hatte Yan Wushi seine eigene Residenz in Chang'an und er blieb selten in der Residenz des Junior-Präzeptors. Obwohl sie mit Dienern und Möbeln voll ausgestattet war, wurde sie unweigerlich etwas vernachlässigt, da kein Meister anwesend war. Als Yan Wushi sagte, dass er in die Residenz zurückkehren würde, beeilte sich Bian Yanmei, die Residenz in Ordnung zu bringen.

Aber nachdem er mehrere Tage gewartet hatte, sah er immer noch kein Zeichen von seinem Meister. Bian Yanmei fand es seltsam, aber mit Yan Wushis Fähigkeiten gab es keinen Grund zur Sorge — vielleicht war sein Meister unterwegs aufgehalten worden. Nur hatte der Kaiser von Zhou, während er wartete, Bian Yanmei immer wieder in den Palast gerufen, sich wiederholt nach Yan Wushis Verbleib erkundigt und gesagt, er wünsche, ihn bald zu sehen. Bian Yanmei schickte mehrere Männer zu den Relaisstationen entlang der Straße, damit er hörte, wann Yan Wushi die Hauptstadt betreten könnte.

Erst am dritten März — dem Tag des Jungfernfestes, an dem alle Frauen die Stadt verließen, um sich in den Außenbezirken zu vergnügen — erhielt er Neuigkeiten. Die Botschaft war von einer Realstation in der Provinz Luo in Eile in die Stadt gebracht worden. Darin stand, dass Yan Wushi in den nächsten zwei Tagen eintreffen sollte.

Da Shizun kam, musste natürlich sein Schüler gehen und ihn begrüßen. Bian Yanmei räumte seinen Terminplan für die nächsten Tage frei und verließ die Stadt, um selbst auf Yan Wushi zu warten. Zu seinem Pech war die Gegend, wegen des Jungfernfestes, besonders voll nicht nur die Töchter aus einfachen Familien waren unterwegs, sondern auch die adligen Töchter aus wohlhabenden und aristokratischen Familien waren in Kutschen ausgeritten. Zusammen mit dem unzähligen Dienern, die sie mitgebracht hatten, und den hin und her reisenden Kaufleuten war es fast so geschäftig wie beim Laternenfest. Ströme von Menschen wurden Schulter an Schulter zusammengepfercht.

Unter diesen Umständen waren Bian Yanmeis Kampfkünste nutzlos, egal wie geschickt er war — es sei denn, er wollte zu seinem Ziel rennen, indem er auf die Köpfe und die Kutschendächer trat. Aber das würde auf jeden Fall einige Probleme mit sich bringen und wäre wahrscheinlich auch nicht viel schneller. Also gab er einfach seine eigene Kutsche auf und ging zu Fuß.

Sein persönlicher Diener, Ji Ying, folgte ihm viele Jahre lang. Ji Ying kümmerte sich um Bian Yanmeis tägliches Leben in der Hauptstadt. Er war loyal und hingebungsvoll und verfügte über gute Fähigkeiten in der Kampfkunst. Er hatte darauf bestanden, diesen Ausflug mit Bian Yanmei zu machen, und nach einigem Überlegen hatte Bian Yanmei zugestimmt.

Sie wichen den Menschenmassen auf Umwegen durch die Gassen aus, aber wurden noch eine ganze Weile von Kutschen an den Toren blockiert, bevor sie die Stadt verlassen konnten.

Drei Kilometer vom Stadtrand entfernt befand sich ein Teeladen. Da er einfach eingerichtet war, hielten nur wenige Leute dort auf ihren Ausflügen an. Aber er hatte eine klare Sicht auf jeden, der die Stadt betrat, also betrat Bian Yanmei den Laden und bat um zwei Tassen Tee, dann setzte er sich zu Ji Ying, um zu warten.

