Der Affe sprang auf Tuoba Liangzhe, und gemeinsam stürzten sie in den Abgrund. Nur Tuoba Liangzhes entsetzter Schrei hallte noch durch den leeren Raum um sie herum.
Yan Wushi, der dank Tuoba Liangzhe fast zu einem
menschlichen Schutzschild geworden wäre, wurde an die Steinwand gepresst und
keuchte. Sein Gesicht war bleich wie ein Geist, und das flackernde, schwache
Feuerlicht schien es in eine fast apathische, steinerne Kälte zu tauchen.
Shen Qiao atmete erleichtert auf, dann ging er zu ihm, um
seinen Puls zu messen. „Geht es Euch gut?"
Yan Wushi versteifte sich zunächst ein wenig, doch bald
entspannte er sich und ließ es zu, dass er sein Handgelenk berührte.
Shen Qiao zog die Augenbrauen fest zusammen, aber das lag
nicht an seiner Reaktion. „Warum wird Euer wahres Qi immer chaotischer? Es ist,
als ob es sich in Eurem Körper streitet!"
Yan Wushi sagte: „Ich habe vorhin mein wahres Qi benutzt."
Shen Qiao konnte an diesen Worten hören, wie erschöpft und ausgebrannt
er war ‒ es war ein Schock.
Bevor er reagieren konnte, stürzte Yan Wushi bereits auf
ihn zu und fiel mit seinem ganzen Körper gegen Shen Qiao. Shen Qiao war
gezwungen, ihn aufzufangen. Unvorbereitet auf die eisige Kälte seiner Haut
zuckte Shen Qiao zusammen und erschauderte.
Diese Situation ähnelte ein wenig dem, was in Chen während
der Qi-Abweichung von Yan Wushi nach dem Duell mit Ruyan Kehui passiert war.
Und auch die Saat seiner jetzigen Krankheit war an diesem
Tag gelegt worden.
Auch Yan Wushi zitterte. Unbewusst versuchte er, sich enger
an Shen Qiao zu drücken, um etwas Wärme abzubekommen.
Aufgrund der Ereignisse vom letzten Mal wagte es Shen Qiao
nicht, ihn unvorsichtig mit wahrem Qi zu versorgen. „Wie fühlt Ihr Euch? Wenn Ihr
nicht laufen könnt, lasst uns erst einmal hier ausruhen."
Yan Wushi presste mit zusammengebissenen Zähnen zwei Worte
hervor. „Lass uns gehen..."
Shen Qiao seufzte. Er beugte sich in der Taille, zog Yan
Wushi auf seinen Rücken und ging dann mit seinem Schwert als Stütze zum Ausgang
der Höhle.
Yan-Zongzhu, der einst in der ganzen Jianghu unübertroffen
gewesen war und alle großen Helden als unwürdig verachtet hatte, hätte sich
wohl nie träumen lassen, dass er einen solchen Tag erleben würde.
Sie hatten keine Fackeln mehr, aber bevor die letzte
erlosch, hatte Shen Qiao tatsächlich eine Treppe unterhalb des Höhlenausgangs
entdeckt. Sie waren unglaublich steil, aber das Vorhandensein einer Treppe
bedeutete, dass dort unten früher einmal Menschen gelebt hatten. Wahrscheinlich
wartete dort die alte Stadt Ruoqiang, die Chen Gong suchte.
Der Mann auf Shen Qiaos Rücken zitterte weiter, aber sein
Wille war so stark, dass er sich weigerte, auch nur ein einziges Stöhnen von
sich zu geben.
Der Affe, der sie vorhin angegriffen hatte, musste schon
lange hier gelebt haben. Er hatte Tuoba Liangzhe gepackt und war mit ihm
hinuntergefallen. Bedeutete das, dass sich unter ihnen nicht der bodenlose
Abgrund befand, den sie sich vorgestellt hatten, sondern ein Gang, der woanders
hinführte?
Shen Qiao ging die Treppe hinunter, Stufe für Stufe, und
dachte dabei nach.
Yan Wushi sagte heiser: „Ich bin nicht A-Yan."
Shen Qiao grunzte als Antwort. „Ich weiß."
Der Gesichtsausdruck des Mannes, als er Tuoba Liangzhe
fallen sah, und die Art, wie er reagierte, als Shen Qiao sein Lebenstor
berührte, reichten aus, um Shen Qiao zu sagen, dass sich die Persönlichkeit in
Yan Wushis Körper erneut verändert hatte.
Nachdem er mehrere Tage mit ihm zu tun hatte, konnte Shen
Qiao grob einschätzen, was vor sich ging.