Ji Ying sah beunruhigt aus. „Herr, sind wir vielleicht zu spät eingetroffen? Was ist, wenn Meister Yan bereits in der Stadt ist?“

„Unwahrscheinlich“, sagte Bian Yanmei. „Wir sind ziemlich früh angekommen. Es sollte in Ordnung sein, hier etwas länger zu warten.“

Als er sah, wie Ji Ying eine Teetasse hielt, aber nicht trank, konnte er nicht anders als zu lachen. „Das ist nicht dein erstes Treffen mit Shizun. Warum bist du so nervös? Shizun wird dich schon nicht fressen!“

Ji Ying war untröstlich. „Meister Yan hat diesen Niedrigen das letzte Mal für Gedankenlosigkeit bestraft. Er hofft nur, dass er diesmal nicht bestraft wird!“

„Entspann dich“, sagte Bian Yanmei. „Wenn Shizun herausfindet, dass du kein Mitglied der Huanyue-Sekte bist, wirst du nur getötet, nicht bestraft.“

Ji Ying erschrak. „Herr, dieser Niedrige versteht nicht, was Sie sagen…“

Bian Yanmei lächelte dünn. „Ihr habt Ji Yings Worte und Manieren sehr gut nachgeahmt — Ihr hättet mich fast täuschen können. Leider habt Ihr einen großen Fehler begangen."

Da er bereits entlarvt war, hörte ‘Ji Ying‘ auf, den demütigen Ausdruck eines niederen Dieners aufzusetzen. „Ich bitte um Unterweisung“, sagte er.

„Ji Ying respektiert und fürchtet Shizun, aber seine Angst ist stärker. Er würde niemals die Initiative ergreifen, mit mir zu kommen, um ihn zu begrüßen. Sie haben alles andere Perfekt nachgeahmt, aber diese eine Sache verpatzt.“

Die Nachahmung von Ji Ying gab ein finsteres Glucksen von sich. „Wie von Yan Wushis erstem Schüler zu erwarten. Aber ich hatte nie vor, mich zu verstecken!“

Bian Yanmeis Lächeln verblasste. „Wer seid Ihr. Wo ist Ji Ying?"

„Kannst du bei all deiner Intelligenz nicht herausfinden, wer ich bin?", sagte er schadenfroh: „Und wenn du es kannst, warum fragst du dann nach dem Verbleib deines Dieners? Wir alle hier sind alte Erzfeinde. Erkennst du mich wirklich nicht?"

Bian Yanmei erstarrte für einen Moment, Beunruhigung färbte seinen Gesichtsausdruck. „Hehuan-Sekte? Ihr seid Hou Xijing?!"

Huo Xijings Gesichtsveränderungstechnik war berüchtigt. Wenn er jemandem das Gesicht abzog, überlebten sie das nicht. Ji Ying beherrschte einige Kampfkünste, aber er war Hou Xijing bei Weitem nicht gewachsen. Damals, als Shen Qiao und Chen Gong Huo Xijing begegnet waren, hätten sie ohne Bai Rongs Intervention niemals entkommen können.

Niemand kannte das tatsächliche Alter von Huo Xijing. Vielleicht war er um die dreißig oder vierzig oder fünfzig, vielleicht sogar sechzig Jahre alt. Hin und wieder wechselte er zu einem neuen Gesicht und zielte speziell auf die Jungen und Hübschen ab. Seine Opfer zählten zu Dutzenden, wenn nicht zu Hunderten. Ob eine orthodoxe oder eine böse Sekte, Hou Xijings Name erfüllte sie alle mit Abscheu.

Natürlich war die Hehuan-Sekte für ihre Zaubertechniken und ihrer parasitären Kultivierung bekannt, daher war ihr Ruf von Anfang an nicht so gut. Aber Leute wie Huo Xijing lösten einen knochentiefen Hass aus, also war sein Ruf auf einer anderen Ebene von schrecklich.

Huo Xijing brach in Gelächter aus. „Warum musst du so aussehen, Bian-Laodi? Apropos, wir sind im Grunde Schüler gleichen Ursprungs. Wir hatten seit so vielen Jahren nicht die Gelegenheit, uns zu treffen; ich möchte dich unbedingt wiedersehen! Ich bin nicht hierhergekommen, um zu töten oder zu kämpfen!"

Kalt antwortete Bian Yanmei: „Ji Ying ist mir viele Jahre gefolgt, und Sie haben ihm das Gesicht abgezogen und ohne einen zweiten Gedanken getötet. Wenn ich ihn nicht räche, würde ich meinen Familiennamen entehren!“

Bevor Bian Yanmei angreifen konnte, machte Hou Xijing mehrere schnelle Schritte zurück. „Versteh das nicht falsch, Bian-Laodi. An dem Tag, an dem ich Ji Yings Gesicht sah, wusste ich nicht, dass er einer von deinen ist. Ich hatte ihm schon das halbe Gesicht abgezogen, bevor er es mir sagte. Weißt du, selbst wenn ich dann aufgehört hätte, hätte er sowieso sein Gesicht und sein Leben verloren. Es wäre besser, mich stattdessen zu unterstützen. Solange dieses Gesicht auf der Welt ist, wirst du dich schließlich von Zeit zu Zeit an ihn erinnern können. Ich bin heute auf Befehl meines Meisters hier, um deinen zu begrüßen. Er hat wichtige Dinge zu besprechen."

Er maß dem Leben von Ji Ying absolut keine Bedeutung bei und war sich sicher, dass die Erwähnung von Sang Jingxings Namen Bian Yanmei zumindest zu denken geben würde. Aber stattdessen sagte der andere Mann gar nichts — er griff einfach an. Bian Yanmei schlug Huo Xiijing mit messerscharfen Fingern entgegen. Als hätte sich wahres Qi verfestigt, schlug es wie ein dichter, kalter Wind auf ihn ein.

Hou Xijing schaffte es gerade noch, ihm auszuweichen. Erst nachdem er ungefähr ein Dutzend Schritte zurückgegangen war, fand er den Raum, um zurückzuschlagen. Aber Bian Yanmei war ihm dicht auf den Fersen und griff mit harten, kraftvollen Bewegungen an. Im Handumdrehen wurde der winzige Teeladen zu einem Schlachtfeld. Unzählige Stühle und Tische wurden in ihrem Durcheinander zerstört. Der Besitzer und andere Gäste flohen erschrocken — im Nu war niemand mehr zu sehen.

Es war die Quellwasser-Fingertechnik, die Yan Wushi verwendete, aber Yan Wushi trug eine überwältigende, gebieterische Arroganz, während Bian Yanmei eine schärfere Schneide hatte. Er hatte die Klingentechnik der Huanyue-Sekte mit der Fingertechnik verschmolzen — er war stärker ohne Klinge als mit einer. Mit seinem Geist wie plätscherndes Herbstwasser, aber mit dem Schwung eines bergspaltenden Schlages, der stark genug war, um die Straßen mit Blut zu waschen und die Flüsse mit Leichen zu füllen, riss er alles um sie herum nieder und ließ keinen Fleck unberührt.

Hou Xijings Meister war einer der zehn Besten der Welt: Sang Jingxing. Er war schamlos in seiner Verehrung und Schmeichelei gegenüber seinem Meister. Er war sogar so weit gegangen, Sang Jinxing ein paar hübsche Mädchen vorzustellen. Da er mehr oder weniger Sang Jingxings derzeitiger Lieblingsschüler war, war er daher oft ungezügelt in dem, was er tat. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätten ihn seine Feinde schon längst gefangen genommen und in Stücke gerissen, weil er den ganzen Tag lang die Gesichter von ihrem Besitzer entfernte.

Im Laufe der Zeit war er ziemlich von sich selbst überzeugt. Er nahm Bian Yanmei nicht ernst und dachte, dass dieser hochrangige Schüler von Yan Wushi hauptsächlich für die Verwaltung der Beziehung zwischen der Huanyue-Sekte und dem kaiserlichen Hof der Zhou verantwortlich war, daher musste er die meiste Zeit damit verbringen, mit Hofbeamten zu interagieren, da er sogar selbst eine Regierungsposition innehatte. Da er den ganzen Tag sein Gehirn trainierte, muss er die physische Seite der Dinge vernachlässigt haben. Seine Kampfkünste wären sicher nicht so unglaublich.