Eine der Persönlichkeiten war seine Ursprüngliche, die er
vorläufig als Yan Wushi bezeichnete.
Eine andere war diejenige, die ihn "Meiren-Gege"
nannte und sich selbst "Xie Ling" bezeichnete. Obwohl diese
Persönlichkeit etwas unschuldig war, war seine Wachsamkeit genauso groß, und er
sprach nicht gern. Dennoch vertraute er Shen Qiao, wahrscheinlich, weil Shen
Qiao die erste Person war, die er nach dem Aufwachen gesehen hatte, oder
vielleicht, weil er spüren konnte, dass Shen Qiao keine Bosheit hegte. Auf
jeden Fall tat Xie Ling alles, was ihm aufgetragen wurde, was den Umgang mit
ihm ziemlich schmerzlos machte. Der echte Yan Wushi würde so etwas nie tun.
Und die letzte Persönlichkeit war diejenige, die sich
vorhin mit ihm unterhalten hatte. Diese Persönlichkeit hatte ein viel milderes
Temperament, und man konnte mit ihr einige Dinge besprechen. Von allen
Persönlichkeiten Yan Wushis war er derjenige, mit dem man am leichtesten
auskam.
Shen Qiao fragte: „Und wer seid Ihr jetzt?"
Doch Yan Wushis Antwort war paradox: „Ich bin er, aber ich
bin auch nicht er."
Das wahre Qi in seinem Körper tobte, so dass er sich in
diesem Moment in extremer Agonie befunden haben musste. Aber wenn er sich nicht
auf den Schmerz konzentrieren wollte, konnte er sich nur durch Reden ablenken.
„Ihr seid also weder Yan Wushi noch Xie Ling, noch A-Yan?"
„Ich weiß es nicht, mein Kopf ist durcheinander. Manchmal
erinnere ich mich an bestimmte Dinge, manchmal habe ich das Gefühl, dass diese
Dinge nicht wirklich passiert sind. Vielleicht weiß ich nicht einmal mehr, was
ich gerade eben getan habe..."
Shen Qiao war an solche Situationen bereits gewöhnt. „Sobald
wir die Jadezistrose gefunden haben, sollte sich Eure Situation zum Besseren
wenden."
„Die Jadezistrose kann nur äußere Verletzungen heilen.
Gegen innere Verletzungen ist sie unwirksam."
„Was müsst Ihr dann tun, um Euch vollständig zu erholen?"
„Ich muss warten, bis ich den Fehler in den Fenglin-Schriften
behoben habe."
„Sagtet Ihr nicht, es sei unmöglich, den Fehler im
dämonischen Kern zu reparieren?" Shen Qiaos Stimme, die von Überraschung
geprägt war, hallte den Gang hinunter.
Yan Wushi konnte sich im Moment nicht an viel erinnern,
aber er erinnerte sich noch daran, wie "er" Shen Qiao behandelt
hatte. Als er ihn persönlich bei Sang Jingxing übergeben hatte, hatte er fast
sehen können, wie Shen Qiaos Herz in seinen Augen verdorrte. Wie Shen Qiao zu
"ihm" gesagt hatte: ‘Der Grund, warum ich einen Verrat nach dem
anderen erlebe, ist nicht, dass ich naiv bin. Es liegt daran, dass ich glaube,
dass es immer Freundlichkeit geben wird. Wenn es keine Dummköpfe wie mich gäbe,
wo würde Yan-Zongzhu dann sein Vergnügen finden?‘
Und das war noch nicht lange her.
Wie hatte sich Shen Qiao gefühlt, als er "ihm"
erneut gegenübergestanden hatte?
„Ich habe die Methode bereits gefunden", sagte er
kühl.
In seiner Brust war immer noch ein Hauch von Restwärme, den
Xie Ling und A-Yan dort hinterlassen hatten, von ihren Gefühlen, wenn sie an
Shen Qiao dachten.
Doch in diesem Moment wischte Yan Wushi sie energisch weg,
und sein Blick fiel ein Stück weit auf Shen Qiao.
„Da ist jemand", sagte er.
Praktisch im selben Moment blieb Shen Qiao stehen.
Er hatte es auch gehört ‒ das flüchtige, aber schwere
Geräusch des Atems.
„Wer ist da?", fragte Shen Qiao.
In der Dunkelheit leuchtete ein Paar grün glühender Augen
wie Geisterfeuerlampen, die in der Luft schwebten und die beiden anstarrten.
Gleichzeitig verbreitete sich der dicke, schwere Gestank
von Blut in der Gegend.
Die alte Stadt Ruoqiang, seit Ewigkeiten verfallen und vernachlässigt, war tatsächlich voller Gefahren.
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