Es stellte sich heraus, dass es ihm eine Menge Ärger einbrachte, seinen Feind auf die leichte Schulter zu nehmen. Obwohl Bian Yanmei den Kampf nicht sofort kontrollierte, behielt auch Huo Xijing nur schwer die Oberhand.

Bian Yanmei war entschlossen, Huo Xijing das Leben zu nehmen; nur weil sie beide aus dämonischen Sekten stammten, hieß das noch lange nicht, dass er Gnade zeigen würde. Aber Huo Xijings Kampffähigkeiten erwiesen sich als Hindernis: Die beiden tauschten Hunderte von Schlägen aus, beide Seiten konnten dem anderen nichts tun. Bian Yanmei hatte einen leichten Vorteil, aber das war alles, was er schaffte.

Huo Xijing wurde des Kämpfens ein bisschen müde und begann sich zu fragen, ob er weitermachen oder fliehen sollte. Wenn er weiterkämpfte, könnte er vielleicht eine Lücke finden und Bian Yanmei unvorbereitet angreifen. Dann könnte er ihn benutzen, um Yan Wushi zu bedrohen, oder ihn einfach mitnehmen und seinem Meister übergeben. Das würde ihm auch etwas Anerkennung einbringen. Da Bian Yanmei aber auch aus einer dämonischen Sekte stammte, war er nicht der weiche, naive Typ. Es war nicht einfach, ihn unvorbereitet zu erwischen, und selbst nach einem langen Kampf hatte Huo Xijing keine Chance gefunden.

In diesem Moment sprach neben ihm eine gleichgültige Stimme. „Du kannst nicht einmal so einen Müll besiegen? Wie kannst du dich als mein Schüler — als Yan Wushis Schüler bezeichnen?“

Von dieser Stimme schien ein riesiges Brüllen in Huo Xijings Ohr zu explodieren. Seine Brust zuckte heftig und er erbrach beinahe Blut. Wie vom Donner gerührt, erbleichte sein Gesicht. Er ließ alles andere fallen und versuchte, sich zurückzuziehen.

Es war genau dieser Moment der Ablenkung, der Bian Yanmei seine Chance gab. Seine Handfläche traf genau dort, wo Huo Xijing sich ungeschützt zurückgezogen hatte, und sein Gegner jaulte, als er rückwärts durch die Luft flog. Doch mitten in der Luft vollführte Huo Xijing einen Salto und versuchte, seinen Ausrutscher als Fluchtchance zu nutzen!

Aber gerade als Huo Xijing den Versuch unternahm, wurde sein Körper mitten im Sprung hochgehoben — seine Vorwärtsbewegung wurde gestoppt und er krachte schwer zu Boden.

Er hielt sich die Brust, als er nach Luft schnappte und mit großen Augen auf einen gut aussehenden Mann in Blau starrte, der unter einem nahen gelegenen Baum aufgetaucht war.

Neben diesem Mann war eine andere Person — ein kränklich aussehender Mann, der sich auf einen Stock stützte.

Es gab keinen Zweifel, dass der Mann in der blauen Robe Yan Wushi war.

Huo Xijing war ungewöhnlich besessen von hübschen Gesichtern. In dem Moment, als er den Mann neben Yan Wushi sah, erkannte er ihn als denjenigen, dessen Gesicht er an jenem Tag vor nicht allzu langer Zeit versucht hatte abzuziehen, als Bai Rong alles ruiniert hatte.

Aber im Moment konnte er sich nicht dazu bringen, sich darum zu kümmern, da sein Leben auf dem Spiel stand.

„Seid gegrüßt, Sektenanführer Yan. Ich bin Huo Xijing. Ich bin hier, um unserem geschätzten Ältesten im Namen meines Meisters Sang Jingxing Respekt zu erweisen.“ Obwohl seine Situation schlimm war und er auf das Schlimmste vorbereitet war, zwang sich Huo Xijing zu einem Lächeln.

All die nachtragenden Geister, deren Gesichter er abgezogen hatte, hätten wahrscheinlich nie gedacht, dass der Tag kommen würde, an dem der brutale, arrogante Huo Xijing so unterwürfig und sanft auftreten würde.

Wie das Sprichwort sagt: „Es gibt immer ein größeres Übel." Gegenwärtig sehnte sich Huo Xijing danach, zu einer Kugel zusammenzuschrumpfen und sich in einem Riss im Boden zu vergraben. Am besten, da wo Yan Wushi ihn nicht sehen konnte.

"Unserem Ältesten? Bin ich so alt?", fragte Yan Wushi munter. Sein Gesicht formte einen Ausdruck, der an ein Lächeln erinnerte und doch nicht.

Huo Xijing hatte verzweifelt nach etwas Nettem gesucht, das Yan Wushi dazu bringen würde, ihn gehen zu lassen. Von dieser Unterbrechung überrascht, erstarrte er und schnappte nach Luft, unfähig, etwas anderes zu sagen.

Bian Yanmei unterdrückte seine Aufregung und verbeugte sich respektvoll. „Dieser Schüler begrüßt Shizun. Geht es Shizun in diesen Tagen gut?“

Yan Wushi warf ihm einen Blick zu. „Du hast deine Tage damit verbracht, mit Hofbeamten zu verhandeln, also musst du dein Kampfkunsttraining vernachlässigt haben. Du kannst ernsthaft nicht einmal Müll wie diesen besiegen?"

Bian Yanmei schämte sich. „Shizun hat recht damit!"

Als Huo Xijing hörte, dass er selbst als Müll bezeichnete, wurde, wechselte sein Gesicht zwischen grün und weiß. Abscheu nagte an ihm, aber er wagte es nicht, etwas zu sagen.

Mit dem Auftritt von Yan Wushi hatte er alle Hoffnung auf einen Vorteil gegenüber Bian Yanmei aufgegeben. Im Moment war weglaufen seine beste Wahl. Wie er das Schaffen würde, war natürlich eine andere Frage. Während der Meister und die Schüler sprachen, suchte Huo Xijing überall nach dem besten Fluchtweg.

Er hatte den Diener von Yan Wushis Schüler getötet. Selbst wenn der Meister sich nicht rächen würde, würde er seinen Schüler nicht aufhalten. Sie alle gehörten dämonischen Sekten an, also war keiner von ihnen unschuldiger als der andere. Huo Xijing wusste, dass Bian Yanmei auf keinen Fall plötzlich entscheiden würde, Gnade zu zeigen und ihn gehen zu lassen, und solange Yan Wushi dort war, war eine Flucht unmöglich.

Huo Xijing sah sich noch ein wenig um und sein Blick fiel auf Shen Qiao, der hinter Yan Wushi stand.

Ein Plan kam ihm in den Sinn. Er handelte sofort und sprang von dort auf, wo er war, und warf sich auf Shen Qiao!

Aber er erkannte schnell, dass diese Entscheidung, von allen die er getroffen hatte, die schlimmste war.

Es geschah in weniger als einem Wimpernschlag, bevor irgendjemand darauf reagieren konnte. Bian Yanmei wusste nichts von der Beziehung zwischen Shen Qiao und Yan Wushi. Als er sah, dass sich Huo Xijing bewegte, erschrak er, aber da sich sein Meister nicht bewegte, bewegte sich auch Bian Yanmei nicht.

Huo Xijing bewegte sich mit voller Geschwindigkeit; sein Körper verschwamm praktisch, als er sich auf Shen Qiao stürzte.

Gerade als er sein Handgelenk packen wollte, glitt Shen Qiao schnell davon, schnell und glitschig wie ein Fisch.

Huo Xijings Herz pochte und er verstand schnell, dass die Dinge nicht gut für ihn aussahen. In dem Moment, in dem sein Angriff daneben ging, zog er sich zurück, und zwar sofort.

Er warf Yan Wushi nicht einmal einen Blick zu, weil er befürchtete, dass selbst ein Blick ihn an seiner Flucht hindern würde.

Aber wieder übertrafen die Umstände seine Erwartungen. Die nächste Person, die seinen Zug machte, war nicht Yan Wushi, sondern der Mann, den er gerade versucht hatte zu überfallen!

Der Bambusstock war grün und glatt. Da das Ende oft auf dem Boden aufkam, war es leicht ausgefranst. Wenn Gelehrte damals auf Berge stiegen, kauften sie oft solche Bambusstöcke von Bauern unterhalb des Berges, um sich vor der Erschöpfung zu schützen. Shen Qiaos Stock unterschied sich nicht von ihrem.

Als er zuschlug, sah er gewöhnlich, unauffällig und schlicht aus, ohne jede auffällige oder beeindruckende Technik. Doch Hou Xijings Gesicht füllte sich mit Besorgnis, denn er spürte einen dichten Schwall kalter Luft auf sich zukommen, wie der Schlag einer Klinge oder einer Axt, deren Schneide rasiermesserscharf ist.

Erst da erkannte Huo Xijing, dass der Mann, den er für eine ‘zarte Kaki‘ gehalten hatte, eigentlich eine ‘heiße Kartoffel‘ war!

Aber für Reue war es zu spät. Wenn es nur Shen Qiao wäre, hätte er nichts zu befürchten, aber Yan Wushi stand genau dort, und das erfüllte ihn mit Furcht. Er konnte sich nicht für einen langen Kampf begeistern — er zog sich überstürzt zurück.

Aber Shen Qiao jagte ihm direkt hinterher, seine Schritte waren so leicht, dass sie unbedeutend aussahen. Aber sie waren auch steinhart, und er hielt sich irgendwie nur eine Handbreit von Huo Xijing entfernt.

Bian Yanmei schaute erstaunt von der Seite zu. Die Beinarbeit der Huanyue Sekte legte großen Wert auf Beweglichkeit und Schönheit. Shen Qiaos Beinarbeit wies einige Ähnlichkeiten mit der Huanyue Sekte auf, aber es gab auch einige Unterschiede — solche wie die Acht-Trigramme von Xiantian und Ziwei Doushu schienen auch auf subtile Weise darin enthalten zu sein. Auf den ersten Blick sah es so aus, als wären sie leicht zu erfassen, aber bei näherer Betrachtung war nichts als tiefgreifendes Chaos, die Art, die ein lebenslanges Studium erfordern würde.

Es schien ein Problem mit den Augen seines Mannes zu geben. Normalerweise wäre dies ein offensichtlicher Hinweis auf seine Identität, aber selbst als Bian Yanmei sich den Kopf zerbrach, konnte er sich nicht erinnern, wann ein solcher Experte in der Jianghu aufgetaucht war. Dann warf er einen weiteren Blick auf seinen Shizun, der absolut nicht überrascht aussah. Bian Yanmei musste seine Frage runterschlucken und das Duell weiter beobachten.

Shen Qiao war tatsächlich hinter Huo Xijings Leben her.

Für diesen mehr als berüchtigten Mann ist seine Liste der Verbrechen endlos. Solange er jemanden sah, der hübsch war und der ihm gefiel, würde er versuchen, ihm das Gesicht abzuziehen und es selbst anzuziehen. Wenn sein bizarrer Fetisch aufflammte, konnte er manchmal zwei- oder dreimal im Monat das Gesicht wechseln. Keiner der Menschen, deren Gesichter er nahm, überlebte. Außerdem war es Huo Xijing egal, ob sein Ziel von der Jianghu stammte — die meiste Zeit war derjenige, den er mochte, dem Untergang geweiht.

Die Familien der Opfer hassten Huo Xijing natürlich durch und durch, aber mit seinen Fähigkeiten in den Kampfkünsten und dem Schutz der Hehuan-Sekte konnten sie ihm nichts anhaben. Diejenigen, die kamen, um ihre Familienmitglieder zu rächen, wurden durch seine Hand getötet.

Der Buddhismus hatte ein Sprichwort: „Teile das Mitgefühl eines Bodhisattwa mit einer eisernen Faust aus“, und der Daoismus betonte auch, „das Böse zu beseitigen, um das Gute zu fördern“. Shen Qiao war von Natur aus sanftmütig und neigte nicht zum Zorn. Aber sobald sein Temperament geweckt war, würde er es bis zum Ende verfolgen. In diesem Moment hatte er beschlossen, die Welt von dem großen Übel namens Huo Xijing zu befreien, also schlug er ohne Gnade zu. Seine Bewegungen waren schnell und streng, und er war entschlossen, das Übel an seiner Wurzel zu zerstören.

Vor Shen Qiaos Verletzung hätte Huo Xijing nie eine Chance gehabt. Aber Shen Qiaos Verletzung beanspruchte jetzt die Hälfte seiner Kraft, und sein Augenlicht war mangelhaft. Obwohl die Zhuyang Strategie reinigen und Unreinheiten entfernen konnte, war die Freudige Wiedervereinigung kein normales Gift, und hatte seinen Körper schwer verwüstet. Reste vom Gift waren noch in ihm, das nicht verschwunden war. Es war nicht etwas, das verschwand, nur weil man es loswerden wollte.

Und so blieben sie im Kampf gefangen, keine Seite konnte die andere überwältigen.

Huo Xijing würde Shen Qiao am liebsten überhaupt nicht bekämpfen. Yan Wushi hatte sich nicht bewegt, aber es fühlte sich an, als ob eine wilde Bestie an der Seite stünde und ihre Beute anstarrte. Niemand konnte sagen, wann er seine Meinung ändern und angreifen würde. Huo Xijing wollte unbedingt gehen, aber Shen Qiao weigerte sich, ihn gehen zu lassen. Je mehr Huo Xijing kämpfte, desto panischer wurde er und desto verzweifelter wünschte er sich, er könnte Shen Qiao einfach zu Tode würgen. Aber er hatte nicht die Fähigkeit — alles, was er tun konnte, war im Sumpf zu bleiben und darin tiefer und tiefer zu sinken.

Eine in Panik geratene Person würde abgelenkt werden und Lücken in ihrer Abwehr hinterlassen. Shen Qiao hatte ein schlechtes Sehvermögen, aber sein Geist war auf den Feind konzentriert. Mit seinem Stock als Schwert griff er die Fehler seines Gegners an, verwandelte eine Finte in einen Schlag und zielte auf Huo Xijing direkt über sein Herz.

Die Bewegung des Bambusstocks war geschickt, gekonnt, sanft wie die Liebkosung eines Liebhabers, aber Huo Xijing wusste sehr gut, dass der Stock ihm direkt durch die Brust dringen würde. Er biss die Zähne zusammen und stoppte jede Vorwärtsbewegung, indem er seinen Körper scharf nach hinten beugte, um Shen Qiaos Angriff auszuweichen. Gleichzeitig sandte er einen Handflächenschlag aus, der vor wahrem Qi überfloss. Der Handflächenschlag wogte wie ein Sturm, und er war sicher, dass der andere Mann sich zurückziehen würde.

Aber Shen Qiao versäumte es nicht, sich zurückzuziehen oder zur Seite auszuweichen, er kam mit unkontrolliertem Schwung weiter. Er ignorierte Huo Xijings Handflächenschlag völlig und stürzte sich frontal auf ihn. Als die Handfläche ihn traf, ging sie direkt durch ihn hindurch, als wäre er körperlos.

„Körper zu Schatten, Stufe und Ersetzen"? Huo Xijing erbleichte vor Schreck. War das nicht die weltberühmte Spezialtechnik von Qi Fengge von vor vielen Jahren?!

Bevor er weiter reagieren konnte, strahlte ein Ausbruch stechender Schmerzen von seinem Rücken aus.

Der Schmerz war unerträglich, als würde eine Hand versuchen, sein Herz direkt aus seinem Körper zu reißen. Es gab nichts, was Huo Xijin tun konnte, außer zu schreien.

Doch Shen Qiao hatte ihn nicht mit dem Stock aufgespießt. Es war, als hätte sich eine unsichtbare Hand darum geklammert und er konnte den Bambusstock nicht im Geringsten vorwärts oder rückwärts bewegen.

Shen Qiaos Gesichtsausdruck veränderte sich.

 

 

 

 

Anmerkungen der Autorin:

 

Yan Wushi: A-Qiao, du sahst gerade so großartig und beeindruckend aus. Es ist selten, dass eine normalerweise sanfte Person einen so donnernden Ansatz verfolgt. Ich habe eine ganz neue Ebene des Respekts für dich entwickelt.

 

Shen Qiao: Ich weiß nicht warum, aber zu hören, wie Sie mir Komplimente machen, lässt mich irgendwie schaudern.

 

Yan Wushi: Der Direktor, King Meow, sagte, wir sollten dich in solchen Szenen mehr improvisieren lassen und ich solle mich nicht einmischen.

 

King Meow (der Autor): Du hast Spaß beim Anschauen des Stücks! Zähle selbst, wie oft Sektenanführer Shen Blut gespuckt hat, seit er in der Geschichte auftauchte!

 

Yan Wushi (stößt ein leichtes „ah“ aus): Wenigstens ist er noch nicht gestorben, oder?

 

Shen Qiao (wendet sich ab): Vergesst es. Ich gehe zurück in meine Einzelzelle auf dem Xuandu Berg.

 

Yu Ai: Bruder, komm (づ ̄3)

 

 

 

Erklärungen:

Parasitäre Kultivierung, . Wörtlich ‘ernten und ergänzen‘, dies ist die Praxis, einem Wirt Lebensenergie und Qi zu entziehen, um die eigenen Kampfkünste zu stärken. Wird oft mit sexueller Kultivierung in Verbindung gebracht.

Laodi, 老弟. Eine sehr beiläufige Art, seinen jüngeren Mitschüler anzusprechen.

Acht-Tigramme, 先天八卦. Die Bagua (wörtlich ‘acht Symbole‘) repräsentieren die Grundprinzipien der Realität im Daoismus und haben eine Xiantian-Anordnung und eine Houtian-Anordnung.

Ziwei Doushu, 紫薇斗数. Ein Wahrsagesystem, dass manchmal als ‘Lila Sternenastrologie‘ übersetzt wird. Es verwendet die Positionen von Sternen und Planeten bi der Geburt, um Vorhersagen und Berechnungen über das Schicksal zu machen.




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2 Kommentare:

  1. also das hätte ich jetzt nicht erwartet aber ich finde damit würde shen einen grossen dienst der menschheit erweisen wenn er in fertig macht. wer will schon einen der jeden umbringt nur weil er die schönheit haben will. aber das mit dem autor war wieder super und die kometare einfach himmlisch. freu mich wenns weiter geht.

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    1. Ja, das Shen Qiao mal von sich aus aggressiv wird ist echt erstaunlich. Aber egal was Yan Wushi tut, er hat Shen Qiao nicht nicht dazu gebracht, wegen ihm so drastisch zu handeln. Einen großen Respekt an Shen Qiaos Selbstbeherrschung.
      Ja, ich liebe auch die Anekdoten von der Autorin. Leider haben sie es nicht in die SevenSeas-Übersetzung geschafft, aber zum Glück haben es die Fanübersetzungen gemacht, also konnte ich sie auch noch einfügen.
      Ich frage mich ja was aus Yan Wushis anderem Schüler, Yu Shengyan, geworden ist. Kultiviert er immer noch bei diesem Klippen, oder macht er jetzt was anderes?

